| # taz.de -- „Die Stasi hat gezielt Mädels auf interessante Geschäftsleute a… | |
| > Melanie, 26 Jahre alt, geht in den Valuta-Hotels in Ost-Berlin und auf | |
| > der Leipziger Messe anschaffen, tagsüber arbeitet sie als Kellnerin mit | |
| > weniger als sechshundert Mark Verdienst ■ I N T E R V I E W | |
| taz: Wie und wann bist du in das Geschäft eingestiegen? | |
| Melanie: 1988, nach meiner Scheidung. Wenn ich allein fortgegangen bin, in | |
| Diskos oder so, habe ich häufig Männer kennengelernt. Eine Bekannte aus | |
| Leipzig hat irgendwann gesagt: Mensch, an deiner Stelle wäre ich mir zu | |
| schade, mit irgendwelchen Bauern mitzugehen. Du könntest doch damit dein | |
| Geschäft machen. Dann hat sie mich mal mitgenommen ins Palasthotel in die | |
| Bar. Dieser Abend war ausschlaggebend für mich. Wir haben einen | |
| kennengelernt, und der bestand darauf, mit uns beiden was zu machen. Das | |
| war für mich sehr von Vorteil, eine Freundin dabeizuhaben, die sich | |
| auskennt und hilft. Der Typ war schon älter, über vierzig, aber nett und | |
| recht gutaussehend. Er hat unsere ganze Rechnung bezahlt, uns beide mit | |
| aufs Zimmer genommen und dann noch jeder fünfhundert D-Mark gegeben. Ich | |
| stand da, nach einer Stunde, mit einem Fünfhundertmarkschein in der Hand, | |
| und konnte es zuerst gar nicht begreifen. Danach habe ich das ab und zu | |
| allein gemacht und dann immer regelmäßiger. Irgendwie verliert man auf | |
| diese Weise die Relation zum Geld. | |
| Offiziell ist Prostitution in der DDR ja aber verboten und steht unter | |
| Strafe. | |
| Wenn du keiner geregelten Arbeit nachgehst und dir das Geld nur durch | |
| Prostitution beschaffst, ist das strafbar. Sobald du aber abgesichert bist | |
| durch einen Job, auch wenn es nur ein paar Stunden sind, zur Tarnung, | |
| können sie dir ja nicht nachweisen, daß du anschaffen gehst. Das ist wie | |
| ein Katz -und-Maus-Spiel: Die wissen genau, was du machst, und tolerieren | |
| es irgendwie auch. Denn wenn es keine Prostituierten im Osten geben würde, | |
| würden einige Geschäftsleute wegbleiben oder ihren Aufenthalt verkürzen. | |
| Die sagen sich: Okay, die Mädels halten uns die Herrn hier etwas länger. | |
| Gab's auch Strafen? | |
| Mir ist kein Fall bekannt. Aber Frauen wurden mit der Anschafferei unter | |
| Druck gesetzt. Die Stasi hat sich eingeklinkt. Es ist ja bekannt, daß die | |
| gezielt Mädels auf Geschäftsleute oder Manager von Firmen, die interessant | |
| waren, angesetzt haben. | |
| Bist du auch von der Stasi angemacht worden? | |
| Na klar. Ich bekam eine schriftliche Vorladung zur Volkspolizei. Dort saßen | |
| aber Stasi-Männer. Sie haben versucht, mich unter Druck zu setzen. Sie | |
| sagten, ich sei öfters in der Bar gesehen worden und wie ich mit auf die | |
| Zimmer ging. Die konnten mir aber nicht nachweisen, daß ich von den Männern | |
| Geld genommen habe. Da stand also Aussage gegen Aussage. Sie haben mich | |
| dann noch ein paar Mal vorgeladen. Ich bin aber einfach nicht mehr | |
| hingegangen. Später haben sie mich einmal auf der Arbeit abgefangen. | |
| Was wollten sie von dir? | |
| Na, daß ich für sie arbeite. Sie wollten mir Bekanntschaften zuschieben, | |
| und die sollte ich gezielt nach ihren geschäftlichen Tätigkeiten ausfragen | |
| und warum sie in der DDR sind. Ich habe aber gesagt, das käme für mich | |
| nicht in Frage, weil das Freunde und Bekannte von mir sind. | |
| Was haben sie dir dafür geboten? | |
| Daß sie mich in Ruhe lassen. Und durch die Vermittlungen hätte ich | |
| natürlich auch was verdient. Die haben gesagt: Irgendwann sind alle Damen | |
| mal fällig. Irgendwann werden wir denen den Hahn zudrehen. Aber dich | |
| verschonen wir dann, weil du ja für uns arbeitest. Es gab einige Mädels, | |
| die aus Angst mit der Stasi zusammengearbeitet haben. Ich möchte meinen, | |
| daß sie das bei fast jeder versucht haben. Information war für die alles, | |
| egal mit welchen Mitteln. | |
| Wie umfangreich ist denn die Valuta-Prostitution in der DDR? | |
| In Zahlen kann ich dir das nicht sagen. Aber es war ein zunehmendes | |
| Geschäft. Vor zehn Jahren war der inoffizielle Tausch 1:4, also eine D-Mark | |
| für vier Ostmark, gang und gäbe. Aber im Sommer 1989 gab's bereits | |
| Tauschkurse von 1:10 bis 1:12, das heißt, daß die Mädels das Geld praktisch | |
| mit dem Hammer gemacht haben. Denn wenn du eine Nacht mit einem Typ | |
| verbracht hast, hat dir das dreihundert D-Mark und damit mehr als ein | |
| dreifaches Monatseinkommen verschafft. Das zog natürlich immer weitere | |
| Kreise. Jede brachte irgendwelche Bekannten mit, die jetzt auch das | |
| schnelle Geld machen wollten. | |
| Die Leipziger Messen waren schon richtige Brutstätten. Ich kenne einige | |
| Damen, die da unten in diesem Geschäft schon altgeworden sind. Die haben | |
| mit Mitte zwanzig angefangen und sind jetzt Ende dreißig, immer noch voll | |
| im Geschäft und voll saniert. Nicht nur für Ost-Verhältnisse. Ich kenne | |
| einige, die mit einem dicken BMW rumrauschen. | |
| In Leipzig kannten sich schon alle. Die Türsteher, die Kellner, die Frauen | |
| an der Bar und die Gäste. Dann verabredete man sich auch schon mal für die | |
| kommende Messe. Es gab auch Männer, die sagten: Hör zu, was machst du auf | |
| einer Messe, kohlemäßig. Bist du bereit, die nächste Messe nur für mich | |
| dazusein? Mir ist das selbst mit einem Wiener Geschäftsmann passiert. Der | |
| hat mir 8000 DM angeboten für diese Zeit. Ich habe es aber nicht gemacht, | |
| weil der sich in eine Sache hineingeträumt hat. Ich bin nun mal die Nutte | |
| und ich wollte für ihn nicht die Herzeigedame spielen. Es war mir auch zu | |
| anstrengend. Damit hätte ich mich ja verpflichtet, die ganze Woche nett zu | |
| sein, für den Herrn dazusein. | |
| Und wie steht's mit der Konkurrenz unter den Frauen? | |
| Der Haß gegenüber Neuen ist unheimlich groß. Weil viele in meinem Alter | |
| oder älter sich zurückgesetzt fühlen, wenn immer mehr Achtzehn- und | |
| Zwanzigjährige kommen. Der Konkurrenzkampf geht so weit, daß die Mädels den | |
| Türsteher schmieren oder mit ihm eine Nummer machen, um andere Frauen | |
| auszustechen. Ich habe glücklicherweise bisher noch mit keinem dieser | |
| Ost-Szene schlafen müssen, um Privilegien zu erkaufen. Ich entrichte meinen | |
| Obulus und schäkere mit denen auf die nette Tour. Die Türsteher können dich | |
| natürlich unter Druck setzen: Entweder du gehst mit mir ins Bett oder du | |
| kommst hier nicht mehr rein. | |
| Welche Rolle spielt die Zuhälterei? | |
| Sicherlich keine so große wie im Westen. Aber es kann mir keine sagen, daß | |
| es sie im Osten nicht auch gab. Die meisten haben einen Freund oder Mann, | |
| den sie aushalten. Das sind für mich Zuhälter, die haben ein Superleben. | |
| Dann gibt es eben die Türsteher und Barkeeper, denen mußt du etwas | |
| abdrücken, damit du reinkommst. Das schwankt je nach Sympathie zwischen | |
| dreißig und fünfzig DM, je nachdem auch, wo du sitzt. Wenn du an die Bar | |
| willst, mußst du noch mal zwanzig DM abdrücken. Wenn du schon einmal aufs | |
| Zimmer gegangen bist und zurückkommst, mußt du mehr geben. Inzwischen haben | |
| sich viele clevere Typen eingeklinkt und verdonnern die Mädels dazu, die | |
| Kohle abzudrücken. Ich habe neulich die Bekannte wieder getroffen, die mich | |
| ins Geschäft gebracht hat. Sie hat mir erzählt, daß sie jetzt direkt für | |
| einen Typen anschaffen geht und dem wöchentlich sechshundert DM geben muß. | |
| Sie erzählte, daß diese Typen inzwischen die Situation voll im Griff hätten | |
| und genau wüßten, welche Mädels wo arbeiten. | |
| Sind das Wessis? | |
| Nee, das sind Ost-Männer. | |
| Was hat sich seit der Maueröffnung im Geschäft verändert? | |
| Vorher waren 250 bis 300 DM pro Freier normal, manchmal gab's auch mehr. | |
| Jetzt liegt der Schnitt bei 200 bis 250 DM. | |
| Warum sind die Preise gefallen? | |
| Kann ich mir auch nicht erklären. Aber auch das Publikum ist anders | |
| geworden. Früher waren es mehr Geschäftsleute, die beruflich in die DDR | |
| kamen. Jetzt sind es mehr Touristen, Neugierige, die auf dem Trip sind, den | |
| Osten kennenzulernen. Dann gibt es viel mehr junge Männer, die auf der | |
| Suche in den Diskotheken sind, da ja die Ost-Frauen so unheimlich | |
| angepriesen werden mit ihren Vorzügen und Liebeskünsten und allem drum und | |
| dran. | |
| Hat die Zahl der Frauen, die anschaffen, zugenommen in der letzten Zeit? | |
| Ich habe eher den Eindruck, daß sie zurückgegangen ist, weil die meisten | |
| nicht mehr in der DDR sind. Die haben ihren ständigen Wohnsitz geändert. | |
| Die denken, die können im Westen schneller eine schnelle Mark machen. Wie | |
| ich die Sache in den Bars überblicke, sind die dageblieben, bei denen es | |
| sowieso nie so gut gelaufen ist. Oder die jetzt Verpflichtungen haben und | |
| eine Menge aufgeben. Es gibt ja Frauen, die schon jahrelang anschaffen, die | |
| ein Haus und andere Privilegien haben. | |
| Und die Arbeitssicherheit und der Gesundheitsschutz? Arbeitet ihr mit | |
| Gummi? | |
| Da kann ich nur von mir ausgehen. Ich habe selber die Erfahrung gemacht, | |
| daß Männer ohne Gummi einen Hunderter mehr zahlen wollten. Aber da lass‘ | |
| ich mich auf keine Diskussionen ein. Für mich ist der Gummi auch das | |
| einzige Verhütungsmittel. Und rein aus gesundheitlichen Gründen, gerade in | |
| dieser Zeit mit Aids. Aber natürlich kommt es auf jede Frau an. Das ist | |
| nicht ostbedingt. Frauen, die ohne arbeiten, gibt es im Westen auch. | |
| 14 May 1990 | |
| ## AUTOREN | |
| helwerth/eck | |
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