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# taz.de -- Ein Engländer aus Kairo
> In seinem Buch „Orientalismus“ hat er die Sicht des Westens auf die
> arabische Welt als eine Wunschprojektion entlarvt. Sein politisches
> Engagement im Nahostkonflikt war von der palästinensischen
> Wurzellosigkeit geprägt: Zum Tod von Edward Said
von DANIEL BAX
Es gibt dieses Bild von Edward Said, auf dem der 65-Jährige bei einem
Besuch im Südlibanon einen Stein gegen einen israelischen Grenzposten
schleudert. Es ist unklar, unter welchen Umständen diese Aufnahme
entstanden ist, auf der er mit Schiebermütze und hochgekrempelten
Jackettärmeln ein wenig einem angegrauten Fußball-Hooligan gleicht. Aber
sie passt in das Bild, das von Edward Said im Westen, insbesondere in den
USA, vorherrschte: das eines leidenschaftlichen Anwalts der Palästinenser,
dem im Überschwang des Engagements schon mal die Pferde durchgehen.
Edward Said hat die altmodische Rolle des engagierten Intellektuellen
gespielt, wie sie im Buche steht. Er fühlte sich einer Wahrheit
verpflichtet, die er über die meist deprimierende Tagespolitik des Nahen
Ostens stellte, das hat er als seine Berufung verstanden und in seinem Buch
über den „Ort des Intellektuellen“ hinreichend dargelegt. Bis zur
Erschöpfung konnte er in seinen Leitartikeln und Essays, die in vielen
internationalen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht wurden, über die
Ungerechtigkeiten der Welt polemisieren, speziell über die
Ungerechtigkeiten gegen die arabische Welt, und dabei zeigte er sich oft
parteiisch, manchmal selbstgerecht und nicht immer frei von Ressentiments
gegen andere, von denen er annahm, dass sie ihm den Rang streitig machen
könnten als Deuter der Regungen der arabischen Seele. Dabei sah er sich
selbst nie als Experte für die islamische Welt an; vielmehr war ihm solches
Expertentum per se suspekt.
Es gibt nur wenige Autoren, deren Lebenswerk so sehr mit einem Buchtitel
verbunden wird. „Orientalismus“ von Edward Said erschien 1977 und bündelte
alles, was ihn zu dieser Zeit beschäftigte: sein Interesse an der
europäischen Literatur und am westlichen Imperialismus. Gegründet auf
Foucaults Diskurs- und Machttheorien, suchte er in der Orientliteratur
insbesondere des 19. Jahrhunderts nach Spuren, die vom kolonialen
Dominanzstreben jener Zeit zeugten. Seine Kritik an diesem europäischen
Orientdiskurs, den er als Teil einer Strategie begriff, sich die arabische
Welt untertan zu machen, weitete er später auf die moderne
Medienberichterstattung über die heutigen Konflikte in der Region aus. Die
westliche Animosität glaubte er in einem tief empfundenen Konkurrenzgefühl
begründet, aufgrund dessen der Okzident den Orient als Gegenspieler
betrachte und als Alter Ego imaginiere. So avancierte „Orientalismus“ zum
Schlagwort, mit dem jede als verzerrt empfundene Vorstellung vom Orient als
Konstrukt gebrandmarkt werden konnte, als Produkt westlicher Projektionen.
25 Jahre nach dem Erscheinen des Buches ist das Schlagwort noch immer
aktuell. Das ließ allerdings manche Widersprüche in Edward Saids
Argumentation in den Hintergrund treten. Dabei drehte sich Saids
Auseinandersetzung mit Koryphäen der Islamwissenschaft wie Bernard Lewis,
der Zeit seines Lebens so etwas wie sein Intimfeind war, im Kern um die
Frage, ob der Grund für die Krise der islamischen Welt vor allem im eigenen
Versagen begründet liegt oder aber äußerer Einwirkung geschuldet ist,
sprich: dem Kolonialismus und der andauernden Einflussnahme des Westens.
Lewis suchte auch nach inneren Faktoren, welche zur Krise führten. Said
betrachtete das als Ablenkungsmanöver von den wahren Problemen.
Saids offenkundige Abneigung gegen die moderne, sozialwissenschaftlich
inspirierte Nahostforschung, deren Vorliebe für Empirie und Mangel an
Empathie er schon in „Orientalismus“ beklagte, spricht aus all seinen
Büchern. Gleichzeitig blieb er jedoch die Frage schuldig, was denn die
Alternative sein könnte. Allein die Literatur? Mag sein, dass ihm die
angeblich zweckfreie Philologie der traditionellen deutschen Islamkunde
sympathischer war. Aber die Sehnsucht nach einem warmen, entrückten
westöstlichen Diwan jenseits kalter Machtinteressen hatte auch so ihre
Tücken, wie die seltsame Weltentrücktheit der deutschen
Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel aufzeigte.
Den Irakkrieg resümierend, hatte Edward Said jüngst in einem Essay (in Le
Monde diplomatique vom September) seine Thesen aus „Orientalismus“
bekräftigt und eine „Kultur der Einfühlung“ gefordert. Das klang doch sehr
nach einem Plädoyer für einen naiven Multikulturalismus, der grundsätzliche
Konflikte unter dem Mäntelchen des Miteinander-Redens beilegt. Und auch der
kann ja reines Machtkalkül sein: Samuel Huntington etwa, der vielfach
missverstandene Warner vor einem „Kampf der Kulturen“, wollte sein Traktat
ja gerade als Mahnung verstanden wissen, es nicht auf einen solchen
Konflikt ankommen zu lassen und deshalb die vermeintlich kulturellen
Differenzen besser auf sich beruhen zu lassen. Lieber gar nicht erst über
Menschenrechte reden, als anderen Kulturen unsere Wertmaßstäbe zu
oktroyieren, so sein Fazit: Eine Forderung, mit der Huntington bei
Autokraten aller Länder, von Iran bis Singapur, auf offene Türen stieß. In
diesem Licht erschien der Marshallplan für eine schrittweise
Demokratisierung der arabischen Welt, mit der die gegenwärtige
US-Administration vor dem Irakfeldzug so vollmundig hausieren ging,
sicherlich als das progressivere Konzept, wenngleich es auch kaum
glaubwürdig verfolgt wird: Bislang ist es bloßes Lippenbekenntnis.
Auf der anderen Seite hat diese Doppelzüngigkeit den latenten
Antiamerikanismus in der arabischen Welt nur verstärkt, wie auch Edward
Said bedauerte. In einem seiner letzten Essays für Le Monde diplomatique
vom März 2002 warnte er vor den „Gefahren eines allzu schlichten,
reduktiven oder statischen Denkens über Amerika“ in der Region. Ein solcher
Okzidentalismus, der im Westen die Wurzel allen Übels sieht, sei nur die
Kehrseite des westlichen Orientalismus.
Dass er an Leukämie litt, an der er am vergangenen Donnerstag in New York
mit 67 Jahren starb, hatte Edward Said vor elf Jahren durch eine
Routineuntersuchung beim Arzt erfahren. Das Wissen um seine Krankheit hatte
ihn zur Niederschrift seiner Memoiren bewegt. Doch als seine Autobiografie
„Am falschen Ort“ vor drei Jahren erschien, sorgte sie für Erstaunen. Kein
Wort war da die Rede von seinem politischen Engagement und seiner
literaturwissenschaftlichen Arbeit. Stattdessen berichtete Edward Said
detailreich über seine Kindheit und Jugend, die so gar nicht mit dem
palästinensischen Schicksal verbunden schien. Salman Rushdies auf den
Umschlag gedruckte Widmung, das Buch vermittle „einen Eindruck davon, was
es in den vergangenen fünfzig Jahren bedeutet hat, Palästinenser zu sein“,
legte jedenfalls nur einen Schluss nahe: dass der befreundete
Schriftsteller das Buch nicht gelesen hatte, bevor er dieses Urteil abgab.
Edward Said war 1935 bei einem Familienbesuch seiner Eltern in Jerusalem
geboren worden. Der Vater, ein palästinensischer Christ, hatte durch einen
längeren Aufenthalt in Amerika einen US-Pass erworben und betrieb in Kairo
ein florierendes Schreibwarengeschäft, das seine Produkte bald im gesamten
arabischen Raum vertrieb. Trotz ihres Wohlstands aber blieb die Familie
aufgrund ihrer Herkunft doch nur Außenseiter im großbürgerlichen Milieu der
Stadt. Ihren Fluchtpunkt suchte die Mutter, die aus einer angesehenen
palästinensischen Familie stammte, in der Anpassung an die Etikette der
schwindenden britischen Kolonialmacht. So wuchs der junge Edward, mit
englischem Namen ausgestattet, am Victoria College in Kairo auf wie ein
junger Engländer. Peinlich genau bis ins körperliche Detail beschreibt
Edward Said die Zurichtungen seiner Erziehung: Wie er zwischen Schule,
Sportclub und dem elterlichen Zuhause aufwächst, einigermaßen abgeschottet
von den turbulenten Entwicklungen in Ägypten, die schließlich zum Sturz des
Königs Faruk führen. Aber da ist Edward Said längst in die USA
übergesiedelt, als Student zunächst nach Princeton, später als Doktorand
nach Harvard.
Hier endet die Biografie. Das politische Engagement setzte erst später ein,
mit dem Sechstagekrieg. 1977 wurde Edward Said als unabhängiger Kandidat
ins Exilparlament der PLO gewählt, 1991 trat er wieder aus dem Gremium aus
– aus Protest gegen das Friedensabkommen von Oslo, das er als Ausverkauf
palästinensischer Interessen deutete. Seine Kritik entzündete sich daran,
dass alle wesentlichen Fragen – die Flüchtlingsfrage, der Status von
Jerusalem, die Siedlungen und Grenzen sowie die ausgebliebene Anerkennung
israelischer Schuld bei der Vertreibung – im Friedensvertrag ausgeklammert
worden waren.
Was damals wie ein starrsinniges Beharren auf utopischen Maximalforderungen
wirkte, erwies sich jedoch im Rückblick als durchaus klare Voraussicht.
Denn nicht zuletzt an diesen offen gebliebenen Fragen ist der
Friedensprozess von Oslo gescheitert: Der Siedlungsbau und die Schikanen
gingen weiter. Und dafür bekamen die Palästinenser eine Autonomiebehörde,
deren Inkompetenz, Korruption und mangelndes Demokratieverständnis Edward
Said nicht müde wurde anzuprangern. Seine Kritik an Arafats Führungsstil
brachte ihm zeitweilig sogar ein Verbot seiner Bücher in den autonomen
Gebieten ein, so tief ging der Bruch mit dem einstigen Mitstreiter.
Stattdessen gründete er, der als verhinderter Konzertpianist stets eine
Passion für klassische Musik pflegte, mit dem Dirigenten Daniel Barenboim
ein Forum für junge arabische und israelische Musiker, sein letzte Projekt.
Seit 1963 arbeitete Edward Said an der Columbia University in New York, wo
er bis zuletzt als Professor für Englische Literatur lehrte. Hier war er
genau am richtigen Ort. Denn nur hier konnte er zur wichtigsten
intellektuellen Stimme der palästinensischen Diaspora avancieren. Und
vielleicht war er, in seiner inneren Zerrissenheit und seiner
Überidentifikation mit einem Land, das er kaum je aus eigener Anschauung
gekannt hatte, eben gerade doch ein typischer Palästinenser, lebt doch die
große Mehrheit quer über den Globus verstreut im erzwungenen Exil.
29 Sep 2003
## AUTOREN
DANIEL BAX
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