# taz.de -- Demjanjuk-Prozess: Der Wunsch, deportiert zu werden | |
> Im Demjanjuk-Prozess berichten die Nebenkläger vom Schicksal ihrer | |
> Verwandten während der Juden-Verfolgung durch die Nazis. Der Angeklagte | |
> schweigt und spaziert. | |
Bild: Kam zwar wieder im Rollstuhl zur Verhandlung, diesmal aber sitzend. | |
Sie müssen ihn stützen auf dem Weg zum Zeugenstand. Philip Jacobs, 87, geht | |
wackelig. Er weint beim Reden. Jacobs sagt, er fühle sich verantwortlich. | |
Er trage ein Schuldgefühl mit sich, weil er überlebt hat und seine Familie | |
nicht. Mit 20 Jahren konnte Jacobs aus den besetzten Niederlanden fliehen. | |
Seine Eltern und seine Freundin wurden wie tausende andere Juden von den | |
Nazis festgenommen, in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und dort | |
ermordet. Es wäre interessant zu erfahren, ob John Ivan Demjanjuk auch so | |
etwas wie Schuldgefühle hat. Aber Demjanjuk schweigt. | |
Es war der Tag der Nebenkläger. Sie berichteten vom Leiden und Sterben | |
ihrer Eltern und Geschwister. Umgebracht von Nazi-Helfern. Demjanjuk soll | |
einer von ihnen gewesen sein. Er ist der Beihilfe zum Mord in 27.900 Fällen | |
angeklagt. An den ersten zwei Prozesstagen präsentierte sich Demjanjuk, als | |
sei er selbst ein Opfer. Er ließ sich auf einer Liege in den Gerichtssaal | |
bringend, eingehüllt in eine schwere Decke. Dann wurde der Prozess | |
unterbrochen. Demjanjuk hatte eine Erkältung. | |
An diesem Montag wirkt Demjanjuk weniger erbärmlich. Er sitzt aufrecht im | |
Rollstuhl, eine leichte Decke auf seinem Schoß und schweigt weiter. Das | |
macht den Prozess zäh und schwierig. Über die Beteiligung Demjanjuks an den | |
Morden von Sobibor können die Zeugen kaum etwas sagen. Viele der | |
Nebenkläger, die an diesem Tag auftreten, waren noch Kinder, als ihre | |
Eltern starben. Vom Schicksal ihrer Angehörigen erfuhren sie erst nach dem | |
Krieg. | |
Robert Cohen, 83, bekam eine Mitteilung vom Roten Kreuz, dass seine Eltern | |
und sein Bruder in Sobibor ermordet wurden. Cohen hat 11 Monate in | |
Auschwitz überlebt, gegen Kriegsende transportierten ihn die Nazis tagelang | |
ohne Essen in einem offenen Güterwaggon und schickten ihn auf einen | |
Todesmarsch. Cohen überlebte. Seine Eltern waren da schon lange tot. Cohen | |
sah sie zum letzten mal vor seiner Festnahme. Als er damals in das | |
niederländische Durchgangslager Westerbork kam, habe er sich gewünscht, er | |
würde bald deportiert. "Ich dachte, wenn ich deportiert werde, würde ich | |
meine Eltern wieder sehen", sagt Cohen. "Ich war damals sehr naiv." | |
Ob es in Westerbork eine "Judenpolizei" gegeben hat, fragt Demjanjuks | |
Verteidiger Ulrich Busch. Er meint den Ordnungsdienst, bei dem jüdische | |
Gefangene den deutschen Bewachern des Lagers halfen. Busch hat schon zu | |
Prozessbeginn irritiert, als er anmerkte, Demjanjuk sei genauso wie die | |
Holocaust-Überlebenden ein Opfer der Nazis. Diesmal fragt Busch den Zeugen: | |
"War die Judenpolizei schlimmer als die Nazis?" Cohen lässt nicht | |
provozieren und antwortet ruhig: Die Gefangenen aus dem Ordnungsdienst | |
hätten keine Befehlsgewalt gehabt. Westerbork sei ein Durchgangslager | |
gewesen, kein Konzentrationslager. Dort habe es Übergriffe auf Häftlinge | |
gegeben, keine Morde. | |
Die passierten erst nach dem Transport. In Sobibor. Dort wo laut der | |
Staatsanwaltschaft John Ivan Demjanjuk mithalf. | |
Der Gesundheitszustandes Demjanjuks ist offenbar besser als es vor Gericht | |
den Anschein hat. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim, | |
Michael Stumpf, sagte der taz, der in der Krankenabteilung untergebrachte | |
Angeklagte nehme regelmäßig am einstündigen Hofgang teil. "Er kommt | |
entweder im Rollstuhl oder er benutzt eine Gehhilfe", sagte Stumpf. | |
Im Vollzug bereite er keine Probleme. Demjanjuk liest in seiner Zelle eine | |
von ihm abonnierte ukrainische Zeitung und bereitet sich selbst Speisen wie | |
Salat zu. | |
Demjanjuk ist zusammen mit einem anderen Gefangenen in einer Zelle | |
untergebracht. Die uniformierten Wachen hätten "einen guten Draht zu | |
Demjanjuk gefunden", sagte Stumpf der taz. Zu Beginn des Prozesses hatten | |
drei ärztliche Guchtachter Demjanjuks Verhandlungsfähigkeit bestätigt. | |
21 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
B. Hübner | |
K. Hillenbrand | |
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