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# taz.de -- Die Gipfelstürmer
> Bauvisionen am Schweizer Berg: Die Gebirgsregionen rüsten mit Projekten
> der Superlative auf – das größte Ferienresort, das höchste Hotel
VON SAMIRA ZINGARO
Lächerlich klein fühlt sich der Mensch auf dem höchsten Aussichtsplateau
der Alpen. Der Wind bläst eisig um die Ohren, das Atmen fällt schwer, und
nicht ganz Schwindelfreie sind froh, dass die Seilbahn bald wieder
„embrii“, talwärts auf Walliserdeutsch, nach Zermatt fährt. Matterhorn
glacier paradise heißt die Gondelstation auf dem Klein Matterhorn, dem
Bruder des berühmten Gipfels. Wie Watte umhüllt der Hochnebel das
schneeweiße Gipfelmeer, die Bergspitzen ragen aus dem trüben Grau. Das
Matterhorn und der Mont Blanc sind nur zwei von 37 Viertausendern, die dem
Besucher hier auf 3.883 Metern überm Meer zuzwinkern.
Doch für die Zermatt Bahnen AG reicht dieser Rundblick noch lange nicht aus
– ein richtiger Höhenrausch braucht Spektakuläreres. Der Architekt Ueli
Lehmann und der Künstler Heinz Julen, Zermatts berüchtigtes Enfant
terrible, haben deshalb ein Dreibein aus Glas und Stahl entworfen, das die
Bergspitze um 117 Meter aufstocken soll: Durch diese Gipfelprothese könnte
sich auch das Kleine Matterhorn zum Club der Viertausender gesellen. Im
Hohlraum der Pyramide sind ein Restaurant sowie ein Multimediaraum geplant.
Heinz Julens Augen glänzen wie Schnee in der frühen Morgensonne, während er
die Pläne in seinem Notebook erklärt. Die Zermatt Bahnen finanzieren sein
Millionenprojekt, mit einer Ausnahme: Der 43-Jährige plant in der obersten
Pyramidenspitze ein Hotel „für ein bis zwei unvergessliche Nächte“. Damit
die Gäste auf vier Kilometer Höhe ohne Kopfschmerzen schlafen können,
müsste das Hotel mit Überdruck funktionieren. „Da oben wird der Mensch dem
Himmel und dem Weltall ganz nah sein“, so Heinz Julen, der Zermatter
Visionär.
Heinz Julen, der Autodidakt, der Architektur nie in einer Ausbildung
gelernt hat, sondern „durch Ausprobieren“ in der Berggemeinde Findeln, dem
Ort seiner Kindheit. Heinz Julen, das Stehaufmännchen, der sich nach seinem
Tiefpunkt vor sieben Jahren wieder hohe Ziele gesetzt hat. Schon sein
extravaganter Fünf-Sterne-Bau „Into“ lockte weltweite Prominenz nach
Zermatt. Die Hotelbar bewegte sich nach dem Lauf der Sonne, ein Whirlpool
hob die Besucher aus dem Dach gegen den Himmel. Auseinandersetzungen
zwischen Julen und seinem Geschäftspartner Alex Schärer, Juniorchef des
Möbelimperiums USM, führten jedoch nach nur sieben Wochen zu einer
Zerstörungswut sondergleichen: Das Mobiliar wurde kurz und klein
geschlagen, nur ein Bruchteil der Infrastruktur konnte gerettet werden. Nun
ist Julen zurück.
Der Künstler betrachtet seine Bergpyramide als eine Hommage an die Natur.
Anmaßend findet das Raimund Rodewald, Geschäftsleiter der Stiftung
Landschaftsschutz Schweiz (SL). Der Biologe spricht von einer „Entzauberung
der Welt“, von ethischen und juristischen Grenzüberschreitungen, die ein
Bau solcher Höhe mit sich zieht. Der Berg als heiliges Symbol. Sowohl für
Julen wie für Rodewald ist das Hochgebirge eine Landschaft der Erhabenheit,
mit viel Achtung und Respekt soll ihr begegnet werden.
Durch diese Glaspyramide sei der Mensch erst fähig, diesen Zauber der
Natur, des Göttlichen wahrzunehmen, sagt der Künstler. Und der
Landschaftsschützer entgegnet: „Die Berge als spirituelle Festung, als
einstiger Sitz der Götter dürfen nicht beschritten werden.“ Raimund
Rodewald würde dem Künstler gerne das Schweizerische Zivilgesetzbuch
entgegenhalten: „Nicht umsonst steht da, Firnen, Gletscher und Felsen seien
herrenloses Gebiet.“
Hat der Berg allein ausgedient? Ein Dorf wie Zermatt konkurrenziert heute
nicht nur mit Kitzbühel oder St. Moritz, sondern ebenso mit thailändischen
Inseln oder der namibischen Wüste. Zudem drängt die Klimaerwärmung neue
Touristenprojekte immer höher hinauf. Das „alpine Wettrüsten“, wie die Ne…
Zürcher Zeitung titelte, ist kein Trend, vielmehr ein weiterer Gipfelsturm
in der Geschichte des Bergtourismus. So entstanden die großen,
traditionellen Berghotels bereits im 19. Jahrhundert.
Auch das Jugendstil-Hotel auf der Davoser Schatzalp blickt auf eine
hundertjährige Geschichte zurück. Seinen Charme hat es erhalten, es ist
aber renovationsbedürftig. Die Betreiber Pius App und Erich Schmid
engagierten in Folge die Basler Stararchitekten Herzog & de Meuron. Auch
ihr Konzept will dem Himmel nah sein: Ein 105 Meter hoher Turm soll nun die
Schatzalp retten. Das alte Hotel bliebe bestehen, daneben empfinge das
erste alpine Hochhaus die Bergtouristen. Die Davoser Bevölkerung hat dem
Bau der 26 Stockwerke bereits zugestimmt, wenn auch nur knapp. Was fehlt,
sind Investoren.
Nach Upperclass-Touristen trachtet auch Andermatt, eine
1.300-Seelen-Gemeinde am Fuße des Gotthardpasses im Kanton Uri. Bunker und
Flugplätze trüben das Dorfbild, weite Zonen von Andermatt gehören dem
Schweizer Militär. Die Durchgangsstraße in den Süden macht das Dorf nicht
attraktiver. Um Andermatt reizvoller und zugänglicher zu machen, schloss
die Bevölkerung schon einmal einen Pakt mit dem Satan. Der Sage nach
beauftragten die katholischen Urner einst den Teufel mit dem Bau einer
Brücke über die Schöllenen-Schlucht. Als Gegenzug verlangte dieser die
Seele des ersten Lebewesens, das den Steg überquerte. Die Andermatter
jagten einen ZiegeNRbock über die Brücke – des Teufels Zorn war groß: Mit
einem Stein wollte er das Dorf zerstören. Erst eine Begegnung mit einer
frommen Frau schlug den Bösewicht in die Flucht. Der Teufelsstein erinnert
bis heute an die Legende, ein Mahnmal scheint den Andermattern die
Sehenswürdigkeit aber nicht zu sein: Das Dorf vertraut auch heute auf das
Heil Ortsfremder. Unter der Leitung von Samih Sawiris plant das ägyptische
Unternehmen Orascom Hotels & Development (OHD) in Andermatt ein 140
Hektaren Luxusresort mit mehreren Hotels, Wohnungen und Freizeitanlagen.
Die Urner Gemeinde käme so zu der schweizweit größten Urlaubsanlage.
3 Nov 2007
## AUTOREN
SAMIRA ZINGARO
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