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# taz.de -- dvdesk: Die Bilder der Toten
Nacht und Nebel (Frankreich 1955, Regie: Alain Resnais)
Heute ist „Nacht und Nebel“, Alain Resnais’ halbstündiger Film von 1955,
mehr als nur eine der wichtigsten Dokumentationen des
nationalsozialistischen KZ-Systems. Er ist vielmehr selbst längst ein
Gegenstand der Geschichtsschreibung. In den letzten Jahren sind mehrere
umfangreiche Studien erschienen, die seine Entstehung und seine Wirkung,
aber auch seine Form der Zeugenschaft untersuchen, darunter das bedeutende
Werk von Sylvie Lindeperg, das sich als mikrohistorische „Biografie“ des
Films und seiner bewegten Entstehungsgeschichte begreift.
„Nacht und Nebel“ war eine Auftragsarbeit auf Initiative des Historikers
Henri Michel, Vorsitzender eines Komitees, das vor allem die französische
Geschichte unter der deutschen Besatzung aufarbeiten sollte. Dies bestimmt
nicht unwesentlich den Fokus des Films, der nicht das Schicksal der Juden
ins Zentrum stellt, sondern sich ohne große Differenzierungen mit den
Opfern des KZ-Systems befasst. Dazu passt die universalisierende Wendung,
mit der der Kommentar die Zeitgenossen wie alle zukünftigen Zuschauer
adressiert: „Wer von uns wacht hier und warnt uns, wenn die neuen Henker
kommen? Haben sie wirklich ein anderes Gesicht als wir?“
Drehbuchautor Jean Cayrol war selbst Gefangener im KZ Mauthausen gewesen.
Er hatte über seine Erfahrungen dort einen Gedichtband mit dem Titel „Nacht
und Nebel“ geschrieben. Regisseur Alain Resnais, damals noch am Anfang
seiner Karriere, hatte sich Cayrol als Autor des distanzierend sachlichen
Kommentars gewünscht, der sich zur Architektur der Lager ebenso äußert wie
zur Bauweise der Gaskammern und den entsetzlichen Bildern der
ausgemergelten, mit Baggern in Massengräber geschobenen Toten. Die Musik
komponierte Hanns Eisler, Schüler Schönbergs, Mitarbeiter Brechts und
Komponist der DDR-Hymne.
In Westdeutschland sah man das nicht unbedingt gerne. Der ganze Film passte
hier vielen gar nicht; die Aufarbeitung der eigenen Verbrechen hatte nicht
gerade erinnerungspolitische Priorität. So unterband man per Brief an
staatliche Stellen in Frankreich die Aufführung von „Nacht und Nebel“ im
Wettbewerb des Festivals in Cannes; er war in einer geschlossenen
Veranstaltung trotzdem zu sehen. Auch die Berlinale allerdings zeigte den
Film in einer Sondervorführung – während sie, nebenbei bemerkt, die
geplante unabhängige Vorführung neuerer Defa-Filme strikt unterband. In der
DDR wiederum lief nicht die deutsche Übersetzung des Kommentars durch Paul
Celan, sondern eine etwas sozialistischer gestimmte Version.
Der großen Wirkung, vor allem in der BRD, taten diese Interventionen
letztlich keinen Abbruch. Die Bilder des Films haben unser Bild vom KZ
stark geprägt. „Nacht und Nebel“ wurde wieder und wieder gezeigt, ist –
obwohl in seiner historischen Darstellungen in manchem längst überholt –
nicht nur als Meisterwerk des dokumentarischen Kinos anerkannt, sondern
Resnais’Strategie, gegen die schwarz-weißen Archivdokumente Farbaufnahmen
aus der Gegenwart des Jahrs 1955 zu stellen, Kamerafahrten auf dem
menschenverlassenen, von Gras überwucherten Gelände des KZ
Auschwitz-Birkenau, greift Claude Lanzmann in „Shoah“ dann auf; nur dass
Lanzmann programmatisch kein Archivmaterial zeigt, sondern dieses komplett
durch die Befragung von Zeugen ersetzt. Aber das liegt nicht zuletzt daran,
dass er „Nacht und Nebel“ als unauslöschliches Bildarchivwissen
voraussetzen kann.
Resnais’Film war, auch als Unterrichtsmaterial, immer gut greifbar. In der
amerikanischen Kanon-Edition von Criterion ist er längst erschienen. Eine
reguläre (also kommerziell vertriebene) DVD gab es ausgerechnet in
Deutschland bislang allerdings nicht. Die Edition bei absolutmedien hilft
diesem Mangel jetzt ab. Ekkehard Knörer
Die DVD ist ab rund 10 Euro im Handel erhältlich
12 Nov 2015
## AUTOREN
Ekkehard Knörer
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