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# taz.de -- Don DeLillos 9/11-Roman: Die Sprache nach dem Einschlag
> Der amerikanische Schriftsteller DeLillo hat einen Roman über 9/11
> geschrieben. Vermessener Anspruch - verblüffendes Ergebnis: "Falling Man"
> scheitert nicht ganz.
Bild: Flexible und bildmächtige Sprache: Cover von "Falling Man".
Die ersten und die letzten Seiten dieses Romans sind fulminant. Und sie
müssen es sein, wenn man als Autor schon die Unverfrorenheit besitzt, den
Einsturz des World Trade Centers in Sprache zu konservieren.
Jay McInerney hat sich in seinem kürzlich erschienenen Roman "Das gute
Leben" darum gedrückt. Don DeLillo hingegen lässt einem die Worte um die
Ohren fliegen: "Das Röhren hing immer noch in der Luft, das Bersten und
Rumpeln des Einsturzes. Das war jetzt die Welt. Qualm und Asche kamen die
Straße entlanggewalzt und um die Ecken, stoben um die Ecken, seismische
Qualmfluten und vorbeizischendes Schreibpapier, Normblätter mit scharfen
Kanten, vorbeistreichend, -peitschend, anderweltliche Dinge im Sarg dieses
Morgens."
DeLillos Sprache ist flexibel und absolut sachgemäß: amplifiziert und
bildmächtig in der Beschreibung des apokalyptischen Szenarios; ungelenk und
karg, manchmal nah am Verstummen, wenn es gilt, die Gespräche und inneren
Monologe der Überlebenden abzubilden, die langsam versuchen, sich in ihrem
Alltag "danach" einzurichten. Ihm gelingt das, woran McInerney scheitert -
er findet nicht nur eine Sprache, sondern zugleich auch eine angemessene
narrative Form für 9/11. Seine fragmentierte Erzählstruktur, diese harte,
kontrastreiche Montage von kleineren, in der Chronologie springenden,
ständig die Perspektive wechselnden und enorme Lücken lassenden
Prosaschnipsel bildet das Chaos, die Verstörung, die reale und mentale
Trümmerlandschaft, die der Einsturz des WTC hinterlassen hat, gewissermaßen
ab.
Keith Neudecker überlebt diese Apokalypse durch Zufall. Leicht verletzt,
von Staub, Asche, Glas und "organischem Shrapnell" bedeckt, lässt er sich
sofort zu seiner Frau Lianne und seinem Sohn Justin fahren, von denen er
seit Monaten getrennt lebt. Lianne nimmt ihn wieder auf, und DeLillo
umkreist nun die Familie und ihr Umfeld in der langen Zeit der
Konsolidierung. Es gibt hier keinen richtigen Plot, DeLillo reiht
Alltagsszenen aneinander. Er beschreibt die obligatorische
Theodizee-Debatte (ist die Katastrophe nicht ein Indiz für die
Nichtexistenz Gottes?); die hitzigen Diskussionen über die mentale,
religiöse, politische Konstitution der Muslime; die Reaktionen der Kinder,
die sich ihre eigene magische Erzählung schaffen vom sagenhaften Bill
Lawton (Bin Laden) - und den Himmel nach weiteren Flugzeugen absuchen. Und
er fängt die ganze normale, sich langsam hochschaukelnde Paranoia ein, in
deren Folge Lianne schließlich handgreiflich wird, als die Nachbarin sich
weigert, ihre orientalisch anmutende Musik leiser zu stellen.
Und dazwischen immer wieder Alltagsszenen, die fast schon ein bisschen zu
offensichtlich symbolisch aufgeladen sind: Rituale, automatisierte, beinahe
liturgische Handlungen. So widmet sich Keith übereifrig der Reha-Gymnastik,
um seine lädierte Hand zu kurieren: "Nicht die magnetische
Resonanzspektroskopie hatte sein Befinden verbessert und nicht die
Operation. Sondern sein bescheidenes Heimprogramm, das Zählen der Sekunden,
das Zählen der Wiederholungen, die Tageszeiten, die er für die Übungen
reservierte, die Eispackung nach jedem Satz Übungen." Nachgerade zwanghaft
versuchen die Menschen Normalität herzustellen.
Dem widersetzt sich jedoch der titelgebende "Falling Man", ein
Aktionskünstler, der sich in Anzug und Krawatte, ein Abbild der
verzweifelten Todesspringer des 11. September, an einem Sicherheitsseil von
Hochhäusern stürzt. Man weiß nicht recht, was seine Performance soll. Sie
ist ein Rätsel, das keine Funktion zu haben scheint, außer an das viel
größere Rätsel zu erinnern. Hinter dem Falling Man verbirgt sich der Autor
selbst, und dessen Darbietungen sind eine verschlüsselte Geste der
Resignation und Demut. Auch dieser Roman wird nichts erklären, er kann nur
versuchen, das Geschehene in Sprache aufzuheben. In einer Diskussion über
die Funktion der Kunst in diesen Zeiten bringt DeLillo seine bescheidene
Poetik noch einmal auf den Punkt: "Du hast das Ereignis, du hast den
Einzelnen. Das musst du ermessen. Dir davon etwas beibringen lassen. Es
sehen. Mach dich ihm gleich."
Und das gelingt ihm durchaus an einigen Stellen. Sogar die Passagen, in
denen DeLillo aus der Perspektive Hammads erzählt, des zunächst zweifelnden
Terroristenschülers, der sich aber überzeugen lässt, zu einem gläubigen
Gotteskrieger mutiert und dann auch zu den Flugzeug-Kidnappern gehört,
wirken gar nicht so unplausibel, weil er einem von Szene zu Szene immer
fremder und unverstehbarer wird.
Dass Keith sich am Ende als Poker-Profi verdingt, ist dann etwas zu grell
als Chiffre für die absurde und also grauenhafte Aleatorik des Lebens, das
ohne barmherzigen Schöpfergott auskommen muss. Aber selbst das nimmt man
noch hin, weil er dessen psychische Versehrtheit überzeugend zu
protokollieren weiß.
"Falling Man" ist sperrig, über weite Strecken erstaunlich unspannend und
zugleich ein Paradebeispiel dafür, was Literatur dokumentarisch zu leisten
vermag. DeLillo liefert hier nicht weniger als ein Seismogramm der New
Yorker Seelenlage nach dem Fall der Türme.
Don DeLillo: "Falling Man". Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007, 266 Seiten, 19,90 Euro
31 Oct 2007
## AUTOREN
Frank Schäfer
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