# taz.de -- DVDESK: Den Irrsinn zeigen | |
> „Hitlerkantate“ (Regie: Jutta Brückner, Deutschland 2005) | |
Ein Blick von Hitler: Da kippt Ursula um. Vor Glück. Das ist in einer | |
Montage von Archivmaterial – Schuss: Hitler blickt – und Spielszenen – | |
Gegenschuss: Ursula wird ohnmächtig – inszeniert. Die Schwarz-Weiß-Bilder | |
ähneln sich, aber es bleibt eine Naht. Regisseurin Jutta Brückner will | |
keinen geschlossenen Illusionsraum errichten, sie nähert sich der | |
Geschichte an, präsentiert aber keine Welt, die einfach so Geschichte zu | |
sein vorgibt. 1938 ist das Jahr, Ursula ist eine Nazifrau wie aus dem | |
Bilderbuch, überaus blond und zu allem bereit. Lena Lauzemis legt viel | |
Überzeugung in diesen Körper, Fanatismus lauert in ihren Augen, sie steht | |
stramm, zittert und fällt aus Liebe zum Führer. | |
Und doch ist es nicht so einfach. Sie ist Komponistin oder wäre es gern. | |
Eine Frau als Komponistin jedoch, das darf nicht sein. Assistentin, das | |
geht, ihr Verlobter Gottlieb macht’s möglich, er ist ein aufstrebender | |
Nazifunktionär. So gerät sie nach Finnland, zu Hans Broch (Hilmar Thate), | |
der einmal links war, der mit einer Jüdin verheiratet ist, der die Nazis | |
verachtet, und auch Ursula verachtet er, die den Führer so inbrünstig | |
liebt. Und doch ist er bereit, zum Geburtstag des Führers eine | |
„Hitlerkantate“ zu komponieren. Richard Strauss macht ja auch mit. Aber so | |
einfach ist es nicht. | |
Aus Verachtung wird, wenn nicht Liebe, so doch Begehren. Auf dem Boden und | |
am Klavier. Junge fanatische blonde Frau und alter sarkastischer | |
ergrauender Mann. Der Verlobte kommt zu Ursula, mit eigenen Sorgen. | |
Väterlicherseits fehlt ihr der Ariernachweis, damit ist die Heirat | |
gefährdet. Er hat Instrumente dabei, einen rassistischen | |
Wissenschaftskoffer zur Vermessung des Kopfes, der, denkt man, sogar dem | |
SS-Mann so lächerlich scheint, wie er ist. Brochs Frau kommt, viel Zeit hat | |
sie nicht, eine erfolgreiche Sängerin, erfolgreicher als der Mann. An der | |
Wand hängt ein knallrotes Bild, das sie als Jüngere zeigt. In ihrem | |
Schatten steht er. | |
„Hitlerkantate“ verkompliziert immer weiter. Es gibt noch den Kameramann, | |
der einen Pornofilm drehen soll, sich aber in die Darstellerin, eine blonde | |
Jüdin, verliebt. Der Film beginnt, diese Frau und diese Geschichte gegen | |
die Ursula/Broch-Konstellation zu spiegeln. Wie überhaupt Spiegel nicht | |
unwichtig sind. Und Ursulas ideologische Standfestigkeit gerät wie ihre | |
erotische Inbrunst ins Wanken. Das ist keine psychologisch simple Bewegung, | |
eher die Konsequenz der sich immer wieder verschiebenden Konstellationen. | |
Und nicht nur der Konstellationen, sondern der Filmsprache selbst, die | |
nicht auf flüssige Illusionierung hinauswill, sondern ständig selbst | |
Sprünge und Brüche erzeugt. Oft grandios spröde sind der Schnitt und vor | |
allem die Bilder von Kameramann Thomas Mauch, der sein Handwerk in der | |
Arbeit mit Reitz, Kluge, Herzog gelernt hat. | |
Das Spiel der Darsteller ist mit Fleiß theatral. Eine gewisse Künstlichkeit | |
ist überhaupt Absicht. Schön ist, wie der Film trotzdem niemals erstarrt. | |
Hilmar Thate vor allem streift mit seinem ausgestellten Staatsmimenkönnen | |
die unfreiwillige Komik, aber dieser verschachtelte, Fallen stellende, auch | |
im höheren und hohen Ton souveräne Film bereitet ihm eine Bühne, auf der | |
das kaum stört. Bündige Botschaften gibt es nicht. Absurdität steht ihm | |
Raum. Aber wie könnte es anders sein, wenn man dem Irrsinn der | |
Nazi-Ideologie angemessen ins Bild setzen will, und also auch zeigt, wie | |
manche und mancher dem Führer mit Haut und Haaren verfiel. | |
EKKEHARD KNÖRER | |
■ Die DVD ist ab 15 Euro im Handel erhältlich | |
18 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
EKKEHARD KNÖRER | |
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