# taz.de -- Die verschärfte „Streif“ | |
> ■ Generalprobe auf der Olympia-Abfahrt von 1992 PRESS-SCHLAG | |
Ehemalige Spitzensportler sind ein Menschenschlag, der mit äußerster | |
Vorsicht zu genießen ist, besonders, wenn diese Leute dem ausgeübten Sport | |
in irgendeiner Funktion verbunden bleiben und sich berufen fühlen, ihren | |
jugendlichen Epigonen zu zeigen, wo es langzugehen hat, sie zu triezen und | |
zu malträtieren und keinen Zweifel daran zu lassen, wie viel besser doch | |
früher alles war. | |
Handelt es sich um ehemalige Ski-Asse, konstruieren sie gern besonders | |
gemeine Skipisten. Unvergessen die teuflische Abfahrtsstrecke, die Cindy | |
Nelson für die Frauenabfahrt bei den Ski-Weltmeisterschaften 1989 in | |
Vail/Colorado entwarf. Erst nach einigen schweren Stürzen erklärte sich die | |
US-Amerikanerin bereit, wenigstens den hinterlistigsten Sprung, bei dem die | |
Läuferinnen fünf Meter hoch und dreißig Meter weit geschleudert wurden, | |
abzutragen. | |
Konstrukteur der Männerabfahrt von Vail, bei der vor allem die | |
„Rattlesnake-Alley“, eine Art Bobbahn, für Aufsehen sorgte, war der | |
Schweizer Bernhard Russi, Olympiasieger von Sapporo 1972. Russi wurde auch | |
mit der Gestaltung der Abfahrten für die Winterspiele 1992 in Albertville | |
betraut und hatte sogleich mit der in Meribel befindlichen Frauenabfahrt | |
gelindes Ensetzen ausgelöst. Den Läuferinnen wurde schon beim Anblick der | |
Strecke schlecht, erst nach etlichen Entschärfungen erklärten sie sich | |
bereit, diese Strecke hinunterzufahren. | |
Gemeinsam mit Frankreichs dreifachem Goldmedaillengewinner von 1968, | |
Jean-Claude Killy, hat Russi die Abfahrt der Männer ausgeheckt, auf der am | |
Wochenende zwei Weltcup-Abfahrten gestartet werden. „Da fahr ich nicht | |
runter“, erklärte Hans- Jörg Tauscher, Weltmeister von 1989, spontan bei | |
der ersten Besichtigung der „Face de Bellevarde“ in Val d'Isère. „Das ist | |
ein Kitzbühel von oben bis unten, nur ohne leichte Stellen“, urteilte Sepp | |
Messner, der Sicherheitsbeauftragte des Internationalen Skiverbandes. 30 | |
Prozent durchschnittliches Gefälle hat die Kitzbüheler „Streif“, die | |
schwerste Abfahrt der Welt, die „Bellevarde“ jedoch besitzt 37 Prozent. 63 | |
Prozent sind es am steilsten Hang, wo die Fahrer 140 Stundenkilometer | |
erreichen. Hinzu kommen niederträchtige Stellen wie der „Startschuß“, der | |
in einer Breite von vier bis fünf Metern zwischen Felswand und Abgrund | |
entlang führt, oder eine fast senkrecht abfallende Felsscharte. | |
Killy kennt die Strecke von Kindesbeinen an: „Als ich klein war, sagte mir | |
mein Vater, diese Piste ist viel zu steil für dich. das schaffst du in | |
vier, fünf Jahren. Am nächsten Tag war ich drauf.“ Doch selbst Russi war | |
skeptisch, als ihm Killy die „Bellevarde“ zum ersten Mal präsentierte: „… | |
kommt nie einer runter.“ Mittlerweile ist der eleganteste Abfahrer aller | |
Zeiten jedoch überzeugt, seine bisher „anspruchsvollste und vollkommmenste | |
Abfahrt“ gebaut zu haben, bei der auch die Sicherheit gewährleistet sei. | |
„Wir konstruieren bestimmt keine Todespiste“, behauptet der Schweizer, die | |
Geschwindigkeit gehöre zum Spiel, „aber nicht die Unfälle.“ Ein „Maximu… | |
Sicherheitsnetzen“ soll die Läufer bei Stürzen vor üblen Folgen bewahren, | |
außerdem würden sie an den gefährlichen Stellen durch Tore abgebremst. „Der | |
Rennläufer muß seine Geschwindigkeit ständig unter Kontrolle haben. Der | |
Leichtsinnigste wird nicht gewinnen.“ Eine Auffassung, die Russis alter | |
Konkurrent Franz Klammer bestätigt: „Es ist ein Weg zurück zur technisch | |
schwierigen Abfahrt.“ | |
Ausgesprochen stolz ist Jean- Claude Killy darauf, daß zum ersten Mal bei | |
einem großen Ereignis des alpinen Skisports ökologische Gesichtspunkte | |
berücksichtigt wurden. „Wir haben fünfmal so viele Bäume gepflanzt, wie wir | |
abholzen mußten“, und um ein seltenes Gebirgsgras zu schützen, sei extra | |
eine Kurve gebaut worden. | |
Besonderer Clou der rund vier Millionen Mark teuren olympischen | |
Abfahrtspiste ist ihre Übersichtlichkeit. Vom größten Naturstadion der Welt | |
aus können die Zuschauer rund 80 Prozent der Strecke mit bloßem Auge | |
einsehen. Matti | |
7 Feb 1991 | |
## AUTOREN | |
matti | |
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