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# taz.de -- Ein Teppich zum Zählenlernen
> EMANZIPATION DER KÜNSTLERINNEN Ermutigung und Zurückweisung: Eine
> Ausstellung im Bauhaus-Archiv und eine im Keramik-Museum Berlin
> beleuchten den steinigen Weg junger Künstlerinnen in den zwanziger Jahren
VON RONALD BERG
Ist es ein Zufall oder scheint sich hier doch ein gesteigertes Interesse
widerzuspiegeln? Gleich zwei Bauhäuslerinnen werden derzeit an
verschiedenen Orten in Berlin mit Ausstellungen bedacht. Das Keramik-Museum
zeigt Margarete Heymann-Loebenstein, und im Bauhaus-Archiv bildet die Schau
zur Weberin Benita Koch-Otte gar den Auftakt zu einer dreiteiligen
Ausstellungsreihe „bauhaus weiblich“.
„Mehrere Nachlässe aus Privatbesitz gaben den Ausschlag für eine Bündelung
und damit Akzentsetzung über Frauen am Bauhaus“, erklärt Annemarie Jaeggi,
die Leiterin des Bauhaus-Archivs, die Hintergründe für die bis 2013
reichende Programmgestaltung an ihrem Haus. „Zum Thema gibt es in der
Forschung bereits einige Arbeiten, aber noch keine breite Wahrnehmung“,
meint Jaeggi. Offenbar tragen die Gender Studies an den Hochschulen
inzwischen Früchte, an denen sich der normale Ausstellungsbesucher jetzt
laben kann.
Benita Otte gehört zu den bislang wenig beachteten Künstlerinnen am
Bauhaus. Sie kam zum Sommersemester 1920 nach Weimar. Hatte die Mehrzahl
der Kunstakademien vor dem Ersten Weltkrieg Frauen ein Studium noch
verweigert, erklärte Bauhaus-Direktor Walter Gropius nach Gründung seiner
Schule 1919: „Aufgenommen wird jede unbescholtene Person ohne Rücksicht auf
Alter und Geschlecht, deren Vorbildung vom Meisterrat des Bauhauses als
ausreichend erachtet wird und soweit es der Raum zulässt.“
Ein schönes Versprechen, das damals nicht wenige junge Frauen auf ihrem Weg
in die Kunst ermutigte, und insofern schreibt sich das Bauhaus zu Recht in
sein Geschichtsbuch, zur Emanzipation der Künstlerinnen mit beigetragen zu
haben. Dass sich die Wirklichkeit dann jedoch wesentlich patriarchaler
gestaltete, von diesem Bauhaus-Paradox erzählen die Wege von Benita Otte
und Margarete Heymann-Loebenstein eben auch. Nicht umsonst ist von Oskar
Schlemmer der spöttische Vers überliefert: „Wo Wolle ist, ist auch ein
Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib“, der nicht grade von
großer Anerkennung der Weberinnen zeugt.
## Eine einsame Entscheidung
Benita Otte hat bereits eine Ausbildung als Zeichen- und Turnlehrerin, als
sie mit 28 Jahren am Bauhaus neu anfängt. Eine Entscheidung, die ihr Vater
für „unbegreiflich dumm“ hält. Trotz offizieller Gleichberechtigung ist d…
bis auf eine Frau männliche Lehrkörper – die „Meister“ – meist durcha…
noch patriarchalischer Gesinnung. Studentinnen werden in die traditionell
als weiblich erachtete Weberei abgedrängt. Benita Otte zeigte hier aber
eine auffällige Begabung und machte Karriere.
Das Bauhaus-Archiv zeigt nun die Ergebnisse von Benita Ottes Studien und
Webarbeiten am Bauhaus. Denn Belegstücke aus der Weberei blieben in Weimar
zurück. Heute bilden sie den Grundstock der Sammlung des dortigen
Bauhaus-Museums. Die formalen Zeichenstudien aus dem Vorkurs bei Johannes
Itten oder die Lehre von Klee und Feininger beeinflussten nicht nur die
seinerzeit entstandenen Aquarelle. Auch in Ottes Teppichen aus der Weimarer
Zeit scheint besonders Klees Stil- und Formkanon noch durch. Wandbehänge
und Stoffmuster aus der Sammlung der Kunsthochschule Burg Giebichenstein
(Halle/Saale), an die Benita Otte 1925 als Leiterin der Handweberei berufen
wurde, wirken dagegen geometrisch und formal wie farblich reduziert. Das
größte Stück, ein vier Meter langer Webteppich aus Rechteckformen in Braun,
Ocker und Rottönen, würde heute bei Ikea nicht weiter auffallen.
Der Berichtszeitraum der Schau im Bauhaus-Archiv endet 1933, als sämtliche
ehemaligen Bauhäusler in Halle entlassen wurden. Benita Otte, durch Heirat
mit dem an der Burg lehrenden Fotografen Heinrich Koch nun offiziell Benita
Koch-Otte, versucht sich mit ihrem Mann in Prag eine neue Existenz
aufzubauen. Der Unfalltod von Heinrich Koch durchkreuzt die Pläne, und
Benita Koch-Otte geht an die Bodelschwinghschen Behindertenanstalten in
Bethel, wo sie die Nazi-Zeit überdauert und bis 1957 die Weberei leitet.
Was wie eine innere Emigration aussieht, war wohl nicht in erster Linie
politisch motiviert. Dennoch: Die durchweg abstrakten Entwürfe für Teppiche
und Stoffe, wie die Ausstellung zeigt, sind dezidiert modern. Ihr
Kinderteppich für das Versuchshaus des Bauhauses in Weimar 1923 setzt seine
Quadrate, Recht- und Dreiecke so ein, dass Kleinkinder verschiedene
Spielflächen gewinnen, spielerisch beim Krabbeln durch die Abfolge der
einzelnen Elemente Zählen lernen.
Den stärksten Blickfang im Bauhaus-Archiv markiert aber ein
Dekorationsstoff von 1927: Das fast grelle Leuchten der zusammengesetzten
Streifen in Rot, Blau, Weiß, Grau und Schwarz ließe sich beliebig als
Meterware fortsetzen und spricht die Sprache der Maschinenästhetik. In
Wirklichkeit hat Benita Koch-Otte immer auf das handgearbeitete Einzelstück
gesetzt. Die angestrebte neue Einheit von Kunst und Technik, wie sie
Gropius ab 1925 in Dessau zusammen mit der Industrie anstrebte, war mit ein
Grund, warum Benita Koch-Otte dem Bauhaus den Rücken kehrte.
Margarete Heymann-Loebenstein kam zur gleichen Zeit wie Benita Koch-Otte
ans Bauhaus, besuchte ebenfalls den Vorkurs bei Itten, versuchte sich dann
aber auf die Arbeit mit Keramik zu spezialisieren. Aber: Das Bauhaus hält
sie bei der Aufnahme in die Töpferwerkstatt immer wieder hin. Der männlich
besetzte Meisterrat des Bauhauses hat Vorbehalte, ob Frauen überhaupt für
das Fach geeignet seien. 1921 verlässt Heymann das Bauhaus daher mit Eklat.
Sie ist 22 Jahre alt.
## 120 Beschäftigte
Beim komprimierten Überblick der Arbeiten der Künstlerin im Keramik-Museum
ist ein Bauhaus-Einfluss nur bis Mitte der 20er Jahre zu spüren. Die
archetypischen, rustikalen Formen der Vasen, Flaschen oder Schalen tragen
abstrakt-bunte Bemalungen wie sie bei Itten im Vorkurs erprobt sein
könnten. Nach ihrer Heirat mit dem Ökonomen Gustav Loebenstein gründen
beide 1923 die „Haël-Werkstätten für künstlerische Keramik“ in einem
ehemaligen Ofenbetrieb in Marwitz westlich von Berlin. Die Manufaktur mit
den Entwürfen Margarete Heymann-Loebensteins floriert. Bis zu 120
Beschäftigte produzieren modische Services oder Schreibtischgarnituren im
Art-déco-Stil.
Das Keramik-Museum zeigt auch extravagante Einzelstücke aus der Zeit in
schrillen Farben: etwa eine Schale mit spiralförmig einlaufender Rotglasur.
Nach der Weltwirtschaftskrise muss der Betrieb praktisch denken. Besser
abzusetzen ist das schlicht-gelbe und gut handhabbare Haël-Norma-Service
von 1932. Das Geschirr bleibt auch nach der Arisierung der Firma 1934 im
Programm der Nachfolgerin Hedwig Bollhagen.
Für Heymann-Loebenstein sind die Jahre 1928 bis zu ihrer Emigration nach
England 1936 nicht nur wegen ihrer jüdischen Herkunft eine Zeit der
Bedrängnis: 1928 stirbt ihr Mann durch einen Unfall, 1933 ihr fünfjähriger
Sohn. 1935 wird ihre Keramik in der Nazi-Presse als „entartet“ geschmäht.
Heymann-Loebenstein bleibt bis zu ihrem Tod 1991 in England, ohne dass sie
als Keramikerin noch einmal hervorgetreten wäre.
Beide, Koch-Otte und Heymann-Loebenstein, blieben der breiten
Öffentlichkeit bislang unbekannt. Ihre gemeinsame künstlerische
Initialzündung am Bauhaus rückt sie jetzt verstärkt in den Fokus. Der
Lebensweg beider beleuchtet nicht nur kunsthistorische Entwicklungen
innerhalb der Moderne, sondern auch Frauenschicksale. Ein Aspekt davon sind
das lange Zeit fehlende Interesse und die mangelnde Akzeptanz der
Leistungen von Frauen in der Kunst, die in der Regel unter widrigeren
Bedingungen anzutreten hatten als ihre männlichen Kollegen.
■ Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14, Mi.–So. 10–17 Uhr. Bis 27. August.
Katalog 15,90 Euro. Am 11. 7. führt Michael Siebenbrodt von der Klassik
Stiftung Weimar durch die Ausstellung
■ Keramik-Museum Berlin, Schustehrusstr. 13, Fr.–Mo. 13–17 Uhr, bis 22.
Oktober
5 Jul 2012
## AUTOREN
RONALD BERG
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