# taz.de -- Designierter Linkspartei-Chef Ernst: Der Metallkopf | |
> Im Mai soll der umstrittene Gewerkschafter Klaus Ernst zusammen mit | |
> Gesine Lötzsch zum Linkspartei-Chef gewählt werden. In Schweinfurt ist er | |
> bereits eine große Nummer. | |
Bild: Spitzname "Milliönchen-Ernst": Klaus Ernst. | |
Links fließt die Donau, rechts glitzert der Schnee, von oben scheint die | |
Sonne. Klaus Ernst und Sahra Wagenknecht hatten gerade ihren ersten großen | |
gemeinsamen Auftritt, beim politischen Aschermittwoch im Wirtshaus Knott | |
bei Passau. Wagenknecht hatte sich über "Philipp Schnösler" von der FDP | |
lustig gemacht. Und Ernst hatte mit der bayerischen Verfassung gewedelt, | |
die eine Enteignung von Großbanken und Versicherungen zulasse. Jetzt sitzen | |
die beiden in Ernsts Audi Quattro, er am Steuer, weißes Hemd, gestreifte | |
Krawatte, sie auf dem Beifahrersitz, rotes Kostüm, hochgeschlossen. Der | |
polternde Gewerkschafter und die kühle Kommunistin. Der designierte Chef | |
der Linkspartei und die designierte Parteivize. | |
Ernst ist gut gelaunt, doch dann kommen im Bayerischen Rundfunk die | |
Nachrichten. Man hört Seehofer, Westerwelle, Gabriel, Özdemir. Alle kommen | |
dran. Nur nicht die Linke. "Typisch", schimpft Ernst. "Sauerei!" Er tritt | |
aufs Gas, der Tacho zeigt 200 an. Da zieht plötzlich ein Lkw nach links. | |
Ernst steigt auf die Bremse, die Reifen quietschen. Um ein Haar kracht es. | |
Crash bei der Linken! Die Schlagzeile hätte Ernst noch gefehlt. Auch so hat | |
er schon harte Wochen hinter sich. Aber anmerken lassen will er sich das | |
nicht. "Eine Partei ist keine Ehe", wird er später sagen. "Man muss sich | |
nicht lieben, und einige kann man auch nicht lieben." | |
Einen Monat ist es her, dass Oskar Lafontaine seinen Rückzug als | |
Linkspartei-Chef bekanntgab. Wenige Tage später wurde ein neues | |
Personaltableau präsentiert, das im Mai gewählt werden soll. An der Spitze: | |
die ostdeutsche Gesine Lötzsch und der westdeutsche Klaus Ernst. Doch | |
während Lötzsch akzeptiert wird, vergeht kaum ein Tag, an dem nicht jemand | |
in der Partei gegen den Lafontaine-Vertrauten Ernst ätzt. | |
Im Osten werfen sie ihm vor, den Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch | |
demontiert zu haben. Eine "Zumutung" sei die neue Spitze, wetterte der | |
sachsen-anhaltinische Landeschef. Doch auch im Westen regt sich Unmut. Der | |
Ko-Chef der zerstrittenen Bayern-Linken wirft Ernst vor, den Landesverband | |
"gutsherrlich" beherrschen zu wollen. Und die Frauen in der Partei sehen in | |
Ernst gar einen "Antifeministen", der die Quote ablehnt - und die Zote | |
hegt. | |
Kopfschüttelnd kolportieren sie eine Anekdote von einer Feier im | |
Karl-Liebknecht-Haus in Berlin. Dort erzählte Ernst jüngst von den ersten | |
Annäherungen seiner WASG an die PDS, und wie ihm da die fesche Sekretärin | |
von Lothar Bisky aufgefallen sei. Die Frau habe sich dann aber doch als | |
Dagmar Enkelmann entpuppt. Die war damals PDS-Vizechefin. Man kann sich | |
vorstellen, wie Ernst nach seiner Pointe sein breitestes Grinsen aufsetzte. | |
"Er ist manchmal eben ein typischer IG-Metall-Macho", sagt Parteifreund | |
Bodo Ramelow. | |
Schweinfurt. Seit 15 Jahren ist Ernst hier Erster Bevollmächtigter der IG | |
Metall. Hier ist er eine Nummer. Selbst die CSU-Oberbürgermeisterin Gudrun | |
Grieser lobt ihn: "Wenn es um den Industriestandort Schweinfurt ging, haben | |
wir immer in dieselbe Richtung gezogen." Ernst sieht es so: "Ein | |
Bevollmächtigter der IG Metall ist jemand." | |
Stadttour durch Schweinfurt. Ein ölig-metallener Geruch liegt in der Luft. | |
Ernst zeigt auf die großen Firmen der Industriestadt, als ob sie seine | |
wären: Den Kupplungsbauer ZF Sachs, die Kugellagerhersteller SKF und FAG, | |
Bosch Rexroth. Die kleine Runde endet an einer Brücke. Hier marschieren bei | |
Streiks die Arbeiter auf, schnell sind Tausende zusammengetrommelt. Ihr | |
Trommler: Klaus Ernst. "Ich habe meinen Laden im Griff", sagt er. | |
Kurz darauf sitzt Ernst in der IG-Metall-Verwaltungsstelle, Zimmer 21. Auf | |
seinem Regal stehen Helme mit IGM-Aufschrift. Souvenirs alter Schlachten. | |
Ernst kramt Bilder hervor. Er mit Vollbart bei seiner ersten 1.-Mai-Rede | |
1979. Er mit Klaus Zwickel, der ihn 1984 zur IG-Metall nach Stuttgart | |
holte. Er mit Lederjacke auf einer Demo in Schweinfurt. "Ich bin | |
Vollblutgewerkschafter", sagt Ernst. | |
Klaus Ernst ist 15, als er die Schule abbricht und aus der Wohnung seiner | |
Mutter in München zieht, weil er den gewalttätigen Stiefvater nicht mehr | |
aushält. 1969 war das. Seine Ersatzfamilie findet Ernst in der | |
Gewerkschaft. Sie ist es bis heute geblieben. Wenn man ihn fragt, warum er | |
nie selbst eine Familie gegründet hat, sagt er: Das habe sich vor lauter IG | |
Metall nie ergeben. | |
Beim Münchner Messtechnikunternehmen "Rohde & Schwarz" lernt Ernst | |
Elektromechaniker - und was Solidarität heißt. Als er nach der Ausbildung | |
nicht übernommen werden soll, setzt sich die IG Metall für ihn ein und | |
erreicht, dass er in der Firma bleiben kann. Schon damals hat Ernst ein | |
klares Weltbild, das in Gewerkschaftsseminaren noch geschärft werden | |
sollte. Wir hier unten gegen die da oben. Die Benachteiligten gegen die | |
Bonzen. Arbeit gegen Kapital. | |
Anfang der 70er hält Ernst bei einer Firmenfeier seine erste große Rede. | |
Die Betriebsleitung hatte zum Freibier auf den Nockherberg geladen. Doch es | |
rumort unter den 2.000 Mitarbeitenden. Die Brotzeitfrauen waren abgeschafft | |
worden, sie hatten in der Firma immer Brezen und Milch feilgeboten. Also | |
steht Ernst bei der Feier auf, wie sich einer erinnert, der dabei war: Die | |
Chefs hätten sich doch das ein oder andere Milliönchen zur Seite gelegt, | |
davon könne man doch die Brotzeitfrauen bezahlen! Fortan hatte Ernst einen | |
Spitznamen: "Milliönchen-Ernst". | |
Bis heute inszeniert sich Ernst als Rächer der Entrechteten. Nur sind es | |
inzwischen die Milliardäre, über die er herzieht. "Runter mit dem Pelz", | |
rief er am Aschermittwoch in die johlende Menge. Er meinte die | |
Firmenpatriarchin Maria-Elisabeth Schaeffler. Man kennt diese | |
Hauruckauftritte inzwischen von Ernst, egal ob im Wahlkampf, im Bundestag | |
oder in Talkshows. Er hat nur eine Lautstärke: volle Lautstärke. Seine | |
Lieblingsworte sind "Skandal" und "Räuberbande". Merkwürdig, dass | |
Weggefährten ihn einen "genialen Rhetoriker" nennen. | |
Von 1979 bis 1984 besucht Ernst die gewerkschaftsnahe Hochschule für | |
Wirtschaft und Politik in Hamburg. Dort konnte man auch ohne Abitur | |
studieren. Sein VWL-Studium finanziert ihm die Böckler-Stiftung, in den | |
Ferien jobbt er in Österreich als Skilehrer. Heute hat er in Tirol einen | |
alten Almhof mit Blick auf den Wilden Kaiser gepachtet, ein Foto davon | |
steht in seinem Büro. Dort steht auch ein roter Spielzeugporsche, Ernst hat | |
ihn zum 50. Geburtstag bekommen. Seinen echten Porsche holt er immer im | |
Sommer aus der Garage. Der Sportwagen hat ihm schon manchen Spott | |
eingebracht. "Wir predigen Wein und trinken ihn auch selber", sagt er dazu | |
nur. Das können auch alte Studienfreunde bestätigen, denen vor allem die | |
Kochabende mit Ernst in guter Erinnerung geblieben sind. | |
Rausschmiss aus der SPD | |
Für den Politiker Ernst war einer seiner Professoren bedeutender: Herbert | |
Schui. Ernst bleibt mit ihm auch nach dem VWL-Abschluss in Kontakt, bis die | |
beiden 20 Jahre später für Furore sorgen: Im März 2004 verschicken sie | |
zusammen mit fünf weiteren IG-Metall-Funktionären per E-Mail den Aufruf für | |
die "Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit". Drei Monate später wird | |
Ernst aus der SPD geworfen, nach 30 Jahren Mitgliedschaft. In langen | |
Telefonaten gewinnt er Oskar Lafontaine als Galionsfigur für eine neue | |
Partei: die WASG. Der Rest ist Geschichte. | |
Nun soll wieder Geschichte gemacht werden, nur dass Ernst dieses Mal selbst | |
der Chef sein will - und das, obwohl er in der Linkspartei noch nie | |
sonderlich beliebt war. Beim Parteitag in Cottbus 2008 bekam er noch nicht | |
einmal 60 Prozent der Stimmen für den Vizeposten. Und dennoch wird er im | |
Mai wohl ihr Ko-Chef werden. Weil es, wie eine Spitzengenossin sagt, "keine | |
echte Alternative gibt". | |
Angriffe lässt Ernst denn auch betont lässig an sich abprallen. "Als der | |
Oskar vorne stand, hat er die Pfeile abbekommen", sagt er. "Jetzt bekomme | |
ich sie ab." | |
Was Ernst und Lafontaine eint, ist ihre Fixierung auf die Sozialdemokraten. | |
Bei Ernst ließ sich das wunderbar am Abend der Bundestagswahl im September | |
beobachten. Ernst feiert auf der Wahlparty der Linken in Berlin. Grinsend | |
kämpft er sich durch die Anhängerschar in einem Partyzelt in Prenzlauer | |
Berg. "Irre", stammelt er. Und meint damit das irre hohe Ergebnis der | |
Linken in Bayern. In die Blöcke diktiert er dann aber ganz andere Sätze: | |
"Wir werden unseren Kurs halten, die SPD muss sich ändern." Fünf Monate | |
nach der Wahl ist Ernsts Sound immer noch derselbe. Vergangene Woche | |
polterte er bei einem Auftritt: "Die SPD muss sagen: Was wir in der | |
Regierung gemacht haben, war Mist." | |
Ernst kreist und kreist seit Jahren um dieselben Themen: die Sünden der | |
Schröder-SPD. Er wettert gegen die Agenda 2010, gegen Hartz IV, die Rente | |
mit 67. Am liebsten wäre Ernst wohl, man könnte eine Zeitmaschine bauen und | |
sich ins Jahr 1998 zurückbeamen. Oder gleich noch weiter zurück. Als | |
fleischgewordene 70er-Jahre hat man ihn mal bezeichnet. Und das stört ihn | |
noch nicht einmal. "Was war so schlecht an den 70er-Jahren?", fragt Ernst | |
in seinem IG-Metall-Büro in Schweinfurt. | |
In den 70ern waren die Gewerkschaften noch stark. Der Kanzler hieß Willy | |
Brandt. Und Klaus Ernst war ein glücklicher Sozialdemokrat. Bis heute hat | |
er sein SPD-Parteibuch zu Hause in einer Kiste aufbewahrt. Er hat es nie | |
zurückgegeben, nie zerrissen, nie weggeschmissen. | |
25 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Wolf Schmidt | |
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