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# taz.de -- Der radikale Aufsteiger
> Noch kurz vor seiner Wahl war Irans künftiger Präsident weithin
> unbekannt. Mahmud Ahmadinedschad versprach die Rückkehr "zu einem
> lupenreinen islamischen Gottesstaat".
VON
Vor seiner Wahl zum Staatspräsidenten fand der Kandidat noch einmal markige
Worte: "Wir werden wieder zu einem lupenreinen islamischen Gottesstaat
zurückkehren", versprach Mahmud Ahmadinedschad, bevor er im zweiten
Wahlgang gegen den Favoriten, den einflussreichen Exstaatspräsidenten
Haschemi Rafsandschani, ins offiziell höchste Staatsamt des Iran gewählt
wurde.
Wenige Monate zuvor war Ahmadinedschad außerhalb der Hauptstadt selbst im
Iran kaum bekannt. Für das Ausland war er sowieso ein Nobody.
Wer ist dieser Mann, der in den nächsten vier Jahren an der Spitze der
Exekutive eines der wichtigsten Länder des Nahen und Mittleren Ostens
stehen soll?
Der Unbekannte war zweieinhalb Jahre zuvor zum Bürgermeister von Teheran
gewählt worden - mit ganzen 12 Prozent aller Wählerstimmen. Von der
Reformern um Präsident Chatami enttäuscht, hatten überhaupt nur 25 Prozent
der Teheraner Wähler an der Kommunalwahl teilgenommen. Ahmadinedschad
präsentierte sich trotzdem als "Mann des Volkes", als Anwalt der
Habenichtse und als frommer Muslim, der im Namen Gottes soziale
Gerechtigkeit walten lassen wird.
Vor seiner Wahl hatte selbst Geheimdienstchef Ali Yunessi gewarnt. Sie sei
nicht im Interesse des Staates, schrieb er dem Teheraner Stadtparlament und
fügte einige Unterlagen zur Begründung bei. Um welche es sich genau
gehandelt hat, ist bis heute nicht bekannt. Die Warnung wurde jedenfalls
ignoriert.
Viel hat Ahmadinedschad als Bürgermeister nicht vorzuweisen. Er ließ einige
Kulturhäuser schließen und übergab deren Budget den Moscheen. Sein Wunsch,
auf jeden größeren Platz der Hauptstadt ein Denkmal für die Märtyrer zu
setzen, war selbst radikalen Islamisten zu abwegig, um in Erfüllung zu
gehen.
Nach dieser Bilanz hielt es niemand für aussichtsreich, als sich
Ahmadinedschad um das Präsidentenamt bewarb. Selbst als der Wahlkampf auf
Hochtouren lief, spielte er im Vergleich zu den anderen drei Kandidaten der
Konservativen kaum eine Rolle. Er hielt sich im Hintergrund. So wurde er
von den Medien kaum beachtet. Kein Journalist hielt es für nötig, seine
Vergangenheit zu beleuchten.
Erst zwei Tage vor dem ersten Wahlgang schoben ihn die Radikalislamisten
plötzlich nach vorn. Als er gegen Rafsandschani in die Stichwahl kam,
wurden Vorwürfe von Manipulation und Wahlfälschung laut. Jetzt lief der
Propagandaapparat der Radikalkonservativen erst richtig an. Innerhalb einer
Woche mobilisierten sie die Habenichtse, dazu all die, die in militärischen
und paramilitärischen Einrichtungen beschäftigt sind, und präsentierten
Mahmud Ahmadinedschad als Retter.
Der Unbekannte wurde zum Präsidenten gewählt. Am 24. Juni war eine der
zwielichtigsten Figuren des Iran ganz oben angekommen.
Seinen Weg dorthin hatte der heute 49-jährige Ahmadinedschad zur Zeit der
Revolution als Student an der Technischen Hochschule in Teheran begonnen.
Über seine damaligen politischen Aktivitäten ist wenig bekannt. Er selbst
sagt, er sei Mitglied der "Studenten der Linie Imam Chomeini" gewesen. Von
dieser Organisation, die Revolutionsführer Chomeini nahe stand, ging 1979
die Initiative zu der Geiselnahme amerikanischer Botschaftsangehöriger in
Teheran aus. Ahmadinedschad behauptet jedoch, daran nicht beteiligt gewesen
zu sein. Demgegenüber meinen einige Geiseln, ihn auf Fotos
wiederzuerkennen. Ahmadinedschads Sprecher sagt, er sei damals aufgrund
seiner stark antikommunistischen Einstellung eher dafür gewesen, statt der
US-amerikanischen die sowjetische Botschaft zu besetzen. Von den damaligen
Geiselnehmern sagen einige, Ahmadinedschad sei später hinzugekommen. Die
USA bemühen sich nun um Klarheit.
Unbestritten ist, dass Ahmadinedschad Mitglied der paramilitärischen
Sepah-e Ghods (Armee Jerusalem) war und dort in der Abteilung für
Auslandsoperationen, die auch in Europa gegen iranische Oppositionelle
eingesetzt wurde, aktiv war.
Es gibt handfeste Indizien, dass Ahmadinedschad 1989 bei dem Mord in Wien
an dem Vorsitzenden der Demokratischen Partei des iranischen Kurdistan,
Abdolrahman Ghassemlu, und zwei anderen Parteimitgliedern beteiligt gewesen
war. Über den Mord hat ein Zeuge, der inzwischen als "Zeuge D" bekannt
geworden ist, bei einem vertraulichen Gespräch mit dem früheren
Staatspräsidenten Abol Hassan Bani Sadr in dessen Pariser Exil einen
detaillierten Bericht vorgelegt. Der "Zeuge D" hat dabei Ahmadinedschad
schwer belastet. Am 13. Juli 1989 schlugen die Täter, in zwei Gruppen
aufgeteilt, zu. Die erste Gruppe sollte den Mord erledigen. Im Falle des
Scheiterns sollte die zweite Gruppe unter der Leitung von Ahmadinedschad
den Auftrag übernehmen. Doch alles lief reibungslos. Nur einer der Täter
wurde verletzt und kam ins Krankenhaus. Die anderen konnten noch am selben
Tag Österreich verlassen. Auch der Verletzte konnte später trotz
Mordverdachts mit ausdrücklicher Zustimmung der österreichischen Regierung
in den Iran fliegen. Die beiden Mörder, Taghipur und Asgari, sind
inzwischen auf mysteriöser Weise ums Leben gekommen.
Bani Sadr hat den Bericht an den grünen Politiker Peter Pilz, Mitglied des
Sicherheitsausschusses im österreichischen Parlament, weitergeleitet. Pilz
ist seit Jahren mit dem Fall beschäftigt. Er hörte selbst den "Zeugen D" in
Paris an und zeichnete die Aussagen auf. Pilz bestätigte, dass sich diese
Aussagen mit seinen eigenen Recherchen deckten, und erklärte: "Ich werde
alles tun, damit die Verfolgung der Täter durch die österreichische Justiz
wieder aufgenommen wird." Für ihn stehe fest, dass Ahmadinedschad eine
Gruppe der Täter geleitet hat. Doch Österreichs Justiz zögert noch.
Immerhin will sie den "Zeugen D" erst einmal anhören.
Ahmadinedschad werden noch weitere Beteiligung an Attentaten im Ausland
nachgesagt. Er soll unter anderem an dem Mordanschlag gegen den letzten
Ministerpräsidenten des Schahs, Schahpur Bachtiar, in Paris beteiligt
gewesen sein.
Der designierte Staatspräsident gehört zum militärischen Arm des
Gottesstaates. Hier hat er seine Basis. Die militärischen und
paramilitärischen Einrichtungen, die mit Chomeinis Machtübernahme 1979 als
Alternative zu der damals schahfreundlichen Armee gegründet wurden,
rekrutierten sich vorwiegend aus jungen Männern, die begeistert von der
Revolution und ihrem Führer Ajatollah Chomeini zu jedem Opfer bereit waren.
Aus ihrer Sicht sind Morde an Gegnern der Islamischen Republik ein
notwendiger Akt im Dienste des Glaubens.
Während diese Generation die Lasten des achtjährigen Krieges gegen den Irak
und des darauf folgenden Wiederaufbaus getragen hat, hielten Männer wie
Rafsandschani die Zügel der Macht in der Hand und kamen zu enormem
Reichtum.
Diese grauen Eminenzen sind trotz ihrer fundamentalistischen Ansichten
inzwischen moderater geworden - aus der Sicht der jüngeren
Radikalislamisten wie Ahmadinedschad ein Verrat an der Revolution. Diese
sehen nun den Zeitpunkt für eine Abrechnung gekommen und fordern die ganze
Macht. Sie eroberten bei den Kommunalwahlen vor zweieinhalb Jahren die
meisten Stadt- und Gemeinderäte und vor anderthalb Jahren die Mehrheit im
Parlament.
Jetzt sind sie in ihrem Marsch an die Spitze der Exekutive angekommen. Der
Machtkampf in der Islamischen Republik wird nicht mehr allein zwischen den
Reformern und Konservativen geführt, sondern zunehmend auch innerhalb der
Konservativen.
Ahmadinedschad hat kaum innenpolitische Erfahrung, außenpolitisch ist er
völlig ahnungslos. Er hat sich nach seinem Wahlsieg die Maske eines
moderaten, weltoffenen Politikers aufgesetzt. Aber selbst wenn er diese
Rolle weiterspielen wollte, würden diejenigen, die seinen Aufstieg
gefördert haben, ihn daran erinnern, dass im Gottesstaat die Ideologie
immer Vorrang vor der Politik hat.
Es ist also nicht zu erwarten, dass er aus der konservativen Phalanx
ausscheren wird. Seine Ankündigungen sind deutlich. "Wir lassen nicht zu,
dass die mit dem Blut unserer Märtyrer getränkte Erde unseres Landes von
Fremden, antiislamischen Kräften okkupiert wird", versprach er und fügte
hinzu, dass der Iran eine dritte islamische Revolution brauche, eine
Revolution, die "alles Verderbliche hinwegfegt, die Gerechtigkeit walten
lässt und den Armen und Barfüßigen Wohlstand bringt". Außerdem habe der
Iran ein Recht auf den Besitz der Atomtechnologie und "dieses Recht werden
wir uns niemals nehmen lassen".
Aller Voraussicht nach werden sich die bevorstehenden Verhandlungen Irans
mit der EU noch schwieriger gestalten als befürchtet. Sollte es sich
herausstellen, dass der neue Präsident an der Geiselnahme und an Morden
beteiligt gewesen war - welche Regierung würde es dann noch wagen, diesen
Mann als Gast zu empfangen?
1 Aug 2005
## AUTOREN
Bahman Nirumand
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