| # taz.de -- Die Folgen des Anschlags von Halle: Aufstehen und stehen bleiben | |
| > Das Team des „Kiez-Döner“ ließ sich von dem Anschlag in Halle nicht zu | |
| > Fremden machen, sondern schaffte ein Netz aus Solidarität. Aber was tun, | |
| > damit die Solidarität andauert? | |
| Bild: Das Team des „Kiez-Döner“ wenige Tage nach dem Anschlag in Halle am … | |
| von [1][PIA STENDERA ] | |
| Es braucht offensive Allianzen für den Umgang mit Hasskriminalität und | |
| Rechtsextremismus. Myriam Skalska, Rifat Tekin, Ismet Tekin und Izzet Cagac | |
| wissen das, denn für sie wurde die Bedrohung spätestens mit dem 9. Oktober | |
| 2019 unbestreitbar, in ihrer Stadt, in Halle. | |
| Erinnern wir uns noch? An diesem Tag verübte ein 27-jähriger Deutscher in | |
| Halle einen antisemitischen und rassistischen Anschlag. Mit Anleitungen aus | |
| dem Internet hatte er sich Waffen und Sprengsätze gebaut. Mit diesen | |
| versuchte er an dem höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, dem Tag der | |
| Sühne, gewaltsam in eine Synagoge einzudringen. Obwohl ihm dies | |
| glücklicherweise nicht gelang, hat der Täter an diesem Tag zwei Menschen | |
| getötet. Die Dateien über seine Tatvorbereitung hatte er in ein Forum | |
| hochgeladen, die Tat selbst übertrug er per Livestream. | |
| Im „Kiez-Döner“ wurde der [2][20-jährige Kevin S.] erschossen. Als der | |
| schwer bewaffnete Täter den Imbiss betrat, standen die Brüder Rifat und | |
| Ismet Tekin hinter der Theke. Myriam Skalska beobachtete das Geschehen aus | |
| einiger Entfernung. Ihr Partner Izzet Cagac, der damalige Besitzer des | |
| Ladens, kam einige Tage später in ein Leben zurück, das sich völlig | |
| verändert hatte. | |
| ## Nicht zu Fremden machen lassen | |
| Sie wurden von keiner der Kugeln getroffen, dennoch sind sie Opfer des | |
| Attentats. Nicht nur, weil sie den Anschlag beobachteten. Aus dem Video des | |
| Täters wird klar: Der tödliche Akt galt auch ihnen. Weil sie einen | |
| Dönerladen führen. Weil es Menschen gibt, die sie nicht als Teil | |
| Deutschlands begreifen. Es war ein Versuch, ihnen den Raum in dieser | |
| Gesellschaft abzusprechen. | |
| Sie haben sich jedoch nicht zu Fremden machen lassen. [3][Sie sind | |
| aufgestanden und haben sich mit anderen Opfern solidarisiert.] Und sie | |
| haben Allianzen gestiftet, unabhängig von Herkunft und politischer | |
| Grundhaltung. Sie haben eine Beteiligung der Landespolitik gefordert. Sie | |
| haben sich ihren Platz in der Gesellschaft nicht streitig machen lassen, | |
| sondern ihn dort behalten, wo er schon war: mitten in Halle, nicht am | |
| Rande. | |
| Anstatt aus dem Sichtfeld zu gehen, haben sie es genutzt. Izzet Cagac hat | |
| auf seinem Facebook-Account Linke wie Rechte dazu aufgerufen, zueinander zu | |
| finden, anstatt von Hass erfüllt zu sein. Daraufhin wurden er und sein Team | |
| mit Nachrichten und Solidaritätsbekundungen überschüttet. Es gab auch eine | |
| Gedenkdemonstration. Der Anschlag galt uns allen, und wir müssen | |
| zusammenstehen, lautete das Fazit. | |
| ## Heute massive Umsatzeinbußen | |
| Doch wie weit geht die Solidarität? Am Fall des „Kiez-Döner“ zeigt sich, | |
| dass sie nur wenig nützt, wenn sie lediglich punktuell passiert. [4][Zur | |
| Wiedereröffnung des Ladens] waren noch viele Menschen gekommen: aus der | |
| Nachbarschaft, aus dem Fanclub des Halleschen FC, dessen Fan Kevin S. war. | |
| Sogar ein Spieler des Halleschen FC und auch Sachsen-Anhalts | |
| Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) waren unter den Besucher:innen. | |
| „Esst, das ist die beste Form der Solidarität“, sagte Haseloff. Was etwas | |
| platt klang, bewahrheitet sich nun. | |
| Der Laden hat heute massive Umsatzeinbußen. Die Dauer seiner Existenz ist | |
| nicht absehbar. Die Leute kommen nicht zum Essen. Der „Kiez-Döner“ war ein | |
| Tatort. Er wurde zu einem Gedenkort. Er bleibt ein Mahnmal. Dass so | |
| schnell keine Normalität einkehren würde, war abzusehen. Doch kann sich | |
| nicht auch die Solidarität aus der Sensation mit in die Normalität bewegen? | |
| Lohnt es sich überhaupt aufzustehen, wenn Solidarität eine andauernde | |
| Sensation braucht? Was müssen wir tun, damit die Aufgestandenen stehen | |
| bleiben? Muss die Solidarität an Bedingungen geknüpft werden, um wirksam zu | |
| sein? Was braucht es politisch, was gesellschaftlich, damit der Wandel von | |
| der Defensiven in die offensive Bildung von Allianzen im Fluss bleibt? | |
| Diese Fragen stellt auch die taz bei ihrem diesjährigen taz lab am 25. | |
| April. Der Fall „Kiez-Döner“ hat gezeigt, dass ein Aufbruch zum Besseren | |
| gewünscht ist. Er zeigt aber auch: Einmal aufgebrochen, ist die | |
| Ausgestaltung des Weges gar nicht so einfach. | |
| 14 Jan 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Pia Stendera | |
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