Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ein Signal gegen den Extremismus
> Bei der Stichwahl um die Präsidentschaft setzt sich Rumäniens ehemaliger
> Staatschef Ion Iliescu klar gegen den Nationalisten Corneliu Vadim Tudor
> durch. Als eins seiner wichtigsten Ziele kündigt Iliescu die Fortsetzung
> der europäischen Integration an
aus Bukarest KENO VERSECK
Mit Schaum vor dem Mund tobte der rumänische Führer am Sonntagabend, als er
das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen sah. Es sei ein „Sieg des
Antichristen“ und „der größte Wahlbetrug im Rumänien des 20. Jahrhundert…
schrie Corneliu Vadim Tudor, Chef der Großrumänien-Partei. Schon bald
würden seine Feinde stürzen, prophezeite er, in jedem Kind werde ein
kleiner Tudor geboren. So manchem Anwesenden gefror angesichts dieses auch
als Ausblick auf die Zukunft gemeinten Deliriums das Lächeln im Gesicht.
Tudor bekam in der Stichwahl mit rund 33 Prozent nur gut vier Prozent mehr
Stimmen als im ersten Wahlgang vor zwei Wochen. Der alte und neue
Staatspräsident Ion Iliescu hingegen erreichte bequeme 67 Prozent – ein
Ergebnis, dass sich durch die niedrige Wahlbeteteiligung von nur 50 Prozent
relativiert.
Über das Ergebnis sprach der Sieger Iliescu in einer zum Bersten
überfüllten Zentrale seiner „Partei der sozialen Demokratie“ – in der, …
üblich bei rumänischen Wahlen, allerlei Postenjäger und Karrieristen
erschienen waren, um sich mit den neuen Machthabern gutzustellen. Die
ernste Rede des 70-Jährigen klang, als stünde Rumänien vor seiner letzten
Chance – mit Iliescu als Retter. Eine Rede, die manchen früheren Reflex
enthielt und zugleich einen mehr oder weniger glaubwürdig gewandelten
Wendekommunisten zeigte.
Iliescu dankte den Wählern für ihr „Signal gegen Extremismus und
Totalitarismus“ und warnte, dass die antidemokratische Gefahr nicht vorbei
sei. Noch einmal klagte er die abgewählte Regierung an, sie habe „extreme
Armut“ hinterlassen, und versprach den Menschen ein „würdigeres Leben“. …
bekannte sich zur Fortsetzung der europäischen Integration und forderte
zugleich, diese müsse „in Würde“ geschehen.
Feste Versprechen mit nationalen Untertönen eines Mannes, der vieles in
seinem Leben war: kommunistischer Aktivist, Stalin-Verehrer,
Ceaușescu-Zögling, Ceaușescu-Kritiker, in Ungnade gefallener
Reformsozialist, nun Demokrat. Der dabei in Stil und Mentalität immer eines
geblieben ist: ein bescheiden wirkender Parteiaktivist, rechtschaffen in
den Grenzen des Systems.
Schon einmal hat Iliescu Rumänien in die Demokratie gerettet. Dies im
Dezember 1989, beim Sturz des Diktators Ceaușescu, getan zu haben, davon
ist er aufrichtig überzeugt. Aus Angst, die Revolte könne sein Land in zu
große Wirren stürzen, berief er sich an die Macht. Er scharte
Securitate-Offiziere ebenso um sich wie ehemalige Regimegegner. Seine
damalige Losung: „Ein Präsident der Ruhe“.
Es war eine böse Ruhe. In den von Iliescu mitinszenierten Straßenkämpfen
gegen fiktive „Terroristen“ starben im Dezember 1989 hunderte Menschen.
Mehrmals knüppelten Bergarbeiter 1990 demonstrierende Studenten und
Oppositionelle nieder: Kritiker, die seinen verspäteten Traum eines
menschlichen Sozialismus nicht mehr mitträumen wollten. Auch dabei gab es
Tote.
In seiner Amtszeit bis 1996 demokratisierte sich Rumänien nicht mit,
sondern meistens gegen ihn. Er akzeptierte seine Abwahl 1996 und wandelte
sich dennoch nur unter großen Mühen. Seinen demokratischen Kritikern kann
er nicht nachsehen, dass sie an seiner Schwerfälligkeit verzweifeln. Den
Toten hat er nicht verziehen, dass sie sterben mussten. Immer noch ist er
verletzt über Fragen nach seiner nicht endenden Vergangenheit.
Nun rettet Ion Iliescu Rumänien noch einmal. Viele seiner Kritiker haben
für ihn gestimmt, um die Machtergreifung des faschistoiden Nationalisten
Corneliu Vadim Tudor zu verhindern. So erfüllt sich halbherzig Ion Iliescus
großer Traum der „nationalen Versöhnung“, bei der alle allen schweigend u…
endlich vergessend die Hand reichen. „Ich wünsche mir ein Ende der Hetze.
Jetzt ist die Zeit der Einheit gekommen“, beschwor Iliescu am Sonntag seine
Zuhörer.
Eine letzte symbolische Demütigung erlebte der scheidende und erfolglose
demokratische Staatschef Emil Constantinescu, der im Sommer auf eine
Kandidatur verzichtet hatte. Als er aus einem Wahllokal im westrumänischen
Timișoara trat, schleuderte ein offenbar psychisch gestörter
„Großrumänien-Anhänger“ ihm blaue Farbe ins Gesicht. Constantinescu verl…
den Ort des Geschehens wortlos.
meinung SEITE 11
12 Dec 2000
## AUTOREN
KENO VERSECK
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.