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# taz.de -- Der Sound der Piraten
> Jung, schwarz und grimmig: Grime ist nach UK-Garage der neueste
> Soundtrack der Londoner Nächte. Ob er auch hierzulande verstanden wird,
> zeigt sich heute Abend, auf der ersten Grime-Party Berlins
VON SVEN VON THÜLEN
Erinnert sich noch jemand an UK-Garage? Diesen sonnig-verspielten Hybrid
aus Drum and Bass, House und einer wohl portionierten Ladung R&B, der für
einen Sommer als das nächste große Ding gehandelt wurde? Damals, 1998, war
der Champus teuer, die Scherze billig und der Vibe frivol. Die Musik: ein
Feuerwerk an Experimentier- und Innovationsfreude. Nur interessierte es
hierzulande trotz eines beachtlichen Medienhypes kaum jemanden – die
Berliner UK-Garage-Abende verschwanden genau so schnell von den Flyern, wie
sie gekommen waren.
Einige Metamorphosen später versucht jetzt mit Grime der düstere
UK-Garage-Bastard zu beweisen, dass Londons Eastend doch noch
Stichwortgeber für die kontinentalen Dancefloors sein kann. Wer die
Beweisführung selbst antreten möchte, der hat heute bei „Lord of the Mic –
This is Grime!“, der ersten Grime-Party in Berlin überhaupt, die
Möglichkeit einige der Londoner Shootingstars live zu erleben.
Überhaupt London: In keiner Metropole entstehen in so schöner
Regelmäßigkeit neue Musikstile wie in der britischen Hauptstadt. In
unzähligen Schlafzimmerstudios basteln zumeist schwarze Kids an ihrem
urbanen Soundtrack, der im besten Falle den Schritt von den Straßen in die
Charts, vom lokalen Phänomen zum Mercury Award gewinnenden Verkaufsschlager
schafft – wie zuletzt Grimes erster großer Star Dizzee Rascal. Ein
18-Jähriger aus ärmsten Verhältnissen, der einmal mehr dafür sorgte, dass
die typisch englische Do-it-yourself-Erzählung von musikbegeisterten Kids,
Piratensendern und aus dem Kofferraum verkauften Schallplatten ihr Happy
End im Mainstream-Ruhm gefunden hat.
Wie schon die anderen britischen Stilhybriden Hardcore, Jungle oder 2Step,
die in den letzten fünfzehn Jahren zwischen Raggasoundsystems, kollektiver
Raveerfahrung und HipHop-Verehrung entstanden sind, ist auch Grime ein
direkter Nachkomme dieser langen Tradition – ein basslastiges Gemisch aus
Breakbeats, Ravesounds und grimmiger Direktheit. Klare Kategorisierungen
fallen dabei schwer: Wer in einen Plattenladen geht, sieht sich einem
unübersichtlichen Wust aus krakelig beschrifteten Whitelabels gegenüber. 50
bis 60 Neuerscheinungen pro Woche, direkt aus dem Presswerk in die Regale.
So schnelllebig, so voller Energie ist die Szene, dass ein Etikett wie „Der
Sound der Stunde“ mit dem nächsten ins Vinyl geritzten Riddim wieder neu
vergeben werden muss.
Wie im Dancehall gibt es in der Grime-Szene angesagte Riddims, über die die
verschiedenen MCs rappen. Standen bei UK-Garage und Drum and Bass die MCs
meist im Schatten der DJs, haben sich die Grime MCs gänzlich von der Rolle
des Partyanimateurs emanzipiert. Aushängeschilder wie Dizee Rascal und
Wiley basteln sich ihre Beats selber und Horden von minderjährigen Kids
kennen jede Textzeile auswendig. Selbst unter den etablierten MCs und
Produzenten der Grime-Szene ist kaum einer über 25. Die meisten weit
darunter.
Bei aller überbordenden Energie bleibt die Frage, wen dieser neue Stil, der
von dröhnenden 140-beats-per-minute-Monstern bis zu langsamen
Half-Time-Tunes so ziemlich jeden kopfnickenden Trick beherrscht,
hierzulande ansprechen soll. Die hiesige HipHop-Szene, die einem bei der
Suche nach potenziellen Hörern vielleicht als Erstes einfällt, hat sich
nach wie vor nicht aus ihrer Amerikafixierung gelöst. Auch wenn einiges,
das als Grime die Runde macht, Starproduzenten wie Timbaland zu denken
geben sollte, dürfte die Zahl der offenen Ohren allein dadurch begrenzt
sein, dass es bis jetzt keinen Vertrieb gibt, der sich jenseits des
Ärmelkanals um Grime bemüht.
Ähnlich wertkonservativ ist die House- und Technoszene, die vor allem mit
der MC-Lastigkeit der Tracks ihre Probleme habendürfte. Aber egal ob Grime
den Sprung in die kontinentalen Clubs schafft oder nicht, Scharen von Kids
werden im Londoner Eastend weiter an Reimen und Beats feilen, bis der
nächste stilistische Quantensprung den Äther der Piratensender mit einem
neuen Sound füllt.
„This is Grime!“, mit DJ Jammer, Target, MC D Double E u. a. heute, 23 Uhr,
WMF-Sommerlager, Littenstr.109, Mitte
23 Jul 2004
## AUTOREN
SVEN VON THÜLEN
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