# taz.de -- Deutsche in der Türkei verurteilt: Haftstrafe für kurdische Säng… | |
> Die Sängerin Hozan Canê wurde in der Türkei wegen Terrorvorwürfen zu über | |
> sechs Jahren Haft verurteilt. Ihre Tochter kämpft für ihre Freiheit. | |
Bild: Die kurdischstämmige Sängerin Hozan Canê wurde zu über sechs Jahren H… | |
Am 14. November wurde die kurdischstämmige Sängerin Hozan Canê, bürgerlich | |
Saide İnanç, in der Türkei wegen Terrorvorwürfen zu sechs Jahren und drei | |
Monaten Haft verurteilt. Ein Gericht im westtürkischen Edirne hat die | |
deutsche Staatsbürgerin der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation | |
schuldig befunden. Canê war am 23. Juni, einen Tag vor den Parlaments- und | |
Präsidentschaftswahlen, in Edirne festgenommen worden und saß seitdem in | |
Untersuchungshaft. Sie war zur Unterstützung der HDP-Wahlkampagne in die | |
Türkei gereist. | |
Nun fiel in der dritten Verhandlung das Urteil. Canês Anwalt Nevroz Akalan | |
äußerte sich erstaunt über die Entscheidung des Gerichts. Er habe noch nie | |
eine derart blitzartige Aburteilung erlebt, sagte er der taz. Die | |
Staatsanwaltschaft hatte der Sängerin vorgeworfen, auf Anweisung der | |
verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK Liedtexte geschrieben, Videoclips | |
und einen Film gedreht zu haben. Als Beweis wurde Anwalt Akalan zufolge | |
einzig ein Foto herangezogen, das Hozan Canê zusammen mit dem | |
PKK-Führungskader Murat Karayılan zeigt. | |
Laut Akalan stammt es von der Pressekonferenz in den Kandil-Bergen am 23. | |
April 2013, die als Auftakt für die Friedensphase im Kurdenkonflikt gilt. | |
Dort hatten die PKK-Kämpfer*innen ihren Rückzug bekanntgegeben. „Etliche | |
Journalist*innen aus der Türkei waren bei der Pressekonferenz dabei, viele | |
haben sich mit Karayılan fotografieren lassen, niemand wurde daraufhin der | |
PKK-Mitgliedschaft bezichtigt“, sagt der Anwalt. „Außerdem ist ein Foto mit | |
einem Führungskader einer Vereinigung noch lange kein Beweis dafür, dass | |
man Mitglied in dieser Organisation ist.“ | |
Desweiteren wird Hozan Canê zur Last gelegt, sie habe auf Anweisung der PKK | |
einen Film gedreht. Der Film „74th Genocide Sengal“ wurde 2016 in Köln | |
gezeigt und war unter anderem auf den Festivals in Cannes und Monaco zu | |
sehen. Er handelt vom sogenannten IS, der 2014 Kobanê in Syrien und die | |
Shingal-Gebiete im Irak besetzt hatte. | |
## Ein schwieriges Leben | |
Der Film ist Canês Debut, sie schrieb das Drehbuch, führte Regie und | |
spielte die Hauptrolle. Gedreht wurde der halbdokumentarische Film | |
hauptsächlich in den Flüchtlingslagern im syrisch-türkischen Grenzgebiet in | |
der Zeit, als die IS-Angriffe noch andauerten. Szenen, die zeigen, wie Canê | |
den Darsteller*innen ihre Rollen erklärt, wurden vom Gericht als | |
„Ausbildung für die Organisation“ ausgelegt und das Flüchtlingslager als | |
„Lager der Terrororganisation“ eingestuft. Filmisches Hintergrundmaterial | |
und Beweise dafür, dass die syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten | |
YPG im Jahr 2014, als der Film gedreht wurde, in der Türkei noch nicht als | |
Terrororganisation eingestuft waren, blieben unberücksichtigt. | |
„Meine Mandantin ist jetzt seit sechs Monaten in Haft, es geht ihr nicht | |
gut“, berichtet Akalan. „Sie hat Krebs und war wegen der Traumata, die sie | |
bei den Dreharbeiten zum Film erlitt, in psychologischer Behandlung.“ | |
Canês Tochter Dilan Örs erzählt, dass ihre Mutter ein schwieriges Leben | |
gehabt habe. Mit zwölf Jahren sei sie zwangsverheiratet worden, mit 13 | |
brachte sie ihr erstes Kind zur Welt. „Sie war noch ein Kind, als sie drei | |
Kinder geboren hat“, sagt die 35-jährige Örs, die in Köln lebt. Viele Jahre | |
arrangierte sie sich mit der schwierigen Ehe und floh schließlich. Anfang | |
der 1990er Jahre zog Hozan Canê zu ihrer Schwester nach Istanbul. Ihr | |
musikalisches Talent wurde in einem Kulturzentrum entdeckt. Nach dem | |
Abschluss ihrer musikalischen Ausbildung Mitte der neunziger Jahre brachte | |
sie ihr erstes Album mit dem „Rê Waye“ (Das ist der Weg) heraus. | |
## Ihre Verbindung zur Türkei brach nie ab | |
Zu dieser Zeit wurden in der Türkei politische kurdische Lieder | |
strafrechtlich verfolgt. Deshalb ging Canê nach Deutschland und beantragte | |
Asyl. Kurz darauf holte sie auch ihre bis dahin bei ihrer Mutter lebende | |
Tochter Dilan nach Köln. | |
Mittlerweile hat Hozan Canê insgesamt 14 Alben herausgebracht. Ihre | |
Verbindung zur Türkei und der kurdischen Bewegung ist nie abgebrochen. | |
Tochter Dilan Örs berichtet, ihre Mutter sei häufig in das Land gereist, | |
dessen Staatsbürgerin sie nicht mehr war. | |
Örs kämpft jetzt dafür, dass ihre Mutter freikommt. Vor Erdoğans | |
Deutschlandbesuch im September schrieb sie einen Brief an den | |
Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. In dem Brief bat sie ihn darum, | |
nicht die Menschen zu vergessen, die wie ihre Mutter wegen ihrer | |
politischen Haltung im türkischen Gefängnis sitzen. Örs wurde mitgeteilt, | |
das Thema sei bei Staatspräsident Erdoğan angesprochen worden. Das deutsche | |
Generalkonsulat in Istanbul und das Auswärtige Amt kümmerten sich um ihre | |
Mutter, sagt Örs, aber: „Wir wissen natürlich nicht, in welcher Sprache | |
derartige diplomatische Kontakte laufen und welche Ergebnisse da zu | |
erwarten sind.“ | |
Sollten der vom Anwalt eingelegte Widerspruch und die Revision fruchtlos | |
bleiben, steht zu befürchten, dass Hozan Canê in dem Land, aus dem sie | |
einst vor dem Druck von Ehemann, Familie und Staat floh, mindestens fünf | |
Jahre im Gefängnis sitzen muss. | |
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe | |
15 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Irfan Aktan | |
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