# taz.de -- Der Talentschmied | |
> Als Bundesligacoach war Hermann Gerland nur mäßiger Erfolg beschieden. | |
> Nun darf er als Amateurtrainer des FC Bayern München aus jungen | |
> Nachwuchskickern die Stars von morgen machen | |
AUS MÜNCHENTHOMAS PLÜNNECKE | |
Rund und gesund. So kannte ihn die Fußball-Nation. Bisher. Doch wer Hermann | |
Gerland lange nicht gesehen hat, der reibt sich verwundert die Augen. „Ich | |
bin windschnittiger geworden“, sagt er und lacht. Der 49-Jährige hat | |
abgespeckt. „Zwölf Kilo“, verrät er. „Ungefähr. Ich wiege mich nie.“… | |
Grund ist leider ernst: Diabetes. | |
Im März 2002 wurde die Krankheit diagnostiziert. Urplötzlich. Gerland, der | |
früher knapp zwei Liter Coca-Cola pro Tag getrunken und en masse Süßes | |
vernichtet hat, hat seinen Speiseplan völlig umgekrempelt. Die Ärzte | |
freut’s. Doch die Diät hat einen Haken: „Man kann mich leichter reizen. | |
Dünner bin ich aggressiver.“ | |
Dass der „Tiger“ fauchen kann, ist vor allem an der Grünwalder Straße in | |
München bekannt, dort, wo die Amateure des FC Bayern zu Hause sind. Gerland | |
betreut die zweite Garnitur der Bayern. Den Nachwuchs fördern und fordern, | |
ist seine Mission. „Ein Traum“, schwärmt er. „Diese Qualität hätte ich | |
gerne bei meinen Ex-Clubs gehabt. Ich arbeite mit erstklassigen Leuten. Die | |
sind zwar jung, aber unglaublich willig.“ Mit 38 Punkten rangiert sein Team | |
an der Spitze der Regionalliga Süd – und ist ungeschlagen. Das kommt einem | |
kleinen Wunder gleich, denn der personelle Aderlass vor der Saison war | |
enorm. Wieder einmal. Deutsche Vereine greifen häufig und gern in den | |
Talentpool des Rekordmeisters. Der HSV holte Stephan Kling, der 1. FC Köln | |
verpflichtete Markus Feulner, der VfB Stuttgart angelte sich Philipp Lahm | |
und Markus Husterer. | |
„In erster Linie bilden wir natürlich für uns aus“, sagt Gerland. Der | |
Fußballlehrer, von 1990 bis 1995 in gleicher Position schon einmal an der | |
Isar tätig, frischt das weiß-blaue Starensemble regelmäßig mit Blut auf. So | |
verpasste er Rohdiamanten wie Markus Babbel, Sammy Kuffour, Christian | |
Nerlinger und Dietmar Hamann den Feinschliff. | |
Das Prädikat „tauglich“ gibt’s freilich nicht geschenkt. „Der Weg hier… | |
dornenreich“, sagt Gerland. „Nur die Besten schaffen den Sprung. Der Rest | |
muss weiter auf die Wiese – oder wechseln.“ Bei der Suche nach neuen | |
Brötchengebern ist er behilflich. „Ich habe genügend Kontakte. Die Kollegen | |
wissen, dass sie sich hundertprozentig auf mein Zeugnis verlassen können“, | |
sagt Hermann Gerland. | |
Sein Erfolgsrezept verrät der Nachwuchsförderer nicht. „Ich habe keine | |
Lust, mich zu loben.“ Jede andere Antwort wäre wohl untypisch für den | |
bodenständigen Westfalen. So viel lässt er sich dann doch entlocken: „Es | |
ist ein Vorteil, dass ich in der Bundesliga gespielt und trainiert habe. | |
Ich weiß, was verlangt wird.“ Feuer. Ehrgeiz. Qual. „Es kann nicht jeder | |
ein Rastelli sein. Aber kämpfen sollen sie alle“, heißt die Devise. | |
Neben Ordnung und Disziplin legt der ehemalige Verteidiger des VfL Bochum | |
Wert auf technische Feinheiten. „Die Jungs sollen lernen, was ich nicht | |
konnte.“ Wehe, der Chef ist unzufrieden. Dann poltert er los – gnadenlos, | |
ohne Umschweife. „Hätte, Wenn und Aber ist blödes Gelaber“, meint Gerland. | |
„Bei mir wird Klartext gesprochen. Ich bin ein harter Typ, der das Team | |
schüttelt und zusammenscheißt. Nur Streicheleinheiten, das funktioniert | |
nicht.“ | |
Der berüchtigte Schleifer ist indes auch Freund, wie Ex-Schützling Philipp | |
Lahm (20) betont: „Er lässt keinen Spieler fallen, setzt sich für jeden | |
ein. Das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und der Mannschaft ist riesig.“ | |
Schlummert unter der rauen Schale also ein weicher Kern? Tarnt die derbe | |
Ausdrucksweise Sensibilität? „Das kann schon sein“, kommentiert Gerland | |
eindeutig zweideutig. Einblick in sein Seelenleben gewährt er selten. „Auf | |
Gefühle gebe ich gar nichts. Dreimal hatte ich das Gefühl, einen Sohn | |
gezeugt zu haben – und wir haben drei Töchter zu Hause.“ | |
Die Winterpause nutzt der Hobbybauer, um Landluft zu schnuppern. In | |
Marienfeld, einem Dörfchen nahe Bielefeld, schlendert er dann mit | |
Schubkarre und Mistgabel über seinen Hof. Den hat der Pferdenarr sich | |
zugelegt, als ihn die Arminia anheuerte. „Ich wollte sesshaft werden“, | |
erzählt er. Der Wunsch blieb unerfüllt. Gerland wurde auf der Alm ebenso | |
gefeuert wie bei Tennis Borussia Berlin, in Nürnberg und Ulm. „Wenn man zum | |
ersten Mal rausfliegt, tut das sehr weh. Danach ärgert man sich, weiß aber, | |
dass man nichts dagegen tun kann.“ | |
Schwamm drüber. Seit Juli 2001 ist er ja zurück in seinem Revier. „Ich | |
gehöre auf den Platz.“ Den neuen Job sieht er nicht als Abstieg. „Die Sache | |
macht mir Spaß. Ich musste hier nicht her. Es gab immer Angebote.“ Den | |
Ausschlag habe die Dauer der Kooperation gegeben. Diese sei auf | |
„mindestens“ fünf Jahre angelegt, sagt Uli Hoeneß. „Die Skala ist nach … | |
offen.“ Der Manager rollt Gerland den roten Teppich aus: „Für uns ist er | |
ein Sechser im Lotto.“ | |
Ein Vertrag existiert nicht. „Wir haben die Sache per Handschlag | |
abgemacht“, sagt Gerland. „Das reicht. Schriftliches braucht nur, wer sich | |
seiner nicht sicher ist.“ Der Talentschmied genießt seine Stellung. „Ich | |
habe absolut freie Hand – das ist herrlich“, sagt er. Und verteilt artig | |
Komplimente: „Mich als den einzig Weisen hinzustellen, ist ungerecht. Alle | |
Ausbilder leisten Hervorragendes.“ | |
In der Tat: Gerland ist nur die letzte Instanz eines ausgeklügelten Systems | |
aus Scouts und qualifizierten Trainern beim FC Bayern München. Über | |
Hitzfeld-Assistent Michael Henke wiederum wird der Draht zu den Profis | |
gehalten. „Der schaut bei fast jeder Heimpartie zu“, sagt Gerland. | |
Ist er stolz, wenn sich einer seiner jungen Kicker in den Kreis der Elite | |
einreihen darf? „Nein! Ich diene dem FC Bayern und werde für diese Aufgabe | |
bezahlt. Ich freue mich einfach, dass ich sie auf einem Teil ihrer Karriere | |
begleiten durfte“, sagt Hermann Gerland. | |
14 Jan 2004 | |
## AUTOREN | |
THOMAS PLÜNNECKE | |
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