# taz.de -- Durch den Schmerz gehen | |
> Die Journalistin Christiane Hoffmann las aus ihrem Buch „Alles, was wir | |
> nicht erinnern. Zu Fuß auf dem Fluchtweg meines Vaters“ im | |
> Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Sie gleicht darin | |
> die verklärte Vergangenheit mit der Gegenwart ab | |
Von Nora Rauschenbach | |
Der Saal des Dokumentationszentrums Flucht, Vertreibung, Versöhnung war | |
voll, zumindest so voll wie unter Coronabedingungen eben möglich. | |
Vorgestellt wurde am Montag das neue Buch der ehemaligen | |
Spiegel-Redakteurin und jetzigen stellvertretenden Regierungssprecherin | |
Christiane Hoffmann, „Alles, was wir nicht erinnern. Zu Fuß auf dem | |
Fluchtweg meines Vaters“. 75 Jahre nachdem ihr Vater als neunjähriger Junge | |
mit seinem gesamten Dorf aus dem Ort Rosenthal, heute Rózyna, in Schlesien | |
vertrieben wurde, ging sie den Fluchtweg zu Fuß nach. | |
Sehr eindrücklich beschreibt Christiane Hoffmann, dass die Flucht ihrer | |
Eltern für sie kontinuierlich Thema gewesen sei, auch wenn zu Hause über | |
den eigentlichen Fluchtweg kaum gesprochen wurde. Dennoch seien die | |
Fluchterfahrungen an sich nie ein Tabu gewesen, wie sich Hoffmann in der | |
Diskussion mit dem Moderator Jens Bisky und dem Historiker Andreas Kossert | |
erinnert. Das eigentliche Tabu sei, so die Autorin, viel subtiler und läge | |
auf einer emotionalen Ebene: „Ich hab eigentlich erst beim Schreiben des | |
Buches verstanden, wie viel mein Vater verloren hat“, so Hoffmann. | |
Nachdem sie Aufzeichnungen über die Fluchtstationen in den Unterlagen ihres | |
Vaters gefunden hatte, habe sie schließlich entschieden, diesen Fluchtweg | |
nachzugehen. Für Hoffmann war Rosenthal immer eine Art verlorene Heimat, | |
die sie aus Erzählungen kannte, die aber längst nicht mehr existierte. Mit | |
elf Jahren war sie das erste Mal in Rózyna gewesen und wurde schnell in | |
ihren Vorstellungen enttäuscht. | |
In ihrem Buch schreibt sie: „Die Heimat war ein Sehnsuchtsland, ein | |
Paradies, aus dem wir immer schon vertrieben waren. Dazu passte auch ihr | |
Name. Die Heimat hatte einen Namen wie aus dem Märchenbuch. Wunderschön | |
stellten wir sie uns vor, einen verwunschenen Ort an einem Fluss, in einer | |
Senke zwischen sanften Hügeln und weiten Feldern, umwuchert von Rosen. Die | |
Heimat hieß Rosenthal.“ | |
## Die Stimme zittert leicht | |
Es muss ernüchternd gewesen sein, dieses Bild, das sich Christiane Hoffmann | |
damals in ihrem Kopf zurechtgelegt hatte, einzutauschen gegen ein reales | |
von einem ärmlichen polnischen Dorf in den 70er Jahren. | |
Als Christiane Hoffmann vor das Podium tritt, um einige Passagen aus | |
„Alles, was wir nicht erinnern“ zu lesen, wirkt die zuvor selbstsichere | |
Autorin etwas verloren: Sie stützt sich auf ihrem Buch ab, ihre Stimme | |
zittert ein wenig, die Blicke schweifen immer mal wieder ins Publikum, sie | |
liest recht schnell. Als sie fertig ist, geht sie zügig wieder ab. Man | |
merkt, wie nah ihr doch die Thematik ihres Buches geht – schließlich geht | |
es um ihre Familiengeschichte, um die ihres Vaters und um ihre eigene. Mit | |
ihrer Aufregung hat sie das Publikum noch ein Stück näher an sich und ihre | |
Geschichte herangelassen. | |
Das Buch spielt keineswegs nur in der Vergangenheit. Es geht hier stets um | |
eine Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart. Christiane Hoffmann | |
erzählt, wie sich die bloße Auseinandersetzung mit dem Ort allmählich | |
erschöpft habe und wie sie erst nach dem Tod ihres Vaters verstanden habe, | |
dass es auch um den tatsächlichen Fluchtweg gehe. | |
Um die Erfahrungen, die sie beim Nachwandern dieser Route gemacht hat, mit | |
dem Publikum zu teilen, liest Christiane Hoffmann einen weiteren Abschnitt. | |
Man erfährt vom physischen Schmerz durch das lange Gehen und den eisigen | |
Wind und vom psychischen Schmerz durch die Einsamkeit und das Nachempfinden | |
der Situation ihres Vaters. Die vorgelesene Stelle bleibt unkommentiert, | |
was die Frage aufwerfen könnte, ob die Gegenwartsdarstellung hier nicht | |
etwas zu kurz kommt. Allerdings sind Hoffmanns Worte so stark, dass sie für | |
sich allein stehen und es keiner weiteren Erläuterung bedarf. | |
24 Feb 2022 | |
## AUTOREN | |
Nora Rauschenbach | |
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