| # taz.de -- Dokumentation des Briefs von Burkhard Garweg: Grüße aus der Illeg… | |
| > An Familie, Freund*innen, Genoss*innen, Verbündete, | |
| > Wagenplatzbewohner*innen, an alle, die sich mit meiner und unserer Sicht | |
| > auseinandersetzen wollen | |
| Legal, illegal, scheißegal. Am 26. Februar diesen Jahres wurde Daniela | |
| Klette in Berlin verhaftet. Journalist*innen, die sich bereitwillig als | |
| Hilfspolizist*innen angedient hatten und dazu beitrugen, den zunehmend | |
| autoritär agierenden Staat um die staatliche und gesellschaftliche | |
| Gemeinschaft von Fahnder*innen und Denunziant*innen zu ergänzen, | |
| hatten mit KI-Technologie Bilder von Daniela im Internet aufgespürt. Das | |
| historische Verdienst dieser podcastjournalistischen Denunziant*innen | |
| wird es gewesen sein, im richtigen Moment den Beweis für die angebliche | |
| Notwendigkeit biometrischer Kontrolle durch Gesichtserkennung auf dem Weg | |
| zum totalitären Kontrollstaat erbracht zu haben. | |
| Die darauf folgende polizeiliche Fahndung gegen Volker Staub und mich sind | |
| seither geprägt von Lügen und Hetze. Das Haus, in dem Daniela gewohnt | |
| hatte, wurde wie auch die Nachbarhäuser wegen angeblich gefährlicher | |
| Sprengstoffe medienwirksam evakuiert. Es ist mittlerweile bekannt, dass | |
| eine gefundene Granate und eine gefundene Panzerfaust Atrappen waren. Das | |
| muss die Polizei von Anfang an gewußt haben. Diese ganze Aktion über | |
| mehrere Tage war eine Operation zur Täuschung und Manipulation der | |
| Öffentlichkeit. | |
| Die fortwährende Propagierung unserer Gewalttätigkeit und Gefährlichkeit, | |
| die Haus- und Wagenplatzdurchsuchungen in martialischer Form, gepanzerte | |
| Fahrzeuge und MP-bewaffnete Polizist*innen, als sei der Krieg | |
| ausgebrochen, Kontrollen und Festnahmen, sind mit den bewußt erzeugten | |
| Bildern nichts als die Behauptung der Notwendigkeit polizeilicher | |
| Militarisierung und eine Inszenierung, um die Bevölkerung zur Fahndung zu | |
| mobilisieren. | |
| Vor allem aber geht es ihnen mit dem erzeugten Bild krimineller | |
| Gewalttäter*innen darum, die Geschichte der Fundamental-Opposition zu | |
| entpolitisieren und zu denunzieren – jene Geschichte des historischen | |
| Versuchs, zur Befreiung von den Gewaltverhältnissen des Kapitalismus | |
| beizutragen, der aus dem Widerstand der (19)68er Bewegung hervorgegangen | |
| und mit den weltweiten revolutionären und antikolonialen Kämpfen verbunden | |
| war. | |
| Vor 26 Jahren endete das Projekt Stadtguerilla in Form der RAF. Jedoch | |
| endete für uns, die wir als Militante der RAF verfolgt wurden, nicht das | |
| Leben in der Illegalität. Das Bild, das von uns zu erzeugen versucht wird, | |
| beschreibt eine gewalttätig marodierende Räuberbande, die für die | |
| Allgemeinheit gefährlich und auch zum Töten bereit sei – und das nur für | |
| Geld. Für uns ist es jedoch ausgeschlossen, für Geld Gewalt gegen Menschen | |
| auszuüben, die sie töten oder physisch verletzen könnte. Jegliche | |
| Traumatisierung von Angestellten von Kassenbüros oder Geldtransportern ist | |
| zu bedauern. | |
| „Gewalt ist das Fundament der bürgerlichen Gesellschaft: im Elend ihres | |
| Strafvollzugs, in den Ghettos unterhalb des bürgerlichen Alltags, in der | |
| Militarisierung der „inneren Sicherheit“, in ihrem Ausbeutungsverhältnis“ | |
| (Peter Brückner, 1976) | |
| Staatliche Gewalt trifft viele. Es sind die, die gegen den Genozid in Gaza | |
| demonstrieren und gegen eine deutsche Regierung, die die Waffen dafür | |
| liefert, und dafür dem autoritär-gewalttätigen Gemisch aus Polizeiknüppel, | |
| Gefangennahme, Bedrohung durch die Justiz, Bedrohung durch Abschiebung, | |
| Verlust des Arbeitsplatzes und geheimdienstlicher Überwachung ausgesetzt | |
| sind oder deren Demonstrationen gleich ganz verboten werden. Es sind die, | |
| die aus ihren Dörfern vertrieben werden, weil Energiekonzerne mit den | |
| dortigen fossilen Brennstoffen Profite machen wollen. Es sind die, die | |
| durch Kriege, durch die Zerstörung des Klimas und durch Armut zu Migration | |
| gezwungen werden und dabei im Mittelmeer zu Tausenden ertrinken, an | |
| deutschen und EU-Grenzen abgewiesen werden oder in Abschiebeknästen landen. | |
| Es sind die, die sich die Miete für ihre Wohnung nicht mehr leisten können | |
| und dafür von der Polizei zwangsgeräumt werden. Es sind die 141 Menschen, | |
| die in Afghanistan mit NATO-Bomben kaltblütig ermordet wurden – auf Befehl | |
| des deutschen Bundeswehrsoldaten Klein, der das befahl, obwohl er zuvor von | |
| US-Militärs informiert worden war, die 141 Menschen seien Zivilist*innen, | |
| und der dafür von der deutschen Bundesregierung zum General befördert | |
| wurde… | |
| Als Teil der revolutionaren Linken waren wir – und ich sage: sind wir – | |
| davon überzeugt, dass ein auf Gewalt beruhendes System keine Legitimation | |
| hat, und dass dessen emanzipatorische Überwindung erreicht werden kann. Wir | |
| verabscheuen jede Form von Gewaltverhältnissen und sehnen uns nach einer | |
| Welt, deren Grundlage nicht Gewalt, Tod und Elend ist. Wir sind einst | |
| aufgebrochen, um dazu beizutragen, die Gewalt des Kapitalismus, Herrschaft | |
| des Menschen über den Menschen, Ausbeutung, Militarismus und Krieg zu | |
| beenden und in eine andere gesellschaftliche Wirklichkeit zu | |
| transformieren. Wir waren Teil aller, die sich in der Geschichte der Kämpfe | |
| für menschliche Emanzipation, Freiheit und Selbsbestimmung auflehnten. | |
| Wir gingen davon aus: Wer die Frage nach einer gewaltfreien Gesellschaft | |
| stellt, die nicht dem Profit der Wenigen verpflichtet ist, der Spaltung der | |
| Menschen in schwarz und weiß, in arm und reich oder in Mann oder Frau, muss | |
| sich irgendwann zwangsläufig mit der Frage von struktureller Gewalt des | |
| Systems, revolutionärer Gegenbewegung und revolutionärer Selbstverteidigung | |
| auseinandersetzen. | |
| Das martialische Auftreten gegen uns vollzieht sich im Kontext der | |
| Gegenwart gesellschaftlicher Entwicklung, in der sich die Frage nach der | |
| antikapitalistischen Systemalternative aktualisiert. Daher soll jeder | |
| Gedanke an und jede Geschichte von fundamentaler Opposition gegen das | |
| kapitalistische und imperialistische System diskreditiert werden. | |
| Die großen Probleme der Menschheit: Zerstörung der ökologischen | |
| Lebensbedingungen, Nationalismus, Krieg und Armut werden objektiv im | |
| Kapitalismus nicht gelöst werden können. Antifaschismus ist | |
| antikapitalistisch, oder er bleibt wirkungslos. | |
| Das Erstarken der radikalen Rechten in ganz Europa ist Ausdruck der | |
| anhaltenden und zunehmenden Krise des Kapitalismus. Die rechten Parteien, | |
| die in immer mehr EU-Ländern in die regierenden Eliten integriert werden – | |
| Italien, Holland, Österreich, Frankreich sowie auf Ebene der EU – | |
| versammeln einen Teil der Abgehängten oder jene, die Angst vor dem sozialen | |
| Abstieg haben, mit Scheinlösungen, die den Kapitalismus nicht in Frage | |
| stellen, hinter sich. Die europäischen Eliten und die rechten Parteien | |
| haben längst dieselbe Krisenlösung im Programm: autoritärer Staat gegen die | |
| Nicht-Gehorsamen, Sozialstaatsabbau, massive Rüstung und Erhöhung der | |
| Kriegsführungsfähigkeit, Aufrüstung der Polizei und Erweiterungen ihrer | |
| Befugnisse sowie polizeiliche und geheimdienstliche Kontrolle der | |
| Gesellschaft, Nationalismus, Migrant*innen als Sündenböcke für die Krise | |
| und Massenabschiebungen. | |
| Im Kampf des Westens gegen den drohenden Verlust ihrer weltweiten Hegemonie | |
| setzen die Herrschenden auf Militarisierung und planen Krieg bis zur | |
| Dimension des 3. Weltkriegs. Wir sind im Zeitalter des zunehmend | |
| autoritären Staates angekommen. Ein zweifellos bedrohlicher | |
| gesellschaftlicher Zustand. Es ist das Zeitalter der Kriege, sozialen | |
| Verwerfungen und der reaktionären Besinnung auf Volk und Nation. Aber es | |
| spricht auch dafür, dass den Herrschenden die Dinge entgleiten könnten und | |
| sich die Frage stellt: Was tun? Entwickeln sich in Zukunft Klassenkämpfe, | |
| die die Ausbeutungs und Unterdrückungsverhältnisse in kollektiven Prozessen | |
| in Frage stellen und bekämpfen? | |
| Illegalität, Solidarität und „Terroristen“ | |
| Wir sind in Jahrzehnten der Illegalität auf viele Menschen getroffen. | |
| Freund*innen, Verbündete, Nachbar*innen, meine | |
| Wagenplatzmitbewohner*innen und viele mehr. Ich lebte viele Jahre | |
| mit Menschen, die nicht wußten, aus was für einer Geschichte ich kam. Als | |
| Illegale*r ist es nicht möglich, von der eigenen Illegalität zu erzählen. | |
| Bitte verzeiht das. | |
| Mit dem Ende dieser gemeinsamen Zeit kam für sie die Repression. Wagenplatz | |
| und Hausdurchsuchungen: lokale Kriegssimulationen – etwas, was ich nie | |
| gewollt habe, aber am Ende nicht mehr in meiner Hand lag. Den | |
| revolutionären und emanzipatorischen Kämpfen folgt die Repression – und so | |
| wird es sein, bis der Emanzipationskampf über das Unrecht siegt. | |
| Wir sind Teil der Geschichte der weltweiten Rebellionen, die es gibt, | |
| seitdem es Herrschaft und Sklav*innen gibt; die es gibt, seitdem | |
| Patriachat-, seitdem Kapitalismus und Kolonialismus das Übel der Menschheit | |
| sind. Aus dieser Perspektive liegt die Verantwortung für Repression bei den | |
| Herrschenden und bei niemandem sonst.Repression ist ein | |
| Herrschaftsinstrument. Aus meiner Sicht – und das wäre unsere Sicht – gibt | |
| es darauf nur eine Antwort: Solidarität. | |
| Wir sind so, wie wir waren und sind so, wie viele uns in der langen Zeit | |
| der Illegalität kennengelernt haben. Auseinandersetzungen um | |
| Gewaltverhältnisse – patriachale Gewalt, Armut und Rassismus fanden – wie | |
| vieles andere – Widerhall in Begegnungen und Freund*innenschaften mit | |
| Menschen in dieser Zeit und sind Teil meines und unseres Lebens. | |
| Vieles, was wir mit anderen in den Jahrzehnten unserer Illegalität zu tun | |
| hatten, Wege, die wir mit anderen gegangen sind, erzählen von der Suche | |
| nach einer solidarischen und emanzipatorischen Wirklichkeit jenseits | |
| kapitalistischer Gewaltverhältnisse.Die Verbundenheit mit anderen in dieser | |
| Zeit ist der Spiegel unserer Realität – davon, wie und wer wir sind. | |
| In der Geschichtsschreibung der Herrschenden ist fundamentaler Widerstand | |
| gegen das kapitalistische System: Kriminalität, Gewalt und Terror. Das | |
| erzeugte Bild soll die Wirklichkeit ersetzen und verschleiern, dass es die | |
| strukturelle Gewalt des Systems ist, die das große Problem der Menschheit | |
| ist. Das erzeugte Bild vom „Terroristen“ soll die Geschichte des | |
| Widerstands gegen die kapitalistischen Gewaltverhältnisse entpolitisieren, | |
| soll spalten, soll vernebeln, dass die staatliche Gewalt und die | |
| Gewaltverhälnisse des kapitalistischen Systems für viele Menschen auf der | |
| Welt wirklich nur noch Terror ist. | |
| Solidarität unter uns – mit denen, die gestern, heute oder morgen gegen | |
| dieses System rebellierten, rebellieren oder rebellieren werden | |
| Daniela – Tag für Tag in der Gefängniszelle eingeschlossen.Und das, obwohl | |
| die abgründige Realität der Verhältnisse zeigt: Sie mögen manche ihrer | |
| Gesetze auf ihrer Seite haben, die Legitimation haben sie nicht. Die | |
| historischen Versuche unzähliger Menschen in vielen Jahrhunderten jene | |
| Verhältnisse zu überwinden – gegen die Gewalt derer, die wollen, dass alles | |
| so bleibt wie es ist, die die menschliche Emanzipation und Befreiung zu | |
| Unrecht und das Unrecht zu Recht erklären – waren und sind vollkommen | |
| legitim. Der Staat setzt auf Abschreckung und zielt damit nicht nur auf | |
| Daniela, sondern auf alle, die sich nicht fügen, die nicht akzeptieren, | |
| dass die Menschheit keine Alternative zum Kapitalismus und damit zur | |
| Zerstörung des Planeten hätte. | |
| Solidarisiert Euch! | |
| Das Unmögliche möglich machen, wie Che Guevara sagte, hat heute einen für | |
| die Menschheit existenziellen Sinn: gegen die Abgründe des | |
| „Zeitenwende“-Zeitalters die Systemalternative in kollektiven Prozessen | |
| wieder denken zu lernen und sie in der Perspektive gemeinsam und | |
| international erkämpfen; die Logik der Herrschenden, es gäbe keine | |
| Alternative zum Kapitalismus -„there is no alternative“- in uns und in | |
| allen Verhältnissen durchbrechen. Das historische Fenster des Epochenbruchs | |
| – systemischer und gesellschaftlicher Erosionen des Kapitalismus – öffnet | |
| sich gegenwärtig immer weiter. In der weiter voranschreitenden Zuspitzung | |
| der Verhältnissse lauert ein neues Zeitalter der Barbarei. Einzig Kämpfe | |
| einer sozialrevolutionären Gegenbewegung könnten eine Alternative dazu | |
| ergeben. | |
| Heute wäre die sozialrevolutionäre Alternative zur fortschreitenden | |
| Faschisierung des kapitalistischen Systems, sich auch in der Metropole | |
| ausbreitenden Armut, kommendem globalen Krieg und ökologischen Vernichtung | |
| des Planeten ein Sozialismus, der aus den Fehlern der Geschichte lernt und | |
| damit die Möglichkeit bieten würde, eine befreite Gesellschaft aufzubauen – | |
| für eine Welt der Kollektivität, der Freiheit von Patriachat, Ausbeutung, | |
| Herrschaft und Nation sowie des Überlebens der Natur. | |
| Diese Welt wird ohne eine in der zunehmenden Krise und in den rasant | |
| wachsenden sozialen Kämpfen der Zukunft präsente, kämpferische, kreative | |
| und vielfältige Bewegung nicht zu haben sein. Dies wäre die Rekonstruktion | |
| von Handlungsfähigkeit einer antikapitalistischen, sozialrevolutionären und | |
| internationalistischen Linken, die über über ihren Tellerand hinaus wirkt. | |
| Das Ende des Dornröschenschlafes – es wird Zeit – es ist Zeit, sich zu | |
| bewegen. | |
| Solidarität mit Daniela! Solidarität mit den Genoss*innen im Exil, allen | |
| Untergetauchten und den Gefangenen aus den Kämpfen der Antifa, des | |
| Widerstands, der kurdischen und türkischen Genoss*innen, der Klimabewegung | |
| und allen anderen emanzipatorischen Kämpfen der Welt! | |
| Die Forderung nach sofortiger Freilassung von Daniela ist gerechtfertigt. | |
| Martin (Burkhard Garweg) | |
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| 21 Dec 2024 | |
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