# taz.de -- Depressionen bei Kindern: Das Gefühl der inneren Leere | |
> Das Spielzeug steht einsam in der Ecke, und es rufen keine Freunde mehr | |
> an. Häufig steckt eine Depression dahinter. Bis zu 2,5 Prozent der Kinder | |
> leiden an der Krankheit. | |
Bild: Wenn das liebste Kuscheltier unbeachtet bleibt: ein mögliches Zeichen f�… | |
Oft werden Depressionen bei Kindern und Jugendlichen nicht erkannt. Lange | |
Zeit wurde angezweifelt, ob es Depressionen bei Kindern überhaupt gibt. | |
Eine Studie an der Uni Bremen ergab, dass 18 Prozent der befragten | |
Jugendlichen einmal im Laufe ihres Lebens unter einer Depression gelitten | |
hatten. Es zeigte sich, dass die Häufigkeit der Depressionen mit dem Alter | |
zunimmt und während der Pubertät jene der Erwachsenen erreicht. Das könnte | |
darauf hinweisen, dass die meisten Depressionen bereits im Jugendalter | |
beginnen. | |
Bis zur Pubertät kommen Depressionen bei Mädchen und Jungen gleich oft vor. | |
Nach der Pubertät leiden Mädchen jedoch deutlich häufiger an Depressionen | |
als Jungen: Während die Geschlechterverteilung von Jungen zu Mädchen | |
zunächst mit eins zu eins gleich ist, verändert sich bei den Jugendlichen | |
das Verhältnis in Richtung der Erwachsenenverteilung: zwei zu eins von | |
Frauen zu Männern. | |
Von Lebensalter zu Lebensalter unterscheiden sich die Symptome der | |
Depression. Kleinkinder im Alter zwischen ein und drei Jahren sind | |
ängstlich, weinen schnell oder werden rasch zornig, haben keine Lust zu | |
spielen und schlafen schlecht. Depressive Schulkinder können sich nicht | |
konzentrieren, erhalten schlechte Schulnoten, verspüren keinen Appetit, | |
schlafen schlecht und sprechen über Selbstmord. Es ist tragisch, dass | |
Suizide bereits im Alter von zehn Jahren vorkommen. Jugendliche hegen | |
Selbstzweifel, sind apathisch und lustlos, fügen sich Verletzungen zu und | |
ziehen sich immer mehr zurück. | |
Die Erkrankung zu erkennen ist ein entscheidender Schritt zu ihrer | |
Bewältigung. Erschwert wird die Diagnostik dadurch, dass manche | |
Angstgefühle (zum Beispiel Fremdeln mit acht Monaten, Trennungsängste mit | |
18 Monaten, soziale Trennungsängste im fünften Lebensjahr) zur natürlichen | |
Entwicklung zählen. Auch kommen Schlafstörungen in manchen | |
Entwicklungsphasen relativ häufig vor. Die Loslösung vom Elternhaus im | |
Rahmen der Pubertät kann zu einem gewissen Trennungsschmerz führen. Eine | |
klinische Depression ist jedoch etwas völlig anderes als eine durch | |
Lebensumstände bedingte Niedergeschlagenheit. Krankhafte Schwermut nimmt in | |
viel stärkerem Maße die Lebenskraft. Viele Betroffene quälen sich außer mit | |
Selbstmordgedanken auch mit Schuldgefühlen und mit tiefen | |
Minderwertigkeitskomplexen. | |
Die Mechanismen der Depressionen sind noch immer nicht vollständig geklärt. | |
Es gibt Hinweise, dass unter anderem die Gene beteiligt sind: Menschen mit | |
depressiven Familienmitgliedern erkranken deutlich häufiger als sonstige. | |
Andere Wissenschaftler konzentrieren sich auf die Neurochemie, und zwar | |
größtenteils auf jene Botenstoffe, die an Kontaktstellen zwischen | |
Hirnneuronen Signale übermitteln. In vielen Fällen geht eine Depression | |
offenbar zumindest teilweise auf Störungen in neuronalen Schaltkreisen | |
zurück, die mit Noradrenalin oder Serotonin arbeiten. | |
Lebenskrisen können die Krankheit zum Ausbruch bringen. Hierbei spielen | |
Familie, Freunde und Schule eine wichtige Rolle. Trennung oder Tod der | |
Eltern, Armut, Leistungsdruck oder Mobbing in der Schule gelten als | |
mögliche Auslöser. Eine von Max Friedrich, Vorstand der Wiener | |
Universitätsklinik für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters, | |
durchgeführte Untersuchung von 122 Fällen von Selbstmorden im Kindesalter | |
in einem Zeitraum von zehn Jahren brachte Interessantes zutage: Am | |
häufigsten erfolgten Selbstmordhandlungen im Februar und im Juni. Das | |
dürfte auf eine Verbindung zum Schulstress hindeuten. Selten können | |
Depressionen auch organisch bedingt sein - wie beispielsweise durch Tumoren | |
oder Verletzungen des Gehirns. | |
Ersten Rat können sich Eltern, Angehörige und Freunde bei Erziehungs- und | |
Familienberatungsstellen holen, die von Städten, Gemeinden und | |
Wohlfahrtsverbänden finanziell unterstützt werden. Das Angebot ist meist | |
kostenlos. Fragen können Eltern auch den Klassenlehrer oder den | |
schulpsychologischen Dienst - vor allem um herauszufinden, ob auch sie über | |
das Verhalten des Kindes beunruhigt sind. | |
Um die Ursachen einer Depression zu erkennen und zu behandeln, muss | |
fachliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Erster Ansprechpartner ist | |
zumeist der Kinder- oder Hausarzt. Er kennt auch Spezialisten, die | |
weiterhelfen können: Kinderpsychiater und Psychotherapeuten. Äußerst | |
problematisch ist jedoch der Therapeutennotstand in Deutschland: Wie das | |
ZDF-Magazin "Frontal 21" feststellte, kamen im Jahr 2006 auf 800.000 | |
seelisch erkrankte Kinder und Jugendliche rund 2.300 Kindertherapeuten. | |
Dabei könnten fast alle depressiven Kinder und Jugendliche ambulant | |
behandelt werden. Die Psychotherapie umfasst verhaltenstherapeutische oder | |
psychodynamische Vorgehensweisen, ergänzt durch Familienberatung oder | |
familientherapeutische Maßnahmen. Während bei der Verhaltenstherapie | |
erlernt wird, wie man auf bestimmte alltägliche Lebenssituationen reagiert, | |
sucht der psychodynamische Ansatz nach Ursachen und Zusammenhängen. Indem | |
krankhafte psychische Reaktionen verstanden werden, können sie überwunden | |
werden. | |
Die Experten sind sich zurzeit nicht einig, ob eine medikamentöse | |
Behandlung sinnvoll ist. In verschiedenen Studien führte der Einsatz von | |
antidepressiv wirksamen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern zu einer | |
erhöhten Zahl an Selbstmordabsichten bei Kindern und Jugendlichen. | |
Eine stationäre Therapie ist nur in seltenen Fällen erforderlich. Kündigt | |
ein Kind beispielsweise einen Selbstmord an oder verletzt sich wiederholt | |
absichtlich, kann es gefährdet sein. Um seine Sicherheit rund um die Uhr zu | |
gewährleisten, sind kinder- und jugendpsychiatrische Kliniken da. | |
Nicht immer will oder kann der Patient mitarbeiten, und Eltern, Angehörige | |
und Freunde sollten nie aufgeben in ihrem Bestreben, einen Zugang zu ihm zu | |
finden. Ein ruhiges Gespräch unter vier Augen ist äußerst wichtig, um einem | |
verzweifelten jungen Menschen Unterstützung zu geben. Dabei müssen die | |
Eltern der häufig anzutreffenden Zurückhaltung des Jugendlichen mit viel | |
Geduld begegnen. | |
Auch sollten sie niemals fertige Lösungen präsentieren, sondern zuhören. | |
Wichtigstes Ziel ist es zu erfahren, welche Dinge des Lebens noch Freude | |
bereiten, um so einen Ausweg aus der schwierigen Lage zu finden. | |
11 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Claudia Borchard-Tuch | |
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