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# taz.de -- Die Waffe der Sanktionen muß mit äußerster Härte angewendet wer…
## Die Rebellion der Diktatoren
Zu Beginn seines Aufrufs „Die Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni – Worum
es wirklich geht“ argumentiert Wole Soyinka, Moshood Abiola habe mit seinem
Sieg bei den Präsidentschaftswahlen in Nigeria ein Mandat von allen Volks-
und Religionsgruppen des Landes erhalten. Es sei daher falsch, den
Machtkampf in Nigeria auf religiöse oder Stammesrivalitäten zu reduzieren.
Wer das behaupte, sei ein politischer Opportunist – „von General Babangida
und seiner selbst-verewigenden Kabale schamlos bestochen und manipuliert“.
Im Grunde geht es nur darum, daß eine Wahl stattfand, daß die Ergebnisse
bekannt und unumstritten sind. Die Wahlen wurden allgemein als die
freiesten und fairsten bezeichnet, die je in Nigeria abgehalten wurden. Was
vorgefallen ist, muß – ungeachtet der offensichtlichen Unterschiede in
Details – gesehen werden als ein Vorgehen ähnlich dem Coup der Generäle in
Griechenland oder der Subversion der haitianischen Regierung durch eine
militärische Kabale in der jüngsten Zeit.
Muß die Welt darauf warten, bis wieder einmal „Menschen verschwinden“, bis
Folterkammern institutionalisiert werden, bis alle Stimmen wieder zum
Verstummen gebracht worden sind?
Der Ablauf der Ereignisse hat bereits begonnen. In Vorbereitung dieses
Aktes der Rebellion sind bislang in unserer Geschichte unbekannte Dekrete
verabschiedet worden, die den Akt des Hochverrats derart definieren, daß
praktisch jede Art der Diskussion oder auch Erklärung über den Status quo
in Nigeria zu einer strafbaren Handlung gemacht wird. Der Präsident der
„Vereinigung nigerianischer Schriftsteller“, Ken Saro- Wiwa, befindet sich
zur Zeit bereits in Haft. Er wartet auf seine Aburteilung nach diesem
Dekret.
Milliarden Dollar sind vom Babangida-Regime für diesen nie endenden
Übergangsversuch ausgegeben worden, Milliarden in einem Land, in dem das
Gesundheitssystem praktisch verschwunden ist; ein Land, dessen
Erziehungssysteme praktisch bis zur Auslöschung verrottet sind; ein Land,
in dem sich die Arbeitslosenquote rasch den 50 Prozent nähert. Öffentliche
Dienstleistungen sind praktisch zum Stillstand gekommen. Die nationale
Verschuldung hat astronomische Ausmaße angenommen. Und doch ist Babangida
entschlossen, sein Programm der Täuschung, der Manipulationen und der
Egomanie durch rücksichtsloses, unkontrolliertes Ausgeben zu verlängern.
Die Nigerianer fühlen sich erniedrigt und gedemütigt. Nahezu 100 Menschen
wurden von Polizisten und Soldaten getötet, in jenen Unruhen, die auf die
Annullierung der Wahlergebnisse folgten.
Die Nigerianer haben das Gefühl, einem verrückt gewordenen Improvisator
ausgeliefert zu sein, der mit ihrem Schicksal spielt, allein darauf aus,
sich in der Macht zu verewigen. Ist es nicht bezeichnend, daß er gezielt
den Chef des nigerianischen Staatssicherheitsdienstes Major Halilu Akilu
zum Mitglied jener Kommission gemacht hat, die die Installation einer
weiteren „Interimsregierung“ beaufsichtigen soll?
Halilu Akilu ist just der Mann, aus dessen Büro mit Hilfe verschiedener
Front-Organisationen die verschiedenen „Babangida-muß- bleiben“-Kampagnen
gefahren wurden: „Drittes Auge“, „Komitee der elder statesmen“ und die
notorische „Vereinigung für ein besseres Nigeria“, deren wichtigster
öffentlicher Sprecher der ehrgeizige Waffenhändler Häuptling Arthur Nzeribe
ist.
Auch wenn diese letzte Organisation nicht am 16. Juli durch einen ihrer
früheren Direktoren, Abimbola Davis, als von Babangida erfundene
Front-Organisation bloßgestellt worden wäre, hätten die Nigerianer doch
bemerkt, daß die „Vereinigung für ein besseres Nigeria“, wie auch andere
pro-militärische „freiwillige“ Organisationen, Geschöpfe aus der Kasse des
Geheimdienstes von Major Halilu sind, mit öffentlichen Geldern finanziert
und unter seiner absoluten Kontrolle. Die öffentliche Bloßstellung der
operationalen Details dieser Gruppe aus ihrem Innern heraus haben der
Regierung jedoch jeden Anschein von Ehrlichkeit genommen und ihren
angeblichen Einsatz für die Demokratie Lügen gestraft.
Wir können das Handeln der Regierung nur als Verrat gegen den Staat
bezeichnen. Und nun wird dieser Akt des Vergehens gegen den Staat auch noch
abgesegnet. Der Mann, der diese Straftat begangen hat, der Direktor des
Sicherheitsdienstes, wird nämlich ganz förmlich mit der Aufgabe betraut,
einen weiteren Versuch des Übergangs zur „Demokratie“ zu beaufsichtigen. Es
bedarf keiner großen seherischen Fähigkeiten, um vorauszusagen, in welche
Richtung das seit langem leidende nigerianische Volk nun geschoben werden
soll.
Die internationale Gemeinschaft ist verpflichtet, jetzt zu handeln. Das
Versprechen, die Macht am 27. August an eine gewählte Regierung von
Zivilisten zu übergeben, wurde nicht nur gegenüber den Nigerianern, sondern
auch gegenüber der ganzen Welt ausgesprochen; und zwar nicht nur einmal,
sondern gleich mehrfach. Diejenigen, die noch in den Regierungssesseln in
der Hauptstadt Abuja sitzen, die jetzt wieder einmal ihre noch ganz
frischen Erklärungen widerrufen haben, die jeden progressiven Schritt zur
Erfüllung ihres eigenen demokratischen Programms zunichte machen, müssen
nicht nur als unseriöse Menschen, sondern als Rebellen behandelt werden.
Was wir jetzt brauchen, ist eine aktive Ermutigung der Bildung einer
Regierung durch den gewählten Präsidenten. Die Waffe der Sanktionen muß mit
äußester Härte angewendet werden, bis die Junta der Rebellen in die Knie
gezwungen worden ist.
Dies ist der Augenblick für die internationale Gemeinschaft, sich in
Selbstdisziplin zu üben und nicht erneut der Versuchung leichter
Exportchancen anheimzufallen. Jeder Verkauf von Waffen und Ersatzteilen an
Nigeria muß sofort gestoppt werden, und ernsthafte Sanktionen müssen
ergriffen werden gegen jede Nation, die sich gegen dieses absolut
erforderliche Embargo vergeht. Bis die Demokratie hergestellt ist, sollte
Nigerias Einkommen aus Ölexporten, das ohnehin größtenteils in den Taschen
der Junta und ihrer Freunde landet, auf Sperrkonten geparkt und aufbewahrt
werden für eine Regierung, die vom nigerianischen Volk als demokratisch
anerkannt wird. Alle privaten Konten, auf die öffentliche Gelder
transferiert wurden, müssen eingefroren werden, bis sowohl die Herkunft der
Gelder und die wahren Eigentümer juristisch einwandfrei festgestellt worden
sind.
Über die gegenwärtige Situation in Nigeria darf keinerlei Zweifel bestehen.
Eine kleine, machthungrige Gruppe hat unserem Volk den Krieg erklärt. Dies
geschieht zu einem Zeitpunkt, da die Ressourcen der Vereinten Nationen
völlig überstrapaziert sind. Deswegen macht es Sinn, jetzt präventive
Maßnahmen gegen Nigeria zu ergreifen.
Möge die internationale Gemeinschaft dem nigerianischen Volk helfen, seinen
Glauben in die Macht der Wahlurne gegen die Gewehrläufe wiederzugewinnen,
in Frieden gegen den Krieg, in die selbstgewählte Gemeinschaft der
Menschen, gegen die erzwingende Macht des Krieges und der Zerstörung.
Die internationale Gemeinschaft kann es sich nicht leisten, zu schweigen
oder passiv zu bleiben. Sie kann es sich nicht leisten, sich in Plattheiten
und andere impotente Appelle an das kollektive Gewissen zu flüchten. Das
Glied des globalen Körpers, das Nigeria heißt, ist vom Wundbrand
heimgesucht; ohne drastische Chirurgie, ohne Herausschneiden der
verrotteten Hautteile wird der ganze menschliche Körper infiziert. Die
Nigerianer haben immer wieder bewiesen, daß sie zu Opfern bereit sind. Wir
verlangen lediglich, daß die internationale Gemeinschaft ihre gegenwärtigen
Heimsuchungen durch die Maßnahmen erleichtert, die ihr durchaus zur
Verfügung stehen. Wie etwa intensiver diplomatischer Druck und auch
wirtschaftliche Sanktionen, die wirklich schmerzen.
Wenn diese Rebellion nicht wirklich rasch beendet wird, dann wird den
anderen kämpfenden Demokratien auf dem afrikanischen Kontinent – und über
Afrika hinaus – ein höchst gefährliches Signal gesandt. Eine neue Runde
regionaler Instabilität wird den ganzen Kontinent heimsuchen. Die
Auswirkung auf den stets so verletzlichen Frieden, den der Rest der Welt so
verzweifelt herbeisehnt, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
17 Aug 1993
## AUTOREN
wole soyinka
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