Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Der Fluch des guten Gehörs
> Lange dachte unsere Autorin, sie sei geräuschempfindlich – bis sie
> begriff, dass sie besser hört
Von Katja Werner
Bis vor zwei Jahren dachte ich, ich wäre zu empfindlich. Ich weiß nicht,
wie oft ich mich über ein Geräusch beschwert und in fragende Gesichter
geblickt habe. Ich hörte das Fiepen von Autoalarmanlagen, das Surren,
Pfeifen, Brummen elektronischer Geräte – und empfand es oft als störend.
Mein Gegenüber, meistens mein Mann, wusste zwar nicht, worüber ich redete,
empfahl mir aber, mich nicht darauf zu konzentrieren.
Mittlerweile weiß ich, dass andere diese Geräusche selten wahrnehmen – und
deshalb auch keine Probleme damit haben. Dabei hätte ich ahnen können, dass
ich mehr höre als die Mehrheit. Ich habe immer Fledermäuse gehört, bevor
ich sie gesehen habe. Wenn es in der Dämmerung einen bestimmten Ton gab,
habe ich aufgeschaut und Fledermäuse entdeckt.
Ich habe das gegoogelt: Ich bin kein Wunder der Natur und nicht die
einzige, die Fledermäuse hören kann. Irgendjemand hat festgelegt, dass
junge Menschen im Durchschnitt Frequenzen bis maximal 20.000 Hertz hören.
Ab 16.000 Hertz wird es als Ultraschall bezeichnet. Unter den heimischen
Fledermausarten gibt der Große Abendsegler die tiefsten Töne von sich, mit
etwas über 20.000 Hertz.
Eine Zeit lang habe ich mich darüber gewundert, wie Gärtner*innen einer
Kleingartenanlage in den Sommermonaten einen infernalischen Lärm ertragen
konnten, den eine Anlage in einem der Gärten aussendete. Ein Fiepen, das in
kurzen Abständen immer wiederholt wurde, stundenlang. Fiep, fiep, fiep. Wie
man bei dem Lärm gemütlich Kaffee trinken konnte, war mir schleierhaft.
Irgendwann begriff ich, dass es sich um eine Kaninchenvergrämungsanlage
handelte, die mit Ultraschall arbeitete. Unhörbar eben. Für die meisten
Erwachsenen jedenfalls.
Vor zwei Jahren habe ich festgestellt, dass ich auch in der anderen
Richtung mehr wahrnehme als der Durchschnitt. Ich höre auch Frequenzen im
ganz tiefen Bereich. Beziehungsweise ich spüre den sogenannten Infraschall
in den Knochen.
Ich musste deswegen aus meinem Wohnprojekt ausziehen. Ein Jahr, nachdem wir
eingezogen sind, habe ich mich darüber gewundert, dass das Bett – so dachte
ich – vibriert. Irgendwann war das wieder weg. Ich habe wahrscheinlich
geschafft, was mir oft nicht gelingt: Ich habe mich nicht mehr darauf
konzentriert.
## Meine Beine vibrierten
Doch nach ein paar Monaten kam ich nicht mehr dagegen an. Ich lag im Bett
und meine Beine vibrierten, manchmal auch noch andere Teile des Körpers.
Ich wurde komplett schlaflos.
Durch einen Zufall habe ich herausgefunden, woher die Vibrationen kamen.
Eine Freundin brachte mich darauf, dass es tieffrequenter Lärm sein könnte.
Meistens lässt sich die Quelle nicht orten, weil er sich anders als andere
Frequenzen über Kilometer ausbreiten kann. In diesem Fall war die Sache
ziemlich klar. Unser Projekt liegt neben einem Gewerbegebiet und direkt
gegenüber betreibt ein Unternehmen eine Luft-Wärme-Pumpe.
Wir haben das messen lassen – konnten aber nicht nachweisen, dass der
gemessene Infraschall von dort kommt. Dazu hätte das Unternehmen bereit
sein müssen, die Anlage kurz abzuschalten. Wenn ich daran vorbeigehe,
wabert es mir durch den Körper, und ich kann einige der höheren tiefen
Frequenzen hören. Irgendwann erfuhr ich, dass eine weitere Frau in dem Haus
die Vibrationen manchmal spürt – es stört sie aber nicht. Dafür meldeten
sich Nachbarn, die seit Jahren unter den Geräuschen leiden.
Ich weiß nicht, in welchem Frequenzbereich ich genau hören kann. Ein Freund
schickte mir einen Link auf eine Seite, auf der man sein Gehör testen kann.
Ich habe nichts davon, wenn ich das mache. Im Gegenteil. Das Ergebnis
könnte mein diffuses Gefühl bestätigen, dass ich für diese von Elektronik
und Industrie durchwirkten Welt eigentlich nicht geeignet bin. Als
Steinzeitjägerin hätte ich wohl Vorteile, aber heutzutage begegnet Menschen
mit überdurchschnittlichem Gehör viel Unverständnis. „Stell dich nicht so
an“ – statt „Cool, du hörst Fledermäuse!“ Deshalb erscheint dieser Ar…
unter einem Pseudonym.
Ich kann nicht ausschließen, dass ich empfindlicher bin als andere. Wenn
man so viel hört, ist das Ruhebedürfnis umso größer.
25 Jan 2020
## AUTOREN
Katja Werner
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.