# taz.de -- Der Pate des Regietheaters | |
> ANARCHISTISCH SINNLICH KLUG Peter Zadek hat seit den sechziger Jahren das | |
> deutschsprachige Theater verändert. Er starb mit 83 Jahren | |
VON KATRIN BETTINA MÜLLER | |
Es war ein Abenteuer. Wir fuhren von Köln nach Bochum ins Theater, um eine | |
Inszenierung von Peter Zadek zu sehen. Ich war noch Schülerin und meine | |
Mutter wollte mir etwas Besonderes bieten: Seit Zadek Intendant am | |
Schauspielhaus Bochum war, galt das Theater dort als wild, anarchistisch | |
und attraktiv für junge Leute. Die Aufführung nach Heinrichs Mann Roman | |
„Professor Unrat“ mit Hannelore Hoger als Künstlerin Fröhlich und dem | |
Filmkomiker Günter Lüders erfüllte alle Erwartungen. Sie war glamourös und | |
schon in der Besetzung angedockt an die Erfahrungshorizonte zweier | |
Generationen. Und sie gab einem Brocken zu denken auf, mit dieser | |
obrigkeitshörigen Lehrerfigur, die sich an ihren Schülern rächt. Daneben | |
sah anderes Theater schnell langweilig aus. | |
Zadek, das war Anfang der siebziger Jahre der, der den Geist von 68 in | |
große Unterhaltung und ein befreiendes Spiel verwandeln konnte. Seine | |
Biografie, die Emigration mit seiner jüdischen Familie von Berlin nach | |
England 1933, beglaubigte seine Distanz zum Autoritätshörigen und der | |
falschen Heldenverehrung in der deutschen Geistesgeschichte. Im Jahr 1969 | |
hatte Zadek, damals Anfang 40, mit „Ich bin ein Elefant, Madame“ einen der | |
wenigen deutschen Filme inszeniert, die nahe dran waren an der Lust an | |
Revolte und der Strategie, sich mit Unsinn der Einordnung in Rollen zu | |
entziehen. | |
Ein Jahr zuvor sorgte er in Berlin mit „Gerettet“ des englischen | |
Dramatikers Edward Bond für Aufsehen, weil ein solches Erzählen über die | |
Verwahrlosung der Gefühle, eine solche Verzweiflung unter den sozial | |
Ausgegrenzten als Theaterstoff noch unerhört waren. Mit Zadek stieß das | |
Theater zu Inhalten vor, die bis dahin nur der Film und die Literatur | |
kannten. | |
Sein Antipode in jener Zeit der Politisierung des Theaters war Peter Stein. | |
Sie begegneten sich Anfang der 60er Jahre am Theater in Bremen. Stein habe | |
die Schauspieler nach der Probe zum politischen Unterricht in die Kneipe | |
mitgenommen und stundenlang mit ihnen diskutiert, erinnerte sich Zadek in | |
einem Interview mit Klaus Dermutz. Stein „behauptete immer, Analyse wäre | |
das Wesentliche, und ich behauptete, die Fantasie. Es kann mir die Analyse | |
gestohlen bleiben“, sagte Zadek. Er dagegen wolle mit seinen Schauspielern | |
gar nicht reden. Er wolle sie beobachten, ihnen zuschauen; aber sie auch | |
privat als Mensch kennenzulernen, mit ihnen zu diskutieren – was solle das? | |
Zadeks Strategie, seine Vorstellungskraft freizuhalten und zu öffnen, kann | |
nicht leicht gewesen sein für die, die mit ihm arbeiteten. Eva Mattes, | |
Angela Winkler, Susanne Lothar, Ulrich Wildgruber, Gert Voss gehören dazu. | |
Sie alle stehen für ein Spiel, das auch von einer ganz besonderen | |
Persönlichkeit getragen wurde, das aus der Reibung zwischen ihrem | |
Temperament und der Rolle entstanden war. | |
Als Zadek 1988 in Wien die Rolle des Shylock in Shakespeares „Kaufmann von | |
Venedig“ mit Gert Voss besetzte, hatte er nach einem Schauspieler gesucht, | |
dessen Aura so weit wie möglich von jedem jüdischen Klischee entfernt war | |
und eher an die überkorrekte Haltung eines SS-Mannes erinnerte. Das sagte | |
er zwar nicht Voss, aber in einem Interview. | |
Voss’ Empörung dann zu kanalisieren in eine produktive Energie, war ein | |
Merkmal seines Regiestils; dafür war er berüchtigt und wurde er bewundert. | |
„Er hat einem alle Sicherheitsnetze weggenommen, die man sich als | |
Schauspieler so aufspannt“, sagt Gert Voss. | |
Als Klaus Dermutz den inzwischen achtzigjährigen und von Krankheit | |
angegriffenen Regisseur für einen Interviewband, der 2007 im | |
Alexander-Verlag erschien, nach seiner Identität als Jude fragte, | |
antwortete Zadek: „Ich sehe sie hauptsächlich so – ich bin ein Streuner, | |
nirgends zu Hause. Je älter ich werde, desto mehr merke ich das. […] Ich | |
bin eigentlich immer unter Fremden. Ich empfinde mich als zersetzend und | |
zerstörend, kritisch der Welt gegenüber, immer ein bisschen außen. Das hat | |
sicherlich mit meiner Identität als Jude zu tun.“ Das ist aber zugleich die | |
selbstkritische Einschätzung eines Künstlerdespoten, der die Distanz zu den | |
anderen auch instrumentalisiert hat als einen Weg seiner ästhetischen | |
Findungsprozesse. | |
Und dennoch wurde er jahrzehntelang geliebt, von seinen Künstlern, dem | |
Publikum, der Kritik, vor allem für seine Shakespeare- und | |
Ibseninszenierungen, in Stuttgart, Hamburg, Berlin, Wien. Sie waren so | |
verführerisch, so erotisch, so fantasievoll und dazu noch so tiefgründig. | |
Sie fegten die Konflikte der Gegenwart nicht hinweg, aber sie nahmen ihnen | |
das Krampfige, Kleinmütige. | |
Er konnte eben mit scheinbar leichter Hand die Grenzen zwischen den | |
kulturellen Milieus durchbrechen, in einer Inszenierung ebenso wie mit | |
Ausflügen zu anderen Genres: Für Udo Lindenberg richtete er 1979 die | |
Tourneeshow „Dröhnland Symphonie“ ein, und als Intendant des Deutschen | |
Schauspielhauses in Hamburg produzierte er 1987 mit den Einstürzenden | |
Neubauten das Musical „Andi“. | |
Peter Zadek, der in der Nacht zum Donnerstag im Alter von 83 Jahren in | |
einem Hamburger Krankenhaus gestorben ist, war lange von Erfolg begleitet. | |
Auch noch, als seine Inszenierungen mehr mit ihrer prominenten Besetzung | |
als mit ihrem Geist zu prunken begannen. Dass er anfällig für einen | |
selbstherrlichen Gestus war, spätere Generationen von Regisseuren abfällig | |
niedermachte, und gelegentlich in opulente Oberflächlichkeit verfiel, nun | |
ja, das ist traurig, aber ein bekanntes Muster in einem nach Aufmerksamkeit | |
hechelnden Kulturbetrieb. Darin zeigte er sich am Ende noch als genauso | |
starrköpfig wie zu der Zeit, als er das Theater revolutionierte. | |
31 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
KATRIN BETTINA MÜLLER | |
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