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# taz.de -- Der Star ist der Star
> Bis zu 40.000 Stare konzertieren allabendlich am Berliner Dom. Nun wird
> dem Vogel ein dreitägiges Symposium gewidmet
VON ALENA SCHRÖDER
Die Museumsinsel ist in den Sommermonaten ein Ort harter musikalischer
Konkurrenz. Während auf dem Platz vor der Alten Nationalgalerie Klassik-,
Pop- und Rockstars auftreten, gehört der direkt nebenan gelegene
Kastanienhain zwischen Friedrichsbrücke und Berliner Dom einem Chor aus
40.000 Sängern: Riesige Schwärme von Staren nutzen die Bäume jedes Jahr
zwischen Juli und September als Schlafplatz und geben vor dem Einschlafen
ein beeindruckendes Konzert, das mittlerweile sogar Besucher anlockt. Jeden
Abend ab 19.30 Uhr sammeln sich einzelne Star-Gruppen am Himmel über dem
Dom und verbinden sich in immer neuen Formationen zu einem großen Schwarm,
kreisen wie eine amöbenartige Wolke noch einige Male um die Kuppel, bis sie
wie auf Kommando in die kleine Gruppe von Kastanien einfallen. „Kaum ein
anderer Vogel bildet derart kunstvolle Schwärme in dieser Größe und verfügt
gleichzeitig über eine so große Bandbreite an Lautäußerungen“, sagt Klaus
Witt, Sprecher der Berliner ornithologischen Arbeitsgemeinschaft, der die
Stare am Dom schon seit Jahren zählt.
Auch Tilman Küntzel ist dem Star-Faszinosum verfallen (siehe Interview).
Als Klangkünstler interessieren ihn die Vögel vor allem als klangliche
Reflektoren städtischer Zivilisationsgeräusche. „Stare sind sehr geschickte
Imitatoren, die die Geräusche ihrer Umgebung verblüffend echt nachahmen und
über Generationen an ihren Nachwuchs weitergeben“, schwärmt er. „Es kann
also durchaus passieren, dass man nach seinem Telefon greift und plötzlich
einen Star in der Hand hält, der zufällig den gleichen Handyklingelton im
Repertoir hat.“ Für ihn Grund genug, dem Star an diesem Wochenende ein
Symposium zu widmen, auf dem Verhaltensforscher, Musikwissenschaftler und
Künstler das Sozialverhalten und den Gesang der Vögel diskutieren.
Schließlich beeinflusst der Star Kunst, Politik und Wissenschaft schon seit
Jahrtausenden. Plinius der Ältere hat bereits über die Flugmuster von
Staren geschrieben, Hildegard von Bingen nutzte den Vogel pulverisiert als
Mittel gegen aufgebrochene Geschwüre und Vergiftungen aller Art. Wolfgang
Amadeus Mozart übernahm aus dem Gesang eines Staren das Thema des dritten
Satzes seines Klavierkonzerts in G-Dur und ließ dem Vogel nach dessen
Ableben ein festliches Begräbnis zuteil werden. Im Kalten Krieg sorgten
Starschwärme für bizarre Auseinandersetzungen an der
österreichisch-ungarischen Grenze. Mit Flugzeugen versuchten beide Nationen
die Vögel aus ihren Weinbergen über die Grenze in die des Gegners zu
scheuchen, um dem Feind die Ernte zu vermiesen.
Dass sich Stare auch heute nicht im rechtsfreien Raum bewegen, zeigt eine
Arbeit des Künstlers Wolfgang Müller. Vor einigen Jahren besuchte er das
Haus des Dada-Künstlers Kurt Schwitters auf der norwegischen Insel
Hjertøya. Der Gesang eines Staren, der sein Nest an Schwitters Domizil
gebaut hatte, erinnert Müller sofort an Schwitters’ 1932 entstandene
Ursonate, einem Lautgedicht mit Tonfolgen wie: „rinnzekete bee bee nnz krr
müü“. Hatte Schwitters einem Star sein Lautgedicht womöglich vorgetragen,
dieser es an seine Nachkommen weitergegeben? Müllers Tonaufnahme des
Starengesangs wurde schließlich im Rahmen einer Ausstellung zu einer CD mit
dem Titel „Stare auf Hjertøya singen Kurt Schwitters“. Nur wenige Tage
später erhielt Müller Post von der Kiepenheuer-Bühnenvertriebs-GmbH, die
die Rechte auf das Werk Kurt Schwitters’ besitzt und eine vermeintliche
Wiedergabe der Ursonate durch Vögel offenbar nur gegen Gebühren zu
genehmigen gedachte. „Ich musste schriftlich darauf hinweisen, dass die
Stare von Hjertøya wohl kaum Ahnung über urheberrechtliche Bestimmungen
haben könnten und die CD bei der Gema unter ‚Naturgeräusche‘ angemeldet
ist“, sagt Müller. Der absurde Schriftwechsel sowie die Originalaufnahmen
des dadaistisch inspirierten Staren werden auf dem Symposium zu sehen und
zu hören sein, ebenso wie Klanginstallationen verschiedener Künstler, die
mit Stargeräuschen arbeiten. Wissenschaftliche Vorträge erläutern die
Schwarmformationen der Vögel, analysieren ihr Imitationsvermögen und den
Einfluss des Starengesangs auf die klassische und zeitgenössische Musik.
Den Beweis dafür liefert ein Klavierkonzert mit Stücken von Komponisten wie
Ravel und Messiaen, die offenbar hemmungslos vom Gesang der Stare
abgekupfert haben. Höhepunkt ist schließlich am Sonntagabend ein
Gemeinschaftskonzert der Stare vom Dom mit dem Elektronik-Akkustik-Trio
Perlonex: Der elektronisch verstärkte Klangteppich der Stare wird mit
Geräuschen von Schallplatten, E-Gitarren und Perkussion gemischt. Keine
Frage, wer dann der Star des Abends ist.
3 Sep 2004
## AUTOREN
ALENA SCHRÖDER
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