| # taz.de -- Ein Naturphilosoph mit der Kamera | |
| > Alfred Ehrhardt war ein künstlerisches Multitalent: Viele seiner | |
| > Fotografien aus den 1930er Jahren sind nun in einem beeindruckenden Band | |
| > zu bewundern | |
| Bild: Scala pretiosa L., 1940/41 | |
| Von Wilfried Weinke | |
| Noch bis Mitte April 2019 zeigt die in Berlin ansässige Alfred Ehrhardt | |
| Stiftung Malerei, Zeichnungen und Grafik ihres Namengebers. Abstrakte, | |
| avantgardistische Kompositionen, beeinflusst durch Ehrhardts Aufenthalt am | |
| Dessauer Bauhaus sowie das dortige Studium bei Josef Albers und Wassily | |
| Kandinsky. Diese seit 1931 erstmals ausgestellten Arbeiten sowie die | |
| Diffamierung seiner als „kulturbolschewistisch“ geltenden Lehrtätigkeit | |
| führten im April 1933 zu seiner Entlassung von der Landeskunstschule | |
| Hamburg. | |
| Doch ließ diese Zwangsmaßnahme die Entwicklung des künstlerischen | |
| Multitalents Alfred Ehrhardt (1901–1984) nicht stagnieren. Fortan wandte | |
| sich der Organist, Chorleiter, Komponist und Kunstpädagoge der Fotografie | |
| und dem Film zu. Zuerst publizierte Ehrhardt, der keinem | |
| Veröffentlichungsverbot unterlag, seine Fotografien in Zeitschriften wie | |
| Atlantis und Westermanns Monatsheften. In Buchform erschienen sie vor allem | |
| im Hamburger Verlag Heinrich Ellermann: „Das Watt“ (1937), „Die Kurische | |
| Nehrung“ (1938), „Kristalle“ (1939), „Muscheln und Schnecken“ (1941). | |
| Insbesondere diese vier Fotobücher widmen sich in der Themenwahl der | |
| fotografischen Wahrnehmung und Vermittlung von Naturformen. | |
| Wer diese Bücher, die in Antiquariaten nur hochpreisig angeboten werden, | |
| nicht kennt, sich aber mit Ehrhardts Sichtweise beschäftigen möchte, dem | |
| bietet der jüngst veröffentlichte, schlicht „Alfred Ehrhardt. Fotografien“ | |
| betitelte Band eine preiswerte Gelegenheit in beeindruckender Qualität. Die | |
| in sieben Kapiteln gezeigten 176, zumeist ganzseitig gedruckten | |
| Duplexabbildungen präsentieren Ehrhardt als bedeutenden Vertreter deutscher | |
| Avantgarde-Fotografie. | |
| Seine Aufnahmen des von Prielen durchzogenen Watts, des von den Gezeiten | |
| wie durch den Wind gezeichneten, sich ständig verändernden Meeresbodens | |
| bestechen durch ihre technische Präzision. Die starken schwarz-weiß | |
| Kontraste betonen die ornamentale Struktur dieser nur auf den ersten Blick | |
| eintönigen Landschaft. Durch seine künstlerische Abstraktion, den gewählten | |
| Bildausschnitt, die serielle Wiedergabe des Motivs hilft der Fotograf dem | |
| Betrachter, die Formenvielfalt der von Regelmäßigkeiten und | |
| Unregelmäßigkeiten geprägten Natur eindringlicher zu erkennen. | |
| Gleiches gilt für seine Aufnahmen von der Kurischen Nehrung. Nur ist es | |
| hier der Wind allein, der die Formen der hohen Dünenlandschaft konturiert. | |
| Wiederum gestaltete der Fotograf die Bildkomposition; die von ihm gewählte | |
| Perspektive wie die Nutzung des Lichts betonen den Rhythmus, die Statik wie | |
| Dynamik des Landschaftsbildes. Da er in Wort und Bild das „Erlebnis einer | |
| immer neu formenden Kraft, das Erlebnis einer ewig tätigen Schöpfung“ | |
| beschwor, wurde er nicht ohne Grund als „Naturphilosoph mit der Kamera“ | |
| charakterisiert. | |
| Stärker noch als in seinen Fotografien von Landschaftsformationen blieb | |
| Ehrhardt in seinen Aufnahmen von Kristallen, Eisblumen, Muscheln und | |
| Schnecken, Korallen und Schwämmen der Neuen Sachlichkeit verpflichtet. | |
| Beeinflusst durch Bücher wie Karl Blossfeldts „Urformen der Kunst“ oder | |
| Albert Renger-Patzschs „Die Welt ist schön“ (beide 1928) schuf Alfred | |
| Ehrhardt exakte Fotografien vielfältiger Naturformen. | |
| Vor tiefschwarzem Hintergrund, ohne dass irgendwelche Lichtreflexe die | |
| Konzentration ablenken könnten, frontal und in Nahsicht, akzentuieren alle | |
| Aufnahmen die skulpturale Ästhetik der Motive. Ehrhardt lieferte | |
| Fotografien von meisterhafter Präzision. Wer sich von der Formenschönheit | |
| der Natur faszinieren lassen möchte, wird mit dieser deutsch/englischen | |
| Dokumentation des Fotografen Alfred Ehrhardt vortrefflich bedient. Ein | |
| Anhang mit Biografie, Bibliografie und Abbildungsverzeichnis erhöhen den | |
| Informationswert des Buches. | |
| Alfred Ehrhardt: „Fotografien“. Hrsg. von Christiane Stahl und Stefanie | |
| Odenthal für die Alfred Ehrhardt Stiftung. Berlin 2019. 232 Seiten, 39,80 | |
| Euro | |
| 13 Mar 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Weinke | |
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