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# taz.de -- Einer, der in Waldheim widersprach
> Helmut Brandt, 1950 Staatssekretär im Ministerium der Justiz der DDR,
> intervenierte gegen die Waldheim–Prozesse und büßte dafür mit 14 Jahren
> DDR–Gefängnis/  ■ Von Falco Werkentin
Kein Waldheim-Verurteilter – und doch ein Waldheim-Opfer – ist Dr.Dr.Helmut
Brandt, zu Zeiten der „Waldheim-Prozesse“, gegen zirka 3.400 sogenannte
Kriegsverbrecher im Jahre 1950 Staatssekretär im ersten Ministerium der
Justiz (MdJ) unter Max Fechner, SED.
Er stand am Mittwoch als Zeuge im Mittelpunkt des Leipziger Prozesses gegen
den ehemaligen Waldheim-Richter Otto Jürgens, angeklagt wegen Mordes und
Rechtsbeugung. Brandt war im September 1950 wegen seines Protests gegen
diese justiziellen Scheinverfahren verhaftet und nach insgesamt 14 Jahren
Haft 1964 von der Bundesrepublik freigekauft worden.
Im Gerichtssaal trafen zum ersten Mal zwei alte Männer zusammen, die sich
noch nie gesehen hatten, obwohl im Leben beider die Waldheim-Prozesse eine
zentrale Rolle gespielt hatten.
Zum Zeitpunkt der Waldheim- Prozesse stand Brandt kurz vor dem 40.
Lebensjahr. Als Staatssekretär im Ministerium der Justiz (MdJ) und Mitglied
der Ost-CDU, doch mit Wohnsitz und Anwaltskanzlei am Kurfürstendamm, blieb
Brandt zunächst uninformiert über die Prozesse in Waldheim. Informiert
hingegen war seine Kollegin aus dem MdJ, Hauptabteilungsleiterin Heinze,
die als SED-Mitglied zum Inspizienten-Kollektiv der Partei zählte und in
dieser Funktion vor Ort in Waldheim die Richter zum „sozialistischen
Wettbewerb“ beim Rechtsbruch antrieb und sie in die Mangel nahm, wenn die
Richter kleine Zeichen des Widerspruchs zeigten.
Zufällige Hinweise seines Chauffeurs und des damaligen sächsischen
Justizministers Dieckmann (LDPD) ließen Brandt schließlich aufhorchen und
eingreifen, obwohl sein Minister ihm den Ratschlag gab, die Finger von der
Sache zu lassen. Brandt eilte nach Waldheim, doch man verweigerte ihm
mehrfach den Zutritt zu diesen „öffentlichen Verfahren“.
Brandt ließ sich indessen nicht täuschen und intervenierte zunächst mit
Erfolg bei seinem Parteivorsitzenden, dem Stellvertretenden
Ministerpräsidenten Otto Nuschke. Im Juli 1950 kam es in der Regierung zum
offenen Streit. Nuschke verlangte, die Verfahren öffentlich und
ordnungsgemäß zu wiederholen, Walter Ulbricht tobte. Ministerpräsident
Grotewohl vertagte von Sitzung zu Sitzung die Entscheidung, Nuschke drängte
mit Schreiben vom 18.August des Jahres an Grotewohl und Fechner auf
Behandlung und legte dem Brief 13 besonders krasse Fallschilderungen bei.
Seine Forderung unter Hinweis auf die öffentliche Erregung, die diese
Prozesse inzwischen verursacht hatten: Überprüfung der Urteile durch einen
Ausschuß des Ministerrats.
Am 31.August ließ der Ministerpräsident die Regierung darüber abstimmen.
Bei Stimmenthaltung der LDPD-Mitglieder und einmütiger Ablehnung seitens
der SED-Genossen war die kleine Revolte der Blockpartei beendet. Brandt
wurde am 6. September 1950 verhaftet.
Das erste Haftjahr erlitt Brandt im Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen
mit Stehkarzer und Dunkelzelle. Nach vier Jahren wurde er am 5.Juni 1954
vom Obersten Gericht der DDR im Geheimverfahren zu zehn Jahren Zuchthaus
verurteilt. Ankläger war Kammergerichtsrat a.D. Melsheimer, im April 1940
von Hitler mit dem „Treuedienst-Ehrenzeichen, 2. Stufe“ ausgezeichnet, nun
Generalstaatsanwalt der DDR.
Die Anklage enthielt den besonders absurden Vorwurf, daß Brandt an der
Vorbereitung des Aufstands vom 17.Juni 1953 beteiligt gewesen sein solle.
Der Einfachheit halber hatte man ihn dem Scheinverfahren gegen die
sogenannte „Verschwörungsgruppe Dertinger“ zugeschlagen.
Die folgenden Jahre verbrachte Brandt in Haus IV des Zuchthauses
Brandenburg, unter anderen zusammen mit „seinem“ Justizminister Max
Fechner, der wenige Wochen nach dem 17.Juni verhaftet und 1955 zu acht
Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, aber bereits 1956 wieder entlassen
wurde.
Selbst in der kurzen Tauwetterperiode des Jahres 1956, als 35.000 von
insgesamt 60.000 Häftlingen die Gefängnisse verlassen konnten, war Brandt
nicht dabei. Erst 1958 wurde er vorfristig entlassen – doch nicht, wie es
auch die DDR- Gesetze vorsahen, an seinen Heimatort Berlin-West, sondern
nach Dresden. Dies war mit der Offerte einer Professur verbunden.
Beim Versuch, von Dresden nach Berlin zu fliehen, wurde Brandt 36 Stunden
nach der Haftentlassung vom MfS wieder festgenommen. Ihn erwarteten weitere
sechs Jahre Zuchthaus, nun in Bautzen II. Das Urteil verkündete jener
OG-Richter Ziegler, der Brandt bereits 1954 ins Gefängnis gebracht hatte.
Mitte 1962 leitete Walter Ulbricht einen neuen justizpolitischen Kurs ein,
in dessen Verlauf er der Justizministerin Hilde Benjamin „Erscheinungen des
Dogmatismus“ in der Strafpolitik vorwarf. Sie blieb zwar zunächst noch im
Amt, wurde jedoch entmachtet. Mit diesem „Neuen Kurs“ begann eine bis dato
unbekannte Variante des Interzonenhandels – das Geschäft mit Häftlingen.
Am 18.August 1964, nach mehr als 14 Jahren Haft, kam Brandt in die
Bundesrepublik, einer von insgesamt 800 in diesem Jahr verkauften
politischen Gefangenen. Die letzten Waldheim-Verurteilten waren längst
entlassen worden. So mußte Brandt für sein Waldheim- Engagement noch einen
höheren Preis als jene zahlen – von den 24 Hingerichteten abgesehen –, für
die er 1950 jene auch in der DDR- Verfassung des Jahres 1949 garantierten
Verfahrenssicherungen einforderte. Knapp über 50 Jahre alt, gesundheitlich
schwer angeschlagen, begann er in Bonn, sich als Anwalt eine neue Existenz
aufzubauen.
Heute steht Helmut Brandt vor dem achtzigsten Lebensjahr. Mag die
Verhandlung in Leipzig vielleicht auch Genugtuung bedeuten – wer von uns
wäre willens, für Genugtuung ein solches Leben einzutauschen?
26 Feb 1993
## AUTOREN
falco werkentin
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