| # taz.de -- nordđŸthema: Die Nabelschnur im Nil â und in der Alster | |
| > Wenn sich geflĂŒchtete werdende MĂŒtter mit deutschen ĂŒber Schwangerschaft | |
| > und Geburt unterhalten, und auch noch eine Hebamme mit am Tisch sitzt: | |
| > ein Nachmittag in einem âWelcome-ErzĂ€hlcafĂ©â | |
| Bild: Keine Vorbehalte, umso mehr VerstĂ€ndnis (und kommuniziert wird auch per … | |
| Von Antonia Wegener | |
| FĂŒnf Tische stehen im Gemeindesaal. An jedem Tisch sitzen Frauen, mal sind | |
| es fĂŒnf, mal auch sieben. Durch eine Fensterfront ist der Innenhof zu | |
| sehen, auf dem gerade Kinder spielen. Kinderwagen stehen an den Tischen. | |
| Bei vielen der da sitzenden Frauen zeichnet sich ein kleiner Bauch unter | |
| der Kleidung ab, bei anderen ist er schon so groĂ, dass er kaum zu | |
| ĂŒbersehen ist â sie sind hochschwanger. Auf den Tischen stehen Kekse und | |
| Kuchen. Spricht eine Frau, hören die anderen zu. Manchmal lÀcheln die | |
| Frauen am Tisch oder nicken zustimmend. | |
| Die Nabelschnur als Medizin, die Mutter als Schwangerschafts-Expertin, | |
| GebĂ€ren in den eigenen vier WĂ€nden statt im professionellen KreiĂsaal: In | |
| vielen LĂ€ndern unterscheiden sich die Erfahrungen und Vorstellungen, was | |
| Schwangerschaft und Geburt betrifft. In Hamburg-Rahlstedt haben sich im | |
| April dieses Jahres Hebammen und geflĂŒchtete Frauen ĂŒber Traditionen und | |
| Gepflogenheiten ausgetauscht. Beim âWelcome-ErzĂ€hlcafĂ©â in der dortigen | |
| Rogate-Kirche sprachen werdende MĂŒtter aus Afghanistan, Ghana, Somalia und | |
| Simbabwe auĂerdem ĂŒber ihre Ăngste in und Erwartungen an Deutschland. | |
| Aus Somalia, Ghana, Simbabwe, Deutschland, Ăgypten und Afghanistan kommen | |
| die Frauen an einem der Tische. Nicht nur die Teilnehmerinnen, auch die | |
| Ăbersetzerinnen bringen ihr jeweiliges Wissen ĂŒber Schwangerschaft und | |
| Geburt ein: Im Mittelpunkt solcher ErzÀhlcafés steht der | |
| Erfahrungsaustausch und der Wunsch, mehr zu erfahren, Infos zu einem Thema | |
| zu bekommen. Am Tisch sitzen so immer auch ExpertInnen â in dem | |
| Gemeindesaal in Hamburg-Rahlstedt sind es diesmal Hebammen. | |
| An dem international besetzten Tisch treten nicht nur Unterschiede in | |
| Vorstellungen, Traditionen und Ritualen zu Tage, sondern auch | |
| Gemeinsamkeiten. âIn manchen Teilen von Ăgypten wird die Nabelschnur nach | |
| der Geburt in den Nil geworfenâ, sagt Eman Abduljabbar, Dolmetscherin aus | |
| dem Arabischen. âNach pharaonischer Tradition ist das Kind dadurch mit dem | |
| Fluss des Lebens verbunden.â | |
| Einen Ă€hnlichen Brauch gibt es aber auch ganz in der NĂ€he: âWirft man die | |
| Nabelschnur in die Alster, steht es fĂŒr die Verbundenheit mit Hamburgâ, | |
| sagt die Hebamme Elske Baumeister. âEntscheiden Eltern sich fĂŒr die Elbe, | |
| dann wĂŒnschen sie sich, dass ihr Kind spĂ€ter einen guten Draht mit der | |
| ganzen Welt hat.â In Ghana dagegen bewahrt die Mutter die Nabelschnur auf: | |
| Sei das Kind dann mal krank, werde sie in Wasser aufgekocht â und der Sud | |
| als Medizin verabreicht, erzÀhlt die Ghanaerin am Tisch. | |
| In Afghanistan ist wiederum die Vorstellung verbreitet, dass es gefÀhrlich | |
| sei, sich als Hochschwangere hinzusetzen. Denn in dieser Position könne | |
| sich das Kind im Bauch leichter mit der eigenen Nabelschnur strangulieren. | |
| Und auch hier gab es in Deutschland lange Zeit eine Àhnliche Vorstellung: | |
| âFrĂŒher sollten schwangere Frauen keine WĂ€sche aufhĂ€ngenâ, erzĂ€hlt die | |
| Hebamme Melanie Andres. âWeil beim Heben der Arme dem Kind etwas zustoĂen | |
| könnte.â Sowohl die afghanische als auch die deutsche Vorstellung seien | |
| allerdings Aberglaube, so Andres weiter: Weder die eine noch die andere | |
| Bewegung sei schĂ€dlich fĂŒr das Kind. | |
| Initiiert hat das âWelcome-CafĂ©â fĂŒr GeflĂŒchtete und deutsche Frauen die | |
| Hamburger Studentin Charlotte Wittenberg. âIch weiĂ, was fĂŒr ein | |
| bedeutendes Ereignis die Geburt istâ, sagt die gelernte Hebamme, 31 Jahre | |
| alt und selbst gerade zum zweiten Mal schwanger. âFĂŒr viele Frauen ist es | |
| heilsam, ĂŒber Schwangerschaft und Geburt zu erzĂ€hlen, auch wenn nicht immer | |
| alles gut gelaufen ist.â Die Idee sei auch, Schwangeren Mut und Kraft durch | |
| den Erfahrungsaustausch mit anderen MĂŒttern, die vielleicht Ă€hnliche | |
| Erfahrungen machen, zu geben. | |
| Drei der fĂŒnf Tische sind komplett mit Frauen aus Afghanistan besetzt. | |
| Viele von ihnen haben drei bis vier Kinder und erlebten ihre erste Geburt | |
| kurz nach ihrer Heirat, mit 14 oder 15 Jahren. Nur wenige ihrer Kinder sind | |
| in einem Krankenhaus zur Welt gekommen, die meisten sind Hausgeburten. âFĂŒr | |
| afghanische Familien ist es eine finanzielle Frage, wo das Kind zur Welt | |
| kommtâ, sagt Dolmetscherin Nuria Qajumi. Ein Krankenhausaufenthalt sei sehr | |
| teuer. | |
| Es fĂŒhlten sich aber auch viele Frauen zu Hause wohler, denn in | |
| afghanischen KrankenhĂ€usern wĂŒrden in der Regel viele Schwangere | |
| gleichzeitig in einem KreiĂsaal untergebracht. âDort sollen die Frauen | |
| versuchen, auch ihre Schreie zu unterdrĂŒcken, egal wie stark die Schmerzen | |
| sindâ, sagt Qajumi. Der Mann, also der Vater des Kindes, dĂŒrfe bei der | |
| Geburt im Krankenhaus nicht dabei sein â bei einer Hausgeburt sei das | |
| anders. AuĂerdem ĂŒbernĂ€hmen Mutter oder Schwiegermutter bei der Geburt | |
| oftmals die Rolle der Hebamme. Nicht nur in Afghanistan, sondern auch in | |
| Ghana, Ăgypten und Simbabwe gelten laut den Teilnehmerinnen Ă€ltere | |
| weibliche Familienangehörige als erfahrene Schwangerschafts-Expertinnen. | |
| Die Angst vor KrankenhÀusern verlÀsst manche Afghanin auch in Deutschland | |
| nicht. Dazu kommen VerstÀndigungsschwierigkeiten wegen der fremden Sprache. | |
| Und dann sei es fĂŒr sie ungewohnt, von einem mĂ€nnlichen Frauenarzt | |
| behandelt zu werden. Eine der afghanischen Frauen im âWelcome-CafĂ©â freut | |
| sich dann aber doch darĂŒber, dass sie ihr Kind im deutschen Krankenhaus zur | |
| Welt bringen wird: âSie findet es gut, dass ihr Mann hier dabei sein wird,â | |
| ĂŒbersetzt Qajumi. So werde er nicht nur die Geburt miterleben â sondern | |
| auch mitbekommen, wie schmerzhaft diese fĂŒr seine Frau ist. | |
| Mehr als drei Stunden lang sitzen die Frauen im Rahlstedter Gemeindesaal | |
| beieinander, vertieft in GesprĂ€che. âIn meiner afghanischen Familie reden | |
| Frauen nicht gerne ĂŒber Schwangerschaft oder Geburtenâ, sagt Qajumi. Sie | |
| sei ĂŒberrascht gewesen, wie offen sich die afghanischen Frauen nun | |
| austauschten. Auch am âinternationalen Tischâ hĂ€tten sich keine Vorbehalte | |
| gezeigt: âEs ging nicht darum, woher welche Frau kommt oder welcher | |
| Religion sie angehörtâ, sagt Abduljabbar. âIn erster Linie haben wir uns | |
| alle als Frauen unterhalten, die Mutter sind oder zukĂŒnftig eine sein | |
| werden.â | |
| Termine und Infos unter http://erzaehlcafe.net | |
| 14 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Antonia Wegener | |
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