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# taz.de -- Diskriminierung einer Mutter: Ein Kind zu viel
> Sule Eisele durfte nach einer Schwangerschaft nicht auf ihre alte Stelle
> zurück. Jetzt hat sie ihren ehemaligen Arbeitgeber wegen Diskriminierung
> auf 500.000 Euro verklagt.
Bild: Sule Eisele (mit Tochter Talisa) wollte nach der Schwangerschaft wieder a…
Sule Eisele, 39, weiß: "Ich bin kein Einzelfall." Und das treibt sie an,
durchzuhalten. Trotz der mehr als zehn Aktenordner, die das Verfahren
bereits füllt. Trotz der Wut, dass all das noch möglich ist, was bisher war
und wie sehr es sie selbst verändert hat: "Früher war ich ein offener,
fröhlicher Mensch, heute bin ich sehr misstrauisch." Heute geht vor dem
Arbeitsgericht Wiesbaden der Prozess weiter, der zum Präzedenzfall werden
könnte, weil er andere motiviert, es der zweifachen Mutter gleichzutun:
Wegen Diskriminierung und Mobbing verklagt Sule Eisele ihren Arbeitgeber,
die R+V Versicherung, eine der größten Versicherungen Deutschlands, auf
500.000 Euro Schadensersatz.
Bis vor zwei Jahren war für die Familie Eisele das Leben noch in Ordnung.
Die Arbeitsteilung lief blendend: Ihr Mann Josef kümmerte sich um den
Haushalt und die Kinder, Sule Eisele verdiente als Versicherungsberaterin
das Einkommen. 2005 waren die beiden mit ihrer Tochter Janine, heute sechs,
für den neuen Job bei der R+V Versicherung von Tübingen nach Bad Saulgau
gezogen. Hier war der Bezirk, in dem Eisele schnell erfolgreich war. Die
Arbeitgeber lobten sie. Als Sule Eisele noch mit ihrer zweiten, heute 16
Monate alten, Tochter Talisa schwanger war, informierte sie ihren
Arbeitgeber: Nach dem Mutterschutz, der für acht Wochen nach der Geburt
gilt, wolle sie wieder voll einsteigen. Das "Gesetz zum Schutz der
erwerbstätigen Mutter" soll sicherstellen, dass Frauen nach dem
Mutterschutz Anspruch auf ihren alten Job haben.
Dann die böse Überraschung: Noch vor der Geburt der zweiten Tochter wird
Eisele der Mann, den sie für ihre Vertretung hält, als ihr langfristiger
Nachfolger präsentiert. Weil die Firma davon ausgehe, dass sie sich für
längere Zeit in den Erziehungsurlaub verabschieden werde. Daraufhin stellt
Eisele noch einmal schriftlich klar: So ist es nicht. Sie wolle wieder voll
arbeiten. Kurz vor Ende des Mutterschutzes lädt sie ihr Chef dann zum
Gespräch und bezweifelt, dass sie wegen des Wohls der Kinder wieder voll
arbeiten wolle. Eisele widerspricht. Resultat des Austausches: Eisele
bekommt einen anderes Gebiet, das "vergleichbar" sein solle. Das jedoch ist
so strukturschwach, dass mit Abschlüssen und damit Provisionen, wie sie
Eisele in ihren altem Bezirk erzielen konnte, nicht zu rechnen ist. Und als
Eisele gleich nach Ende des Mutterschutzes im August 2007 zurück in ihr
Büro will, sei sie nicht mal mehr in das Bankgebäude hineingelassen worden.
Auch der Zugang zur Firmen-EDV ist gesperrt. Eisele kann keine Daten und
E-Mails einsehen, nichts machen und niemanden interessierts. Der
Betriebsrat unterstützt sie faktisch nicht, die Rechtsabteilung schlägt
vor: Wenn sie ein Problem habe, solle sie doch klagen.
Sechs Monate dauert es, bis der EDV-Zugang für Eisele neu eingerichtet
wird. Mehrmals hatte sie zuvor immer wieder nachgehakt, für sechs Wochen
schrieb sie ihr Arzt wegen Depressionen und Magenkrämpfen in dieser Zeit
schon krank. Als sich Eisele dann persönlich in der Filiale ihres neuen
Bezirkes vorstellt, heißt es: Sobald man sie brauche, werde man sich
melden. Über Monate hinweg meldet sich niemand. Die Diskriminierung als
Mutter, das vom Arbeitgeber auch bis heute von sich gewiesene Mobbing, hat
Sule Eisele tief verwundet. Und sie hat Angst, dass sie das Geschwulst des
Misstrauens gegenüber Menschen nicht wieder loswird, dass es auf ihre
Töchter abfärbt.
Doch andere Mitarbeiter des Unternehmens, die sich teils anonym bei ihr
meldeten und berichteten, dass es ihnen ähnlich ergangen sei, bestärkten
sie darin, sich weiter zu wehren. Denn: "Hier wird wissentlich gegen
Gesetze verstoßen. Das kann doch nicht so weitergehen." Eisele wünscht
sich, dass die Klage, die Höhe des Schmerzensgeldes aufrüttelt, auch von
den Arbeitgebern als Stoppschild verstanden wird: Schluss mit Mobbing,
Schluss mit Diskriminierung. 500.000 Euro - die Summe mag für deutsche
Verhältnisse zunächst ungewöhnlich hoch klingen. Zustande kommt sie durch
durch den langfristig geschätzten Verdienstausfall von 440.000 Euro -
berechnet nach der Kattensteinformel, die in Deutschland zum Beispiel auch
bei Schadensersatzforderungen nach Verkehrsunfällen herangezogen wird - und
dem Schmerzensgeld in Höhe etwa eines Jahresgehalts.
Klaus Michael Alenfelder und Frank Jansen vertreten gemeinsam Eisele vor
Gericht gegen die R+V Versicherung. Beide sind im Präsidium der Deutschen
Gesellschaft für Antidiskriminierungsrecht und erhoffen sich von einem
gewonnenen Prozess vor allem eins: Abschreckung. "In deutschen Unternehmen
gibt es eine Kultur der Diskriminierung und des Mobbings", sagt Jansen,
"doch solange das nichts kostet, wird sich nichts ändern."
30 Oct 2008
## AUTOREN
Felix Rettberg
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