| # taz.de -- ■ Nützliche Pflegetips für Flüssigkristall-Haustiere: Einen … | |
| Das Geschenk ist schnöde in Plastik eingeschweißt und die Verpackung | |
| übersät mit chinesisch anmutenden Schriftzeichen. Dazu gibt es eine | |
| Bedienungsanleitung, kopiert auf ein einfaches A4-Papier. Die Überschrift: | |
| „Flüssigkristall-Haustier: Küken“. | |
| Genau seit letzten Samstag bin ich Besitzerin eines Technotieres, des | |
| sogenannten Tamagotchi. Im Original stammen diese Viecher aus Japan, daher | |
| auch der Name: „Tamago“ heißt Ei. Jeder ordentliche Japaner pflegt | |
| inzwischen so eine Chipkreatur, die ungefähr wie ein Fahrradcomputer mit | |
| Schlüsselanhänger aussieht. Ausgestattet mit vier Bedienungsknöpfen, | |
| beginnt Tamagotchi zu leben, wenn sein Besitzer das Startzeichen gibt. | |
| Tamagotchi verhält sich fast wie ein handelsübliches Haustier. Es will | |
| essen und schlafen, und es macht Häufchen. Es will allerdings auch lernen | |
| sowie Tennis und Karten spielen. Und wer sein Tamagotchi vernachlässigt, | |
| den verläßt es – auf ewig, der Flüssigkristall- Gefährte taugt dann nur | |
| noch für den Mülleimer. | |
| Mein Tamagotchi ist ein Nachbau und wurde in China zusammengesetzt, sein | |
| Chip allerdings stammt aus Taiwan. Natürlich habe ich keine Minute | |
| gewartet, um es schlüpfen zu lassen. Knöpfchen drücken, Uhrzeit | |
| einprogrammieren: es piept, und der Countdown beginnt zu laufen. Auf dem | |
| Display tanzt ein Ei mit einem Riß. Fünf Minuten später piepst es erneut | |
| laut – und siehe da, das Ei verschwindet, und ein winziges Küken hüpft über | |
| den Minibildschirm. | |
| Erstmal füttern, denke ich, und stopfe den Kleinen per Knopfdruck mit zwei | |
| Portionen Reis und einem Glas Saft voll. Spielen will es auch. Ich wähle | |
| also das Tennisspiel, verstehe nicht sofort, worum es geht, und verliere | |
| prompt gegen das Neugeborene 0:5. | |
| Um zu wissen, wie es Tamagotchi gerade geht, wähle ich die | |
| Barometeranzeige. Alter: 0, Gewicht: 9 Gramm, Bildungsgrad: keine Anzeige, | |
| Sättigung: mittelmäßig, Laune: gut. Das sieht doch für den Anfang ganz gut | |
| aus. Wenn es irgend etwas will, wird es sich schon melden. In den nächsten | |
| Stunden habe ich zu tun: Kackhaufen wegschaufeln, die fast so groß sind wie | |
| das Tier selbst, einen Schal suchen, weil es schneit, und Bonbons | |
| verfüttern wegen der Laune. Um 22 Uhr lautes Gepiepe – Tamagotchi will | |
| schlafen. Ich muß das Knöpfchen für Lichtlöschen drücken. Auf dem Display | |
| wird es dunkel, und über dem kleinen Küken fliegt ein großes Z auf und ab. | |
| Es schnarcht – entzückend! | |
| Später darf es neben meinem Bett liegen. Es ist ja noch so klein. Doch | |
| dann, um fünf Uhr morgens, erfüllt traumkillendes Gefiepe das Schlafzimmer. | |
| Jetzt reicht's! „Mach du mal“, rufe ich meinem Freund zu, „du hast das Di… | |
| schließlich gekauft!“ Er gibt nach und übernimmt die erste Fütterung des | |
| Tages. Auch später kümmert er sich rührend und nimmt unser elektronisches | |
| Haustier sogar mit in die Vorlesung an der Uni. Unter den Kommilitonen | |
| befinden sich noch zwei weitere Tamagotchi-Halter. | |
| Die Gesprächsthemen des Vormittags drehen sich um die Brut: Wieviel wiegt | |
| deiner schon? Wieviel hat er bis jetzt gelernt? War er schon krank? | |
| (Tamagotchis werden regelmäßig krank und müssen dann zwei lebensrettende | |
| Spritzen erhalten.) Ein Mitstudent schüttelt nur den Kopf und fragt | |
| verzweifelt in den Raum: „Ist hier plötzlich eine Infantilitätsbombe | |
| geplatzt?“ Prompt schallt es zurück: „Du hast ja schon zwei Kinder | |
| aufgezogen!“ | |
| Das eigen Fleisch und Blut will stets betreut sein, ein Tamagotchi auch, | |
| sonst wird es übrigens häßlich – es ähnelt dann einer miesepetrigen Taube… | |
| und benimmt sich unmöglich und ungezogen. Also beruft unsere Kleinfamilie | |
| ein Treffen ein, um den Dienstplan für die Woche zu besprechen. Schnell ist | |
| eine partnerschaftliche Einigung erzielt: täglich abwechselnde Betreuung, | |
| am Wochenende gemeinsame Pflege. | |
| Mittlerweile kann ich mir ein Leben ohne Tamagotchi nicht mehr vorstellen. | |
| Von dem kleinen Vieh, beziehungsweise seinen Herstellern, wird man immerhin | |
| professionell beschissen: Auch bei sorgsamster Pflege, so die Auskunft | |
| erfahrener Tamagotchizüchter, beträgt die Lebenserwartung des | |
| elektronischen Federviehs höchstens vierzig Tage. | |
| Wer schon vorher keine Lust mehr auf das Flüssigkristall-Haustier hat, gibt | |
| es in Pflege – oder läßt es einfach eiskalt verenden. Antje Heinrich | |
| Wenn nicht gerade ausverkauft, kostet Tamagotchi im Elektrofachhandel 19,95 | |
| DM | |
| 11 Jun 1997 | |
| ## AUTOREN | |
| Antje Heinrich | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |