# taz.de -- Leben im Schatten der Mauer | |
> Der Alltag ist hart in Kölns Partnerstadt Bethlehem: Wegen der Intifada | |
> bleiben die Touristen aus, viele Christen gehen weg. Und bald wird die | |
> Stadt komplett von der Mauer eingeschlossen sein | |
AUS BETHLEHEM SUSANNE GANNOTT | |
Der Manger Square an einem ganz normalen Werktag: Ein paar Jungs spielen | |
Fußball, verschleierte Frauen huschen vorüber, zwei Taxifahrer stehen da | |
und spucken Kürbiskernschalen. Vor der Geburtskirche schwitzt ein Polizist | |
in Kampfmontur, Schmuckverkäufer lauern auf Kundschaft. Es ist wahrlich | |
nicht viel los auf dem zentralen Platz in der Bethlehemer Altstadt. | |
Die Geschäfte gehen schlecht in Kölns Partnerstadt: Seit Ausbruch der | |
zweiten Intifada im September 2000 verirren sich nur noch wenige Touristen | |
hier her. Kamen im Jubiläumsjahr 2000 noch über eine Million, waren es | |
letztes Jahr gerade mal 84.000. Für die Bevölkerung, die überwiegend vom | |
Tourismus lebt, eine Katastrophe. Die Souvenierläden auf der | |
Milk-Grotto-Street haben fast alle geschlossen, überall sieht man Bauruinen | |
und geschlossene Hotels. | |
„Jeden Tag fragen mich Leute nach Arbeit“, erzählt Franziskaner-Pater | |
Severyn Lubecki, Manager des Hotels Casa Nova neben der Geburtskirche. Auch | |
hier mangelt es an Gästen; für Mai hatten sich nur zwei Pilgergruppen | |
angemeldet, erzählt der Pater. „Wenn die Mauer kommt, wird es noch | |
schlimmer.“ | |
Im Norden der Stadt ist sie bereits fertig. Die acht Meter hohe Betonwand | |
ist doppelt so hoch wie die Berliner Mauer und trennt Bethlehem von den | |
nahen jüdischen Siedlungen. Zu allem Überfluss verlieren die Einwohner | |
dadurch auch einen Großteil ihres unbebauten oder landwirtschaftlich | |
genutzten Landes, das die Israelis „ihrer“ Seite zugeschlagen haben. Bald | |
wird Bethlehem von der Wachturm-bewehrten Grenzbefestigung im Norden, | |
Westen und Süden fast vollständig eingemauert sein. Im Osten schließt eine | |
Schnellstraße, die nur von israelischen Siedlern benutzt werden darf, den | |
Klammergriff um die Stadt. Kontakt zur Außenwelt wird den Bethlehemern dann | |
nur noch über die Checkpoints möglich sein, sagt Pater Severyn. Und schon | |
jetzt bekämen immer weniger Einwohner einen Passierschein für das sechs | |
Kilometer nahe Jerusalem. | |
Entsprechend düster sieht auch Pastor Mitri Raheb die Zukunft für das | |
„Ghetto Bethlehem“, wie er sagt. Ohne Raum zur Entwicklung werde die Stadt | |
übervölkern und weiter verarmen. „Soziale Konflikte sind programmiert.“ D… | |
Leiter der lutherischen Weihnachtskirche ist ein bedächtiger Mensch; einer, | |
der zuhört und versucht, sein Gegenüber zu verstehen. Aber wenn es um die | |
Mauer und die israelische Palästinapolitik geht, hört bei ihm das | |
Verständnis auf. Die Wut entlockt dem gebürtigen Bethlehemer heftige Sätze. | |
Etwa: „Israel muss sich damit auseinander setzen, dass es ein rassistischer | |
Staat ist.“ Oder: „Hier wird ein Rassismus-System installiert. Freiheit und | |
Rechte gibt es nur für die Juden.“ | |
Trotzdem hat Raheb die Hoffnung auf Frieden nicht ganz aufgegeben. Hoffnung | |
heißt für ihn, „um es mit Luther zu sagen“, in den Garten zu gehen und | |
einen Olivenbaum zu pflanzen, „auch wenn man weiß, dass morgen die Welt | |
untergeht“. In Rahebs Fall ist der Olivenbaum das „International Center of | |
Bethlehem“ (ICB). Das 1995 eröffnete Begegnungszentrum bietet | |
Weiterbildungskurse aller Art, es gibt Kulturveranstaltungen und | |
internationale Tagungen, ein Gesundheitszentrum für Frauen, eine | |
christlich-muslimisch gemischte Schule. Eine Insel des Friedens inmitten | |
des Ausnahmezustands. Eine christliche Einrichtung, die zu einem Großteil | |
von Muslimen besucht wird. Ein Ort, der die Bethlehemer Zivilgesellschaft | |
stärken, den Menschen Mut und Kraft geben soll. Dass das funktioniert, | |
davon ist Raheb überzeugt: „Wir schaffen Fakten“, sagt er nicht ohne Stolz. | |
Die Fakten, die der Krieg geschaffen hat, kann man direkt vor Rahebs Kirche | |
besichtigen. In der Mitte des kleinen, dreieckigen Madbaseh-Platzes klafft | |
ein Loch im Straßenbelag. Bis April 2002 stand hier auf einem Sockel ein | |
Stück vom Kölner Dom. Ein Geschenk der rheinischen Partnerstadt, die auch | |
die Renovierung des Platzes zur 2000-Jahr-Feier spendierte. Dann rollten | |
israelische Panzer in die Stadt und schossen alles kurz und klein. | |
Auf den ersten Blick weniger sichtbar ist eine weitere Folge der Besatzung: | |
Die christliche Minderheit in Bethlehem, derzeit etwa ein Drittel der | |
60.000 Einwohner, schrumpft. Immer mehr Christen verlassen das Land in | |
Richtung USA oder Europa. Zehn Prozent ihrer christlichen Einwohner, rund | |
2.000 Menschen, hat die Stadt in den letzten vier Jahren verloren. Die | |
repressive israelische Politik und die damit einhergehende Islamisierung | |
der palästinensischen Gesellschaft trieben die Christen außer Landes, sagt | |
Raheb. | |
Auf der Ebene der Lokalpolitik scheint die muslimisch-christliche | |
Zusammenarbeit allerdings ganz gut zu funktionieren: So wurde der neue | |
Bürgermeister von Bethlehem, traditionell ein Christ, vor ein paar Wochen | |
mit den Stimmen der Islamisten gewählt. Die Christen, die im 15-köpfigen | |
Stadtrat mit acht Stimmen eine quotierte Mehrheit haben, hatten sich nicht | |
auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen können. Darauf verhandelten die | |
christlichen Abgeordneten der marxistischen PFLP mit den Muslimen von Hamas | |
und Jihad – und setzten so die Wahl des 70-jährigen Chirurgen Victor | |
Batarseh durch. | |
Elias Haroun, einer von Rahebs Mitarbeitern im ICB gefällt das gar nicht. | |
Zwei Jahre hat er in Europa studiert, nur möchte er gern wieder weg – | |
zumindest für eine Zeit. Er ist beunruhigt, weil die muslimischen Wähler im | |
Mai fast geschlossen islamistisch gewählt haben. „Jetzt haben viele Angst, | |
dass der Bürgermeister eine Marionette in den Händen von Hamas wird.“ Sein | |
Chef Raheb sieht das gelassener: Viel könne so ein Bürgermeister ja nicht | |
anrichten. Trotzdem ist auch ihm die zunehmende Popularität von Hamas ein | |
Dorn im Auge: „So entsteht nicht das Palästina, das uns vorschwebt.“ | |
Heute liest Mitri Raheb um 19.30 Uhr in der Köselschen Buchhandlung | |
(Roncalliplatz 2, neben dem Römisch Germanischen Museum) aus seinem neuen | |
Buch „Bethlehem hinter Mauern. Geschichten der Hoffnung aus einer | |
belagerten Stadt“.Im Kölner Filmhaus (Maybachstr. 111) läuft zur Zeit der | |
Dokumentarfilm „Mauer“ (Frankreich/Israel 2004): 11.6. 17 Uhr, | |
12./14./15.6. 19.30 Uhr, 13.6. 20.30 Uhr | |
10 Jun 2005 | |
## AUTOREN | |
SUSANNE GANNOTT | |
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