# taz.de -- Dorfsterben in Mecklenburg: Zwischen Erschöpfung und Euphorie | |
> Im Kloster in Rühn in Mecklenburg-Vorpommern kamen Menschen zusammen, die | |
> neue Konzepte für den ländlichen Raum entwerfen. | |
Bild: Fehlende Freizeitangebote, schlechte Infrastruktur: stirbt das Dorf in Me… | |
von [1][ANN-KATHRIN LIEDTKE] | |
So wie Sarah denken viele junge Menschen auf dem Land: „Ich will auf keinen | |
Fall hier bleiben.“ Keine Jobs, keine Freizeitangebote, keine Perspektive. | |
Die junge Frau – zierlich, blondierte Haare, dunkel geschminkte Augen – | |
wohnt in Bützow. Leer stehende Häuser mit zersprungenen Fenstern und | |
schiefen Türen zeigen, dass in der Kleinstadt in Mecklenburg noch viel zu | |
tun ist. „Hier ist einfach nichts los“, erzählt sie. „Und Bützow ist no… | |
eine der größeren Städte hier.“ | |
Die taz sagt: Wir müssen reden. Bis zur Bundestagswahl im September tourt | |
taz.meinland deshalb durch die Republik. Wir wollen wissen: Was ist hier | |
eigentlich los? | |
## Vorurteile über Bord werfen | |
Dieses Mal in Rühn. In Dörfern leben immer weniger und immer ältere Leute. | |
In Mecklenburg-Vorpommern wurden seit 2007 fast 50 Schulen geschlossen – | |
rund neun Prozent aller öffentlichen Schulen. Um dem demografischen Wandel | |
etwas entgegenzusetzen, luden die Menschen hier Künstler ein, eröffneten | |
ein Dorfcafé, richteten eine offene Werkstatt oder Fahrgemeinschaften ein. | |
Aber solche ehrenamtlichen Initiativen kosten Kraft. | |
In Rühn kamen am Dienstag wichtige Akteure der Region zusammen, um darüber | |
zu sprechen, woher diese Kraft eigentlich kommt. | |
Im September war taz.meinland in Güstrow zu Gast, 23 Kilometer von Rühn | |
entfernt. Es ging um Rechtsextremismus in Ostdeutschland, um völkische | |
Siedler. „Als mir meine Tochter aus Berlin erzählte, dass Güstrow dort als | |
No-go-Area gilt, war ich fassungslos“, sagt Heidemarie Beyer, ehemalige | |
SPD-Landtagsabgeordnete. Sie war damals auf der Veranstaltung der taz | |
dabei. Ihr sei an dem Abend der Kragen geplatzt. Sie schrieb eine Mail und | |
lud die taz ein, Mecklenburg von einer anderen Seite kennenzulernen. „Ich | |
dachte mir: Wir sind doch mehr Menschen als nur die Rechtsradikalen.“ | |
## Es passiert einiges | |
Zustimmendes Nicken im Kloster Rühn. Mehr als 60 Menschen sind an diesem | |
Dienstag gekommen, neun geladene Gesprächsteilnehmer und die | |
taz-KollegInnen Jakob Werlitz und Luise Strothmann. Letztere ist selbst in | |
der Gegend aufgewachsen, sie hatte die Gesprächsrunde zusammengestellt. | |
Die Menschen hier sind sich einig: Es passiert einiges. In Bernitt, einem | |
500-Einwohner-Dorf, eröffnete vor knapp einer Woche ein neuer Dorfladen. | |
Hans-Georg Harloff vom Klosterverein Rühn setzt sich seit Jahren für die | |
Renovierung des Klostergeländes ein, auf dem sich schon eine Gaststätte | |
angesiedelt hat. Gottfried Hägele vom PferdemarktQuartier in Bützow | |
versucht den Leerstand in seiner Stadt zu bekämpfen und will die Mobilität | |
stärken, indem er sich für Rufbusse einsetzt. | |
Dass solche Initiativen oft von außen kommen, wird in der Diskussion | |
schnell deutlich. Es kommt die Frage auf: „Wie viele echte Mecklenburger | |
sind denn hier?“ Gelächter. Die meisten sind Zugezogene. Doch woran liegt | |
es, dass sich vor allem die engagieren, die neu in der Region sind? „Man | |
kann als Außenstehender aus einem anderen Blickwinkel auf die Probleme | |
schauen“, meint Takwe Kaenders vom Verein Rothener Hof. „Und außerdem hat | |
man noch die Energie, etwas zu verändern.“ | |
„Man will sich als Fremder besonders anstrengen, sich zu integrieren“, | |
ergänzt Gottfried Hägele. Er ist Schwabe, seine Frau Mecklenburgerin. Trotz | |
aller Euphorie an diesem Abend räumt er auch Erschöpfung ein: „Manchmal | |
fühlt man sich wie ein Ackergaul. So ein Ehrenamt ist auch anstrengend.“ | |
Wichtig ist die Wiederkehr | |
„Ich engagiere mich. Ich finde es schön hier. Aber ich gehe trotzdem weg“, | |
sagt Friethjof Schulz während der Diskussion. Mecklenburg könne junge | |
Menschen einfach wenig bieten. Kein Kino in der näheren Umgebung, keine | |
Clubs oder Theater. Er selbst hätte zwar Filmabende für die Gemeinde | |
organisiert, aber einfach mal spontan ins Kino gehen? Das geht nicht. | |
Das Problem sei doch nicht, dass junge Menschen weggehen würden, erwidert | |
Barbara Wetzel vom Verein Allerhand Qualitz. Es sei sogar gut, wenn sie | |
weggingen, um neue Eindrücke zu sammeln. Das Wichtige sei doch, dass sie | |
irgendwann wiederkehren. | |
„Die Ehrenämter müssen längerfristig vor allem neue Jobs schaffen“, sagt | |
Harloff. „Wir müssen Arbeitsplätze direkt in den Gemeinden selbst | |
einrichten. Nicht nur in den Städten. Das ist die einzige Chance, die | |
Mecklenburg hat.“ | |
Am Ende der Aussprache geht es dann doch auch um den Umgang mit | |
Rechtsradikalen, die Integration von „Fremden“. Sophia Schützler, die schon | |
als Jugendliche Theatercamps in Mecklenburg organisierte, bringt die | |
Beobachtungen auf den Punkt: „Ich muss sagen, dass wir alle ziemlich weiß | |
sind. Das darf man nicht einfach übersehen, wenn wir hier über Integration | |
sprechen.“ | |
13 Mar 2017 | |
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## AUTOREN | |
Ann-Kathrin Liedtke | |
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