# taz.de -- Der lange Weg zum türkischen Publikum | |
> Nach 17 Jahren läuft der preisgekrönte Film „Yol“ von Yilmaz Güney und | |
> Serif Gören in türkischen Kinos ■ Von Jürgen Gottschlich | |
Neben einem Plakat für „Shakespeare in Love“ wirbt in einem ganz normalen | |
Kino im Istanbuler Stadtteil Kadiköy ein Aushang für „Yol“. Für die meis… | |
Besucher scheint es sich um einen Film unter anderen zu handeln. Bis auf | |
ein Grüppchen, das schon im Vorfeld heftig diskutiert, interessiert sich | |
das Gros der Kinogänger erst einmal für den Popcornstand. Im Foyer gibt es | |
allerdings auch keinen Hinweis auf die Geschichte des Films. Die Gala mit | |
geladenen Gästen hatte bereits drei Tage zuvor stattgefunden, hier ist | |
business as usual. | |
1982 hatte „Yol“ in Cannes die „Goldene Palme“ bekommen. Im Vorspann des | |
für den türkischen Kinostart restaurierten Films wird gezeigt, wie der | |
schon damals kranke Güney – er starb zwei Jahre später in Paris – die Pal… | |
entgegennahm; mit erhobener Faust als Zeichen des Protests gegen die | |
Militärdiktatur in dem Land, in dem sein Film spielt. „Yol“ wurde 1981 | |
gedreht, im September 1980 hatte das Militär geputscht. Yilmaz Güney saß zu | |
dieser Zeit wegen eines angeblichen Eifersuchtsmords nach einem höchst | |
umstrittenen Indizienprozeß im Knast. Ende 1981 nutzte er einen Freigang, | |
um nach Westeuropa zu fliehen. | |
Im Knast schrieb Güney auch das Drehbuch, sein Freund und Mitarbeiter Serif | |
Gören übernahm die Regie. Der Film wurde an den Originalschauplätzen | |
klandestin gedreht. Der Film wurde zu einer Ikone der Linken, gerade weil | |
es kein plattes Agitprop-Stück ist. Die Geschichte erzählt das Schicksal | |
von fünf Knasturlaubern, die für 10 Tage in ein Land entlassen werden, das | |
selbst einem Gefängnis gleicht. Die fünf Geschichten enden durchweg | |
tragisch, aber nur zwei der Urlauber werden direkt mit der staatlichen | |
Repression konfrontiert. Die anderen kämpfen mit sozialen und kulturellen | |
Zwängen, die die Tradition des Landes, vor allem im Osten, ihnen auferlegt. | |
Der Film erreichte auch in Deutschland sein Publikum weit über | |
Cineastenkreise hinaus, aber es ist doch etwas anderes, ihn hier in der | |
Türkei anzuschauen. Vor allem die Szenen in den kurdischen Bergen lassen | |
einen unwillkürlich zusammenzucken. Sie müssen „dem Staatsapparat“ immer | |
noch wie reine PKK-Propaganda vorkommen. Der Krieg ist ja noch keineswegs | |
Geschichte, gerade jetzt, wo die Öcalan-Hysterie der letzten Monate noch | |
ganz frisch ist, war es sicher ein Risiko, den Film in die Kinos zu | |
bringen. Offiziell wurde das Verbot 1992 aufgehoben. Daß es bis zum | |
regulären Kinostart dann noch so lange dauerte, hat vor allem finanzielle | |
Gründe. Fatos Güney gründete nach dem Tod ihres Mannes eine Stiftung, um | |
seine Werke auch in der Türkei publik zu machen. Noch im letzten Jahr | |
veranstaltete die Stiftung ein großes Benefizkonzert, um die Mittel für die | |
Restauration des Films zusammen zu bekommen. Überschattet wurde der | |
Kinostart von einem Streit zwischen Serif Gören und der Yilmaz-Güney- | |
Stiftung. Der Mann, der „Yol“ realisierte, während Güney im Knast saß, | |
beklagt sich bitter, weil die Veränderungen an dem Film ohne sein | |
Einverständnis vorgenommen wurden. Tatsächlich geht es aber wohl darum, daß | |
er seinen Anteil an dem Film insgesamt nicht wirklich gewürdigt sieht. Er | |
boykottierte die Premierengala. | |
„Yol“ ist in der Türkei bereits einmal auf einem Filmfestival in Ankara | |
gezeigt worden. Jetzt ist er endlich dem breiten Publikum zugänglich. Die | |
meisten der Zuschauer, die am Freitagabend in Kadiköy im Kino saßen, waren | |
kaum älter als der Film. Da die Zeitungen hier ausführlich über den | |
Kinostart von „Yol“ berichtet haben, dürften sie dennoch alle gewußt habe… | |
daß es sich um einen Klassiker der besonderen Art handelt. In Interviews | |
sagten einige, sie wüßten nicht viel über Yilmaz Güney, sie seien aber | |
neugierig. Spätestens nach dem Film war allen klar, daß sie ein | |
herausragendes Dokument gesehen hatten. Schweigend, etwas betreten vor sich | |
hinschauend, verließen die Leute das Kino. | |
15 Feb 1999 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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