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# taz.de -- Drei neue Gedanken: Bildung löst keine Probleme
> Aladin El-Mafaalani, Erziehungswissenschaftler, hat drei neue Gedanken zu
> Bildung.
Bild: Aladin El-Mafaalani 2019
Von [1][ALADIN EL-MAFAALANI]
+++ Dieser Text wurde im Februar verfasst +++
## Bildung ist für kein Problem die Lösung
Ausnahmslos alle sind sich einig: Bildung ist gut, Bildung ist wichtig. Es
ist eigentlich egal, worum es geht, wenn man nicht mehr weiterweiß, wird
Bildung als Zauberformel und Allheilmittel, als Lückenfüller oder als
Totschlagargument ins Spiel gebracht. Bildung ist ein Mythos, ein kaum
bestimmbarer Begriff, den man über jedes gesellschaftliche Problem stülpen
kann. Aber: Ich habe noch kein Problem ausfindig gemacht, das sich mit
Bildung lösen lässt. Klimawandel? Je höher der Bildungsabschluss und je
ausgeprägter das Umweltbewusstsein eines Menschen, desto größer sein
ökologischer Fußabdruck. Andere gesellschaftliche Großbaustellen, etwa
Digitalisierung und globale Migration, haben mit Bildung ebenso wenig zu
tun. Und Kriminalität? Nun, wir wissen, dass die gefährliche Kriminalität
in »systemrelevanten« Bereichen von Menschen ausgeübt wird, die ziemlich
gut gebildet sind – mit sinkendem Bildungsgrad sinkt meist auch das
Gefahrenpotenzial. Ähnliches gilt für Populisten – das Problem sind die
Gebildeten und nicht die Ungebildeten. Regelmäßig weisen populistische
Fraktionen in unseren Parlamenten eine besondere Konzentration von
akademischen Titeln auf.
In aller Regel wird angenommen, dass Bildung der Schlüssel zur Bekämpfung
sozialer Ungleichheit sei. Und tatsächlich ist Bildung ein zentrales Medium
für Teilhabe. Dies gilt für ein humankapitalistisches Bildungsverständnis,
bei dem der Erwerb gesellschaftlich verwertbarer Kompetenzen im Vordergrund
steht, genauso wie für das humanistische, das die Persönlichkeitsbildung
durch die Aneignung der Welt ins Zentrum rückt. Aber – und das wird leider
regelmäßig übersehen –, unsere Gesellschaft ist durch soziale Ungleichheit
geprägt, nein, sogar strukturell auf soziale Ungleichheit angewiesen. Und
Bildung ist die zentrale Grundlage zur Legitimation dieser Ungleichheit.
Die Institutionen, die federführend für Bildung zuständig sind, haben also
einen spannungsreichen Doppelcharakter: Einerseits sollen sie
Chancengleichheit und Fairness gewährleisten, wo strukturell keine gleichen
Startchancen vorliegen können, weil unsere Gesellschaft sehr ungleiche
Familienverhältnisse und damit auch Kindheiten produziert, andererseits
legitimieren sie durch Selektion, differenzierende Laufbahnen und
Zertifikate die Ungleichheit. Die Frage, genau genommen, das Problem ist:
Wie soll das von einer Lehrkraft, die 50 bis 300 Kinder in einem
45-Minuten-Takt beschult, aufgelöst werden?!
## Mehr Bildung kann die Ungleichheit verschärfen
Bildungsexpansion ist eine zentrale Strategie. Immer mehr Menschen machen
höhere Abschlüsse an Gymnasien und Universitäten und lernen entsprechend
immer mehr und immer länger. Aber das verschärft das Problem sozialer
Benachteiligung in mindestens zweierlei Hinsicht: Erstens sind die höheren
Abschlüsse immer weniger wert, wodurch ein Hochschulabschluss zwar
notwendiges, aber keinesfalls hinreichendes Kriterium für eine Karriere
ist. Und das kann dazu führen, dass Vitamin B und teure
Spezialinvestitionen (etwa Auslandsaufenthalte) immer wichtiger werden, was
bedeutet, dass leistungsfremde Kriterien, die darüber hinaus – je nach
Elternhaus – sehr ungleich verteilt sind, an Bedeutung gewinnen, wodurch
sich die soziale Benachteiligung selbst auf hohem Bildungsniveau über die
gesamte Biografie aufrechterhält. Zweitens sind die einfachen und mittleren
Abschlüsse extrem entwertet worden und ermöglichen gar keine berufliche
Karriere mehr.
Im Gegenteil: Selbst ein einigermaßen sicherer und respektabler Platz in
der Gesellschaft ist fraglich. Man kann vielleicht noch weitergehen: Wer
jetzt, wo doch die Hälfte eines Jahrgangs studiert, »nur« mit einem
Hauptschulabschluss dasteht, den kann man umso legitimer unter Druck
setzen, ausgrenzen, missachten. Was für Arbeiterkinder früher ein
kollektives Schicksal war, kann heute – freilich für quantitativ viel
weniger Menschen – als Versagen und Inkompetenz persönlich zugeschrieben
werden, was eine ganz neue Qualität hat. Anders lassen sich sowohl die
zunehmende Resignation in unteren Milieus als auch die erodierende
Solidarität beziehungsweise die sozialpolitische Kälte kaum begreifen.
## Mehr Bildung führt zum Gegenteil von Konsens
Verrückt ist auch die Vorstellung, dass ein Mehr an Bildung zu weniger
hitzigen Kontroversen führen würde, vielleicht sogar zu einer einfacheren
Konsensbildung. Dem läge die Vorstellung zugrunde, dass Bildung auf einen
ganz konkreten, feststehenden Punkt hinführe – was im Übrigen wohl etwas
mit dem theologischen Ursprung dieses sehr deutschen Begriffs zu tun hat,
denn Bildung sollte den Weg zu Gott ebnen. Davon haben wir uns
verabschiedet, aber noch nicht ganz von der magischen Aura des Begriffs. Es
ist eigentlich ganz einfach: Bildung ermöglicht Teilhabe. Die Teilhabe von
immer mehr Menschen, die immer kompetenter sind, erzeugt viele neue
Kontroversen, die deshalb überfordern, weil die Gesellschaft darauf nicht
eingestellt ist. Wir sollten Bildung also nicht als Lösung von Problemen
sehen, sondern die Perspektive wechseln.
Bildung und Teilhabe für immer mehr Menschen erzeugt Probleme, nämlich
genau die Probleme, die eine offene Gesellschaft im Werden kennzeichnen:
Die fehlenden Strukturen und Prozesse, mit einer gleichwertigen Teilhabe
aller überhaupt zurechtzukommen (und dabei noch nachhaltig zu sein).
Hierfür muss sehr viel verändert werden. Wie bei jedem Problem müssen
Entscheidungen und Handlungen erfolgen. Diese sind weder alternativlos noch
beliebig. Das ist sehr komplex und anstrengend. Aber man sollte das nicht
aussitzen und warten, bis alle Menschen das Abitur haben, weil dafür die
Zeit fehlt und es kein bisschen helfen würde – was für alle anderen
genannten Problem in gleicher Weise gilt!
[2][Aladin El-Mafaalani], Jahrgang 1978, ist Professor für
Erziehungswissenschaft an der Uni Osnabrück. In seinem Bestseller Das
Integrationsparadox argumentiert er, dass zunehmende Konflikte Zeichen
einer gelingenden Integration sind. Soeben erschienen: Mythos Bildung,
KiWi, 2020 – 320 Seiten, 20 Euro
7 May 2020
## LINKS
[1] /Aladin-El-Mafaalani/!a56084/
[2] /Aladin-El-Mafaalani/!a56084/
## AUTOREN
Aladin El-Mafaalani
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