| # taz.de -- Deutschlands größte Moorlandschaft: Vor der Zerstörung gerettet | |
| > Das Murnauer Moos ist eine der wertvollsten Moorlandschaften | |
| > Mitteleuropas. Naturschützern ist es zu verdanken, dass es dieses Idyll | |
| > noch gibt. | |
| Bild: Sibirische Schwertlilie im Murnauer Moos. | |
| MURNAU taz | Unfassbar, was sie dieser Landschaft antun wollten. Einer | |
| Landschaft, um deretwillen Rudi Nützel hier Wurzeln geschlagen hat. „Ich | |
| liebe das Moos“, sagt er und schaut über die fast baumlose Ebene, die sich | |
| bis zum Horizont erstreckt, wo sich das Wettersteingebirge zur Zugspitze | |
| aufschwingt. Dort oben liegt noch Schnee. | |
| Doch hier unten in der weiten, flachen, nur von ein paar Kuppen und kleinen | |
| Bergrücken, den sogenannten Köcheln, durchzogenen Landschaft, blüht und | |
| grünt es, was das Zeug hält. | |
| Das Murnauer Moos ist eine der anmutigsten und zugleich wertvollsten | |
| Naturlandschaften Deutschlands. Und mit 32 Quadratkilometern sogar die | |
| größte zusammenhängende Moor- und Sumpffläche Mitteleuropas. | |
| Als „gerettete Landschaft“ findet man das Murnauer Moos seit Kurzem in | |
| einem Wanderführer, den der Bund Naturschutz in Bayern (BN) herausgebracht | |
| hat. Das Büchlein versammelt „40 Wanderungen zu bayerischen | |
| Naturschutzerfolgen“. | |
| Neben dem Murnauer Moos stößt man beim Blättern auf das Hafenlortal im | |
| Spessart, das in einem Stausee versinken sollte, das Donauried zwischen | |
| Dillingen und Donauwörth, das wahlweise als Standort für einen | |
| Bombenabwurfplatz, eine Magnetschwebebahn-Testrecke und ein Atomkraftwerk | |
| vorgesehen war. | |
| Noch nicht dabei: das letzte Stück der frei fließenden Donau zwischen | |
| Straubing und Vilshofen. Erst im Februar verzichtete die Bayerische | |
| Landesregierung auf die jahrelang von ihr betriebene Kanalisierung auch | |
| dieses Flussabschnitts, den die Naturschützer plakativ „bayerischen | |
| Amazonas“ tauften. Auch das Isental östlich von München sucht man in dem | |
| praktischen Führer vergeblich. Denn hier ist der jahrzehntelange Kampf | |
| gegen eine Autobahn jüngst verloren gegangen. Schon fressen sich Bagger | |
| durch die malerische Landschaft. | |
| Ohne Menschen wie Rudi Nützel, den studierten Forstwirt und Vorsitzenden | |
| der BN-Ortsgruppe Murnau, würde es auch das Murnauer Moos wohl nicht mehr | |
| geben. Wahrscheinlich würde man auf Acker- oder Weideland blicken, mit | |
| Straßen durchzogen, die Köchel abgebaggert und von Steinbrüchen zerfressen. | |
| ## Ein Relikt der Eiszeit | |
| Wir treffen Rudi in einem gemütlichen Biergarten gleich neben dem | |
| Ramsachkircherl. Die Grundmauern der Kirche gehen zurück auf das 8. | |
| Jahrhundert. Damals, sagt Rudi, habe es hier noch ganz anders ausgesehen. | |
| Damals sei das Moos, ein großer, in Jahrtausenden verlandeter See, Relikt | |
| der letzten Eiszeit, noch mit einem dichten, weglosen Sumpfwald bewachsen | |
| gewesen, aus dem nachts das eigentümliche Krächzen des Wachtelkönigs zu | |
| hören war. | |
| Weil sie sich die Laute nicht erklären konnten, hätten die Menschen | |
| gedacht, dort im Sumpf schärfe der Sensenmann sein Handwerkszeug. | |
| Im Laufe der Jahrhunderte verloren die Menschen die Angst vor der Einöde. | |
| Sie rodeten den Bruchwald, begannen Torf als Brennmaterial zu stechen. Die | |
| Menschen hatten sich mit dem kargen Moos arrangiert und nutzten die Gräser | |
| als Einstreu für ihre Viehställe – daher die Bezeichnung Streuwiese. | |
| Anfang des 20. Jahrhunderts zog es Künstler wie Gabriele Münter und Wassily | |
| Kandinsky nach Murnau. Sie malten den Staffelsee und das Murnauer Moos. | |
| Wenn es die Naturschützer nicht gegeben hätte, wären ihre Bilder vielleicht | |
| die letzten Zeugnisse dieser schönen, urtümlichen Landschaft. Denn ein | |
| solch großer, ungenutzter Raum weckt Begehrlichkeiten. | |
| ## Ein Nazi der ersten Stunde | |
| 1924 gab es erste Pläne, das Moos großflächig trockenzulegen. In der | |
| Nazizeit wollte hier die Süddeutsche Zellstoff AG in großem Maßstab Sisal | |
| und Schilf für die Kriegswirtschaft anbauen. Der Naturschützer und | |
| Mundartdichter Max Dingler, ein Nazi der ersten Stunde, verhinderte dies | |
| und erreichte mit seinen Parteikontakten, dass das Kerngebiet des Murnauer | |
| Mooses zumindest vorläufig gesichert wurde. | |
| Nicht verhindert wurde damals der Abbau von Glaukonitsandstein, den man in | |
| den Köcheln fand. Das Mineral ist ideal als Schotter für Straßen- und | |
| Schienenwege. | |
| Auch nach dem Krieg hatte man mit dem Moos allerhand vor. 1956 gab es Pläne | |
| für eine große Karpfenzucht; 1968 sollten im Zuge des Baus der Autobahn | |
| nach Garmisch-Partenkirchen 600.000 Kubikmeter Moorschlamm im Moos | |
| verklappt werden. Und immer wieder wurde darüber nachgedacht, das | |
| „Brachland“ für Müll- oder Bauschuttdeponien zu nutzen. | |
| ## Streuwiesen gesichert | |
| Mit Ausnahme der Autobahn, die dann am östlichen Rand des Mooses gebaut | |
| wurde, und eines (mittlerweile wieder geschlossenen ) Segelflugplatzes | |
| konnten Natur- und Heimatschützer die zerstörerischen Projekte verhindern. | |
| Seit 1980 steht der Kernbereich des Mooses unter Naturschutz. Im Rahmen | |
| eines vom Bund finanzierten Naturschutzprojektes wurden auch die | |
| Streuwiesen gesichert. | |
| Sonst hätten Arten wie etwa der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling keine | |
| Chance. Das Insekt, eine von 71 Tagfalterarten, die im Moos vorkommen, | |
| praktiziert eine exklusive Art der Fortpflanzung. Es legt seine Eier | |
| ausschließlich in die Blüten des Großen Wiesenknopfes auf feuchten | |
| Streuwiesen. Nach vier Häutungen ähnelt die Raupe einer Larve der Wegameise | |
| und verströmt die gleichen Duftstoffe. | |
| Die ahnungslosen Ameisen schleppen sie in ihren Stock. „Dort wird sie mit | |
| Vorzugskost ernährt, wie sie sonst nur Ameisenköniginnen bekommen“, | |
| erläutert Rudi. Die Larven des Wiesenknopf-Ameisenbläulings überwintern im | |
| Stock, verpuppen sich im Frühjahr und suchen nach dem Schlüpfen schnell das | |
| Weite, weil ihre Tarnung nicht mehr funktioniert. Jetzt wird sie vielleicht | |
| zur kleinen Zwischenmahlzeit für den Wachtelkönig, vor dessen Krächzen sich | |
| die Menschen einst so fürchteten. | |
| 11 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Georg Etscheit | |
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