# taz.de -- „Der Unterschied zum Punk“ | |
> ALTER WILDER Der Künstler Albert Oehlen war „frühunreif“ und mischte so | |
> den Kunstbetrieb auf | |
INTERVIEW JULIAN WEBER | |
taz: Herr Oehlen, Ihre Kunst ist immer abstrakter geworden, weg aus dem | |
Gegenständlichen ihrer Anfangstage, warum?Albert Oehlen: Ja, das ist so. | |
Wobei ich in meiner Haltung keinen Bruch zu früher sehe. In die frühen | |
Bilder ab 1981 kam Ironie rein, weil ich gar nicht anders konnte. Ich habe | |
eine Distanz zur Gegenständlichkeit gehabt, zu der Aufforderung, damit | |
etwas zu meinen. 1982 habe ich dann Spiegelbilder gemacht, da wird die | |
Tiefenwirkung, das Gegenständliche an dem Raum schon ad absurdum geführt | |
mit den Spiegeln. In der Beziehung habe ich immer Quatsch mit meinen | |
Motiven gemacht und hatte damals auch immer im Kopf, mal ein richtiger | |
abstrakter Maler zu sein. Ich habe immer auf den Moment gewartet, wo ich | |
das mal umsetzen werde, und 1988 in Spanien habe ich dann das erste | |
abstrakte Bild gemacht. Hatte das mit ihrem Erfolg als Künstler zu tun? | |
Erfolg stimmt insofern, als ich von Anfang an machen durfte, was ich | |
wollte. Ich hab ein paar Jahre gekellnert, aber ich kann mich nicht | |
erinnern, jemals Hungerkünstler gewesen zu sein. Ich konnte immer | |
ausstellen, seit dem Moment, als ich die Akademie verlassen habe. Das muss | |
man klar sagen: das ist Erfolg. Aber ich finde es ungenau, wenn es so | |
dargestellt wird, als hätten meine Künstlerfreunde und ich Ende 70er den | |
Ton angegeben. Man nannte die Malerei, mit der sie damals bekannt wurden, | |
„Neue Wilde“. Neue wilde, heftige Malerei, das bezog sich erst mal auf die | |
Berliner. Die Moritzplatz-Leute. Zu denen gab es immer ein bisschen | |
Distanz, obwohl ich die, die ich kannte, nett fand. Distanz, nicht über die | |
Bewertung ihrer Sachen. Man wollte einfach nicht so malen wie die. Meine | |
Sache ist unabhängig davon entstanden. Ich war auf was anderes aus. Es gab | |
aber viele Gruppenausstellungen, auf unterschiedlichen Niveaus, und da | |
wurde alles über einen Kamm geschoren. Da wurde man dann auch unter „Wilde | |
Malerei“ einsortiert. Warum sind die Werke der „Neuen Wilden“ primitiver | |
als das, was vorher en vogue war? Es wird immer so dargestellt, als hätte | |
sich „meine Generation“ gegen Konzeptkunst und so weiter gewandt. Für mich | |
und meine Freunde trifft das nicht zu. Das, von dem man umgeben war, in den | |
späten 70ern, das kann man in alten Kunstmagazinen nachprüfen, das war | |
meistens nicht die Avantgarde, sondern oft schlechte Kunst. Und zwar | |
hauptsächlich Malerei. So Rot-schwarz-Malerei, sehr viel Körperzeugs und | |
natürlich auch rostige Eisenskulpturen. Eine Mode in den Akademien war | |
auch, Sachen an die Wand lehnen und am Boden Pigment rumstreuen. Können Sie | |
die Konfliktlinien erläutern, die es Anfang der Achtziger gab? Die | |
Abgrenzung zur vorigen Generation bezog sich hauptsächlich auf Künstler, | |
die wir nicht gut fanden, die aber damals groß waren. Gegen Polke und Beuys | |
hatten wir nichts. Wir waren zwar zu jung für die 1968er, aber ich weiß | |
nicht, ob wir etwas frühreif oder besser frühunreif waren. Auch wenn wir zu | |
spät kamen, ist für uns 1968 dennoch das Großereignis gewesen, und man war | |
im Bann dieser Revolution. Hauptsächlich durch die Musik, aber auch durch | |
die Ideen. Soziale Plastik? Das is auch so’n Wort. Aber ich meine eher | |
dieses paranoide Alles-miteinander-Verknüpfen, das mag es vielleicht auch | |
vorher bereits gegeben haben, aber nicht so in dieser weltumspannenden | |
Massenbewegung, also dass es in jeder WG praktiziert wird. Ältere Freunde | |
haben uns davon erzählt und wir haben das dann auch selber betrieben. Und | |
dann dieses Gefühl, dass man nicht ausschließt, dass in naher Zukunft etwas | |
Revolutionäres geschehen könnte, habe ich noch empfunden. Das ist heute | |
nicht mehr vermittelbar. Hatten Sie in den Siebzigern Verbindungen zur | |
Gegenkultur? Der Begriff Szene ist zu hochgegriffen. Mein Bruder Markus und | |
Walter Dahn wohnten Mitte der Siebziger in Krefeld. Da hat man über Kunst | |
diskutiert. Beuys, Warhol, Polke waren die Idole. Noch früher, 1972, war | |
ich so ein bisschen in der linksextremen Angelegenheit zugange. Durch Jörg | |
Immendorff machte ich eine Lehre in Düsseldorf. Wenn man wie ich mit 16, 17 | |
agitiert wird, erscheint einem alles logisch und konsequent. Andererseits | |
konnte ich durch Selbstbeobachtung auch feststellen, dass ich in etwas | |
reingetrieben wurde. Der Immendorff war immer die treibende Kraft. Es | |
entwickelte sich aus seinen Lidl-Aktionen und ging über in die | |
Mietersolidarität. Das waren noch schräge und spontihafte Aktionen. Später | |
sollte man „Klassiker“ lesen. Man durchlief sieben Gruppen, und eine war | |
radikaler als die davor. Und immer hatte Immendorff die Initiative. Ich | |
habe gemerkt, dass die ganze Gruppe nur was macht, wenn er das Zeichen | |
gibt. Punk gilt als die Befreiung aus dieser Orthodoxie, wie wichtig war | |
Musik, als sie Ende der Siebziger auf der Hamburger Kunstakademie waren? | |
Nicht Punk war die Befreiung, ich selbst habe Abstand davon genommen. 1977 | |
bin ich nach Hamburg und habe im Karolinenviertel eine bezahlbare Wohnung | |
gefunden. In Fußweite zur Markstube, damals Treffpunkt von Kunst- und | |
Musikszene und „Buchhandlung Welt“, ebenso ein wichtiger Treffpunkt. Es gab | |
dort Ausstellungen von Wandgemälden. Dieter Roth hat eins gemacht und Leute | |
wie wir auch. Welche Rolle hat die Musik in Ihrer Kunst gespielt? Als es in | |
Deutschland 1978/79 mit Punk losging, gab es in England schon weit | |
interessantere Sachen. Wir haben Punkrock also nicht erfunden. Ich habe | |
mich schon damals mehr für abweichende Sachen interessiert: Gang of Four | |
und Wire. Und dann hat man noch „Agartha“ (von Miles Davis) gehört und | |
„Pangeda“ und den Reggae von U Roy und noch lieber I Roy. In meiner | |
Nachbarschaft wohnte Holger Hiller, damals noch vor Palais Schaumburg, was | |
auch ein Glücksfall war, weil er ein toller Musiker ist und ein lustiger | |
Kerl. Dann war ich auch mit Diedrich Diederichsen befreundet und wurde von | |
ihm ständig mit Musik konfrontiert. Was war in der Kunst die Entsprechung | |
zu Punk? Unsere Malerei war ziemlich übel. Wir haben praktisch auf dem | |
Buckel der Kunstwelt malen gelernt. Allerdings wollten wir in die heiligen | |
Hallen der Kunstgeschichte. Das ist der Unterschied zum Punk. Die | |
Entsprechung zum Punk über Schwung und Lebensgefühl und Aggression, die gab | |
es mehr bei den Berlinern. Bei mir kann ich sagen, dass es ein bisschen | |
vertrackter ist. Ich habe nie versucht, ein Lebensgefühl auszudrücken oder | |
das meiner Generation. Was steckt denn für eine Geisteshaltung hinter ihrem | |
Gemälde aus dem Jahre1982 „Geh zu dem Berg, wo die Motorradfahrer üben“? | |
Bei dem Bild ist sichtbar, dass ich stark von Immendorff und Sigmar Polke | |
beeinflusst war, was eigentlich gar nicht zusammengeht. Weil es zwei | |
konträre Positionen sind, aber es meint den frühen Immendorff, wo er auch | |
noch Pop war. Allein das Format und die Farben entsprechen genau dem, wo | |
die beiden relativ ähnliche Sachen gemacht haben. Eines meiner Anliegen | |
damals war, ein besonders unmögliches Motiv zu finden. Außerdem hat ein | |
Gemälde normalerweise eine gewisse Diskretion und verlangt nicht etwas von | |
einem. Und schon gar nicht sagt es einem das ins Gesicht. Bis dahin, was | |
man sich so unter politischen Bildern vorgestellt hat, dachte man an | |
Gustave Courbet oder später Otto Dix und George Grosz. Auch die haben einem | |
ja nicht gesagt, was man tun sollte. Das hat aber der Immendorff gemacht. | |
Das finde ich „das Revolutionäre“ an seiner Kunst, dass der das Bild zum | |
Transportmittel für direkte Aufforderungen erniedrigt hat. Die musste man | |
wörtlich nehmen. „Unterstützt das Vietnam-Komitee“. Vielleicht wollte ich | |
dasselbe und habe es aus Versehen ironisch gemacht. Durch Punkrock kamen ab | |
1976 auch viele Frauen zum Zug. Wie sah das in der Sphäre der Kunst aus? Es | |
gab Frauen: Claudia Schifferle, Elvira Bach. Kunst verlangt heute insgesamt | |
eine andere Meisterschaft als früher. Man muss vor allem das können, was | |
man sich vorgenommen und behauptet hat. Vielleicht wurde das damals | |
durchgesetzt. In den Neunzigern haben Sie Kunst am Computer erschaffen. Man | |
hat am Computer beschränkte Möglichkeiten, obwohl er unendliche Variationen | |
zulässt. Damit umreißen Sie, was mich daran interessiert hat. 1991 hatte | |
ich mir einen Laptop gekauft. Weil die ersten Ausdrucke der Zeichnungen | |
unendlich primitiv aussahen, brauchten sie noch die menschliche Hand zum | |
Nachbearbeiten. Diese Pixel sind authentisch, das ging damals nicht besser. | |
Da war einerseits der im Wort Computerkunst anklingende Anspruch, | |
übermenschliche Sachen zu machen. Auf der anderen Seite ist das Ding in der | |
Entwicklung und man selbst auch, weil man den Computer zu handhaben lernen | |
muss. Da hatte ich das Gefühl, dass das spannend sein könnte. Dass man | |
praktisch durch die Unvollkommenheit ganz fest in der Zeit sitzt. Also dass | |
das Bild auch später absolut als 1991 lesbar ist, weil ihm bestimmte | |
Computerprogramme zugrunde liegen. Empfinden Sie es jetzt als eine | |
Befreiung, mit Graphit auf Papier zu arbeiten, wie beispielsweise für Ihren | |
neuen Bildband? Im Moment empfinde ich es als Befreiung, dass ich den | |
Computer nicht mehr benutzen muss. Aber auch der Weg zu Graphit war mühsam, | |
weil daran der Flair von schmutzigem Künstleratelier und schmutziger | |
Akademie klebt. Sich davon frei zu machen, kann schon mal zwei Jahrzehnte | |
dauern. Also bei mir hat’s so lang gedauert. Ich habe bei Ihren neuen | |
Zeichnungen eher den Eindruck von chirurgischer Präzision. Das ist eine | |
gute Assoziation. Es sind völlig artifizielle, teils mit Hilfsmitteln | |
hingesetzte Linien, ausgedachte Kurven. Das Ganze völlig an den Haaren | |
herbeigezogen, und nicht, was es auf den ersten Blick zu sein scheint: | |
Nämlich expressive aus dem Ärmel geschüttelte Kringel. Kann man als | |
Künstler in Würde altern? Das kann man als Künstler besser als als Popstar. | |
Da gibt’s ja genug Beispiele. Auf jeden Fall. | |
■ Albert Oehlen & Rainald Goetz: „Abstract Reality“ (Zeichnungen und | |
Gedichte). Holzwarth Publications, Berlin, 2010, 36 S., 35 Euro | |
29 May 2010 | |
## AUTOREN | |
JULIAN WEBER | |
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