# taz.de -- Die Multikultur in der Schokofabrik | |
> ■ Zehn Jahre Frauenprojekt in der Kreuzberger »Schokofabrik«/ Das | |
> türkische Frauenbad »Hamam«: Ein Treffpunkt verschiedener Kulturen/ Heute | |
> Veranstaltung zur Projektzukunft | |
Kreuzberg. Fröhliches Kinderkreischen, angeregte Gespräche in türkischer | |
und deutscher Sprache und Wassergeplätscher erfüllen den ungefähr 35 Grad | |
warmen Hauptraum des Hamam. »Ham« bedeutet in der türkischen Sprache Wärme, | |
und »Hamam« steht für das türkische Frauenbad in der »Schokofabrik«. | |
Türkische und deutsche Frauen sitzen meistens zu zweit in den warmen | |
Nischen unter der kuppelförmigen Decke, schöpfen Wasser aus den | |
Überlaufbecken und begießen sich gegenseitig, um die Haut aufzuweichen und | |
sie dann mit einem Seidenschwamm zu massieren. | |
Das in Deutschland einzigartige türkische Frauenbad gehört zum | |
Frauenstadtteilzentrum Kreuzberg e.V. »Schokoladenfabrik«, kurz »Schoko« | |
genannt. In dem 2.000 Quadratmeter großen Gebäude, das sich in zwei | |
Hinterhöfen zwischen der Mariannenstraße 6 und der Naunynstraße 72 | |
befindet, wurde bis 1968 noch Schokolade hergestellt. Nachdem das Haus acht | |
Jahre lang leergestanden hatte, wurde es 1981 von einer Gruppe von Frauen | |
besetzt — Studentinnen und Teilnehmerinnen der Internationalen | |
Bauausstellung, die zu dieser Zeit stattfand. Viele feministische | |
Architektinnen beteiligten sich mit ihren Ideen am Aufbau der beiden | |
Hinterhäuser. Eine Frauengruppe bildete sich, die ein Stadtteilzentrum mit | |
Räumen ausschließlich für Frauen gründen wollte. In zehnjähriger Arbeit ist | |
daraus eins der größten Frauenprojekte Europas geworden, und seit bald drei | |
Jahren kann frau sich dort im Hamam ausruhen. | |
Wer keine Lust hat, sich selbst einzuseifen, kann sich an zwei Tagen in der | |
Woche vertrauensvoll in die Hände einer gelernten türkischen | |
»Abschrubbfrau« begeben, die die »Seifenmassage« beherrscht. Aber frau kann | |
sich auch gegenseitig die Haare waschen und über die Kinder, die Arbeit | |
oder die schon leicht hängenden Brüste reden. Der Hamam ist ein idealer Ort | |
für Plaudereien in intimer Weiblichkeit. | |
Auch viele der insgesamt einundzwanzig Frauen, die in den vier Fabriketagen | |
des Hinterhauses in der Mariannenstraße arbeiten, suchen vor oder nach | |
ihrem Tagewerk das türkische Bad auf. Die einen bedienen im Café im | |
Hochparterre, die anderen vermitteln in der Tischlerwerkstatt handwerkliche | |
Fähigkeiten. Weitere Frauen führen im »Frauensportzentrum« | |
Selbstverteidigungs-, Wendo-, Tanz- und andere Kurse durch und bieten | |
Alphabetisierungs-, Deutsch- und Nachhilfekurse ausschließlich für | |
türkische Frauen und Mädchen an. | |
Das Hinterhaus in der Naunynstraße beherbergt ein Wohnhaus mit sieben | |
Wohnungen, in denen vorwiegend alleinerziehende Mütter wohnen. Zwei von | |
diesen Wohnungen sind als Zufluchtswohnungen angemietet. Im Erdgeschoß des | |
Wohnhauses liegt die seit 1986 existierende Elternkindertagesstätte | |
»Schokoschnute«. | |
Es scheint nicht immer einfach, den Wunsch nach multikultureller Arbeit in | |
allen Bereichen der Schoko gleich gut zu verwirklichen. »Multikulturell | |
heißt für uns in erster Linie die Einbeziehung von türkischen Frauen«, so | |
Anke Peterssen, die als Sozialpädagogin in der Schoko arbeitet. »Für viele | |
Frauen aus der Türkei ist ein Frauenstadtteilzentrum etwas Fremdes, und es | |
gilt Berührungsängste zu überwinden.« | |
Aber im Hamam fühlen sich die türkischen Frauen fast wie zu Hause. Mütter | |
mit ihren Kindern und Großmütter mit den Enkelkindern legen hier die | |
traditionellen Kopftücher ab. Doch auch die nichttürkischen Frauen, die | |
hier ihre Seele baumeln lassen, empfinden sich nicht als Außenseiter. Auf | |
einfühlsame Art erklären die im Bad beschäftigten türkischen Frauen, wie | |
der Seidenschwamm zum Abrubbeln der Haut zu gebrauchen ist und welche | |
Reihenfolge zwischen Erwärmen, Waschen und Ausruhen einzuhalten ist. | |
Gerne würden die Hamam- Frauen ihr Berliner Frauenbad noch mehr dem | |
türkischen Original angleichen und vergrößern. Was hier in Berlin von der | |
Technik betrieben wird, regelt in den echten türkischen Bädern Mutter | |
Natur. Dort kommt das bis zu 60 Grad heiße Wasser meistens direkt aus | |
mineralhaltigen Quellen, geheizt wird mit Holz oder Kohle. Gerne auch | |
würden die Mitarbeiterinnen noch Extraräume einrichten, um mehr Platz für | |
weitere Angebote wie Haarefärben und Enthaarungen zu haben. Da das Schoko- | |
Projekt aber weitgehend durch öffentliche Gelder finanziert wird, fehlt es | |
an Mitteln, um Wünsche wie diese zu verwirklichen. | |
Trotz der kleinen Unterschiede zu einem Original-Hamam sind die Kreuzberger | |
Mitarbeiterinnen stolz auf ihr Frauenbad, auf jenen Ort, an dem sich die | |
multikulturellen Ansprüche der Schoko-Frauen auf natürliche Weise | |
verwirklichen. | |
In den anderen Projektbereichen ist das nicht ganz so einfach. Gegenwärtig | |
streitet das Frauenkollektiv der Schokofabrik nicht ohne Vehemenz darüber, | |
wie frau die bestehenden Strukturen ändern könnte, um der multikulturellen | |
Arbeit besser gerecht zu werden. »Vielleicht haben wir es zum Teil nicht | |
geschafft, auf die Berührungsängste der türkischen Frauen ausreichend | |
einzugehen«, glaubt zum Beispiel Anke Peterssen. Die Schoko-Frauen fühlen | |
sich gezwungen, ihre Arbeit stärker zu professionalisieren und die | |
theoretischen Ansätze der Frauenbewegung praktisch umzusetzen. Barbara | |
Bollwahn | |
Frauen, die mehr über die Schoko und ihre aktuellen Konflikte erfahren | |
wollen, sind heute von 15 bis 17 Uhr herzlich zum Info-Nachmittag ins Café | |
eingeladen. Ebenfalls heute um 19.30 Uhr gibt es im Café eine öffentliche | |
Diskussion mit den Schoko-Mitarbeiterinnen unter dem Motto »Die | |
Einmachgläser werden geöffnet«. (Siehe Wissenswertes S. 22) | |
11 Dec 1991 | |
## AUTOREN | |
barbara bollwahn | |
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