# taz.de -- Die Spur führt zu einem Toten | |
> Zehn Jahre nach dem Mord an Treuhand-Chef Rohwedder weist ein Haar am | |
> Tatort auf eine Beteiligung des 1993 erschossenen RAF-Manns Grams | |
von WOLFGANG GAST | |
Das Bekennerschreiben lag neben einem Plastikstuhl in einer Gartenkolonie – | |
rund 60 Meter entfernt vom Arbeitszimmer des Treuhand-Chefs Detlev Karsten | |
Rohwedder im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel. Es war Ostermontag, der 1. | |
April 1991. Kurz vor Mitternacht, um 23.30 Uhr, schlugen drei Geschosse | |
durch die Doppelglasscheibe. Das erste traf Rohwedder in den Rücken. Es | |
verletzte ihn tödlich. Unmittelbar nach dem Schuss stürzte seine Frau ins | |
Zimmer. Sie wurde von einer Kugel am Ellenbogen verletzt. | |
Um 23.31 Uhr rief sie bei der Polizei an, eine Minute später war eine | |
Ringfahndung ausgelöst. Spuren gab es kaum: Der Plastikstuhl, ein | |
Feldstecher, drei Patronenhülsen, ein Handtuch, der Brief. Darin bekannte | |
sich ein „Kommando Ulrich Wessel“ der Roten Armee Fraktion (RAF) – benannt | |
nach einem Mitglied der RAF, das 1975 beim Überfall auf die deutsche | |
Botschaft in Stockholm ums Leben kam – zu dem Attentat. Zu Rohwedder kein | |
Wort, stattdessen die Parole: „Gegen den Sprung der imperialistischen | |
Bestie unseren Sprung im Aufbau revolutionärer Gegenmacht.“ Auch das nährte | |
Spekulationen, dass vielleicht nicht die RAF, sondern entlassene alte | |
SED-Kader für den Anschlag verantwortlich sein könnten. Selbst eine | |
Beteiligung von ehemaligen Stasi-Offizieren wurde nicht ausgeschlossen. | |
Wenige Tage später schob die RAF per Post eine Erklärung nach. In ziemlich | |
kruder Prosa formulierten die Guerilleros: „Wir haben [...] Rohwedder | |
erschossen. Rohwedder saß seit 20 Jahren in Schlüsselfunktionen in Politik | |
und Wirtschaft [...] Die Krönung von Rohwedders Karriere sollte seine | |
Funktion als Bonns Statthalter in Ost-Berlin sein. Seit ihrer Annexion ist | |
die Ex-DDR faktisch Kolonie der Bundsrepublik [...]. Wir begreifen unsere | |
Aktion gegen einen der Architekten Großdeutschlands auch als Aktion, die | |
diese reaktionäre Entwicklung an einer Wurzel trifft.“ | |
Die Ermordung Rohwedders ist das letzte Attentat, das von der RAF begangen | |
wurde. Nach dem Hungerstreik 1989, bei dem die RAF die Forderung nach einer | |
Zusammenlegung der RAF-Gefangenen nicht durchsetzen konnte, zeichnete sich | |
bereits ein Bruch zwischen Inhaftierten und den in der Illegalität lebenden | |
Aktivisten ab. Ideologische Streitigkeiten über konkrete politische Ziele | |
und über die „Vermittlung“ von Mordanschlägen läuteten das Ende der RAF … | |
– nicht die Arbeit des hochgezüchteten deutschen Fahndungsapparates, der | |
seit 1985 keinerlei Anhaltspunkte dafür hatte, wo sich die RAF-Mitglieder | |
aufgehalten hatten oder wer tatsächlich zur RAF zu rechnen sei. Die | |
RAF-Kommandos hinterließen kaum kriminaltechnisch verwertbare Spuren. | |
Am 10. April 1992, ein Jahr nach der Ermordung des Treuhand-Chefs, gestand | |
die RAF das Scheitern ihres bewaffneten Kampfes ein: „Wir haben uns | |
entschieden, dass wir von uns aus die Eskalation zurücknehmen“. Danach | |
verfolgte die Gruppe das Ziel des „Aufbaus einer Gegenmacht von unten“. Sie | |
hatte ihren Avantgardedünkel aufgegeben und traf sich mit Mitgliedern | |
anderer militanter Gruppen, um neue politische Konzepte zu diskutieren. So | |
bekam auch ein V-Mann des Verfassungsschutzes, Klaus Steinmetz, Zugang zur | |
so genannten „Kommandoebene“ der RAF. Als er sich am 27. Juni 1993 mit den | |
RAF-Mitgliedern Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld auf dem Bahnhof in Bad | |
Kleinen treffen wollte, hatte die Bundesanwaltschaft bereits das BKA und | |
die Antiterroreinheit GSG 9 alarmiert. | |
Bei dem dilettantisch ausgeführten Verhaftungsversuch kam es zum | |
Schusswechsel, am Ende waren der Polizeibeamte Michael Nwerzella und das | |
RAF-Mitglied Grams tot. Birgit Hogefeld wurde verhaftet. Für Schlagzeilen | |
sorgte vor allem, dass Zeugen aussagten, der bereits schwer verletzte und | |
hilflos auf den Gleisen liegende Grams sei von zwei Beamten der GSG 9 | |
gezielt aus nächster Nähe erschossen, quasi exekutiert worden. Bis heute | |
sind die genauen Umstände des Todes von Grams ungeklärt, Spuren sind | |
verschwunden oder unbrauchbar gemacht worden. Offiziell hat sich Grams | |
selbst erschossen. | |
Das Polizeidebakel hatte weit reichende personelle Konsequenzen. Rudolf | |
Seiters trat als Bundesinnenminister zurück, der Generalbundesanwalt | |
Alexander von Stahl wurde von der Justizministerin | |
Leutheusser-Schnarrenberger entlassen, das Bundeskriminalamt wurde | |
umstrukturiert und dessen Präsident Hans-Ludwig Zachert aus dem Amt | |
gemobbt. | |
Jetzt, acht Jahre später, hat das Bundeskriminalamt nach neuen | |
Ermittlungsmethoden die erste brauchbare Spur geliefert: Ein an dem am | |
Tatort gefundenen Handtuch hängendes Haar konnte dem in Bad Kleinem | |
gestorbenen Wolfgang Grams zugeordnet werden. Ein Indiz für eine | |
Tatbeteiligung ist dies, ein Beweis nicht. | |
17 May 2001 | |
## AUTOREN | |
WOLFGANG GAST | |
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