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# taz.de -- Debatte: Der dritte Kongokrieg
> Ein Jahr nach den ersten freien Wahlen spitzen sich im Kongo die lokalen
> Konflikte zu. Um das zu verhindern, muss die Weltgemeinschaft auf eine
> Reform der Armee drängen.
Vor genau einem Jahr fand im Kongo die entscheidende Runde der ersten
völlig freien und fairen Wahlen in der Geschichte des Landes statt. Die
Bundeswehr stand in Kinshasa, hunderte von Millionen Euro internationale
Hilfe sorgten für einen friedlichen und ordentlichen Wahlprozess selbst in
der hintersten Region eines Landes, das die Größe ganz Westeuropas
aufweist. Die Welt feierte damals Kongos Wahl als größten Durchbruch der
Demokratie in Afrika seit Ende der südafrikanischen Apartheid.
Und heute? Rund 200.000 Menschen haben in den letzten zwei Monaten in
Nord-Kivu, einer Provinz im äußersten Osten der Demokratischen Republik
Kongo, ihre Heimat verloren - auf der Flucht vor Milizen, Rebellen und
Armee. Jeder Siebte der fünf Millionen Einwohner der Provinz lebt als
Vertriebener oder Flüchtling. Im Kongo herrschen Hunger und Not, Misstrauen
und ethnischer Hass.
Es ist das am schnellsten wachsende Flüchtlingsdrama der Gegenwart. Doch
für die Opfer des neuen Krieges gibt es keine Friedensinitiative, keine
Hilfe, keinen Schutz. Seit dem Wahlsieg Kabilas am 29. Oktober 2006 hat es
im Kongo mehr bewaffnete Konflikte und Tote gegeben als in den drei Jahren
Friedensprozess davor. Nicht nur die Konflikte im Osten des Landes haben
sich verschärft. In der westlichen Provinz Bas-Congo töteten Armee und
Polizei Ende Januar über 100 Demonstranten bei der Niederschlagung von
Protesten gegen eine umstrittene Gouverneurswahl. In der Hauptstadt
Kinshasa starben Ende März weit über 200 Menschen bei Kämpfen zwischen der
Präsidialgarde und der Garde des Oppositionsführers Jean-Pierre Bemba,
Kabilas Gegner bei der Präsidentschaftswahl und inzwischen im Exil. In
Kongos Bergbau strömen Auslandsinvestitionen. Aber in den Rohstoffgebieten
Katanga, Kasai und Ituri bahnen sich ethnische Verteilungskämpfe an.
Der neue Krieg in Nord-Kivu ist nicht das einzige, wohl aber das
sichtbarste Anzeichen dafür, dass nach den beiden verheerenden Kongokriegen
zwischen 1996 und 2003 ein neuer, dritter Konflikt im Kongo wütet. Der
erste Krieg 1996-1997 war noch einfach: Es ging um den Sturz der
verbrecherischen Mobutu-Diktatur im damaligen Zaire, die ähnlich verrufen
war wie heute Birmas Militärjunta; der siegreiche Guerillaführer
Laurent-Désiré Kabila genoss breite internationale Sympathie. Der zweite
Krieg 1998-2003 war komplizierter, aber nach wie vor ging es beim Kampf
zwischen Kabila- Regierung und Ostkongos Rebellen um die Machtfrage im
Land. Der Krieg endete 2003 mit der Verbrüderung der Warlords in einer
UN-gestützten Übergangsregierung, die den Kongo 2006 zu Wahlen führte.
Der dritte Kongokonflikt ist anders. Es geht nicht mehr um die Macht an der
Staatsspitze - niemand bestreitet heute ernsthaft die Legitimität der
gewählten Regierung. Es geht um Selbstbehauptung gegenüber dem Staat und um
das Zusammenleben zwischen konkurrierenden lokalen Gruppen und Eliten. Der
Aufstand des Tutsi-Generals Laurent Nkunda in Nord-Kivu, der Ende August
den neuen Konflikt lostrat, ist ideologisch vor allem vom Misstrauen
gegenüber dem Rest der Welt geprägt. Die Regierung schützt uns Tutsi nicht,
argumentiert Nkunda; wir müssen uns allein gegen unsere Feinde verteidigen
- gemeint sind damit die vom Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 übrig
gebliebenen Hutu-Kämpfer aus Ruanda, die bis heute weite Teile des Ostkongo
unsicher machen. Diese lehnen eine Kodexistenz mit den Tutsi ab und sind in
der Vergangenheit von Kongos Regierung aufgerüstet worden.
Auf internationaler Ebene und bei vielen Kongolesen wird Nkundas Revolte
einfach als illegal abgetan. Der Kongo hat jetzt eine gewählte Regierung;
wer sich dieser nicht beugt, gehört bekämpft - das ist die Essenz der
international dominanten Sichtweise, die dazu führt, dass UN-Truppen der
Regierungsarmee logistisch gegen Nkunda helfen. Diese Sichtweise geht davon
aus, dass Kongos Demokratisierung geglückt ist. Sie verkennt damit das
wahre Ausmaß der Krise, die Nkunda verkörpert.
Zum einen sind die Tutsi Ostkongos die einzige ethnische Gruppe des Landes,
der von manchen ihrer Nachbarn das Daseinsrecht abgesprochen wird. Das
allein wäre noch ein Problem, das den Kongo nicht insgesamt berührt. Doch
das Dilemma greift tiefer. Nicht nur Nord-Kivus Tutsi, sondern alle
Menschen im Ostkongo haben das Vertrauen in den Staat verloren. Seit 15
Jahren herrscht in dieser Region nichts als Krieg - unabhängig davon, wer
im fernen Kinshasa regiert und ob der Kongo insgesamt friedlich ist oder
nicht.
Von den historischen Wahlen erhofften sich die Menschen eine historische
Wende Richtung Sicherheit. Sie wurden enttäuscht. Selbst weitab der
Kriegsgebiete mehren sich daher gewaltsame Proteste gegen die Regierung,
die kriminelle Gewalt nimmt zu. Viele Menschen überall im Ostkongo waren
früher in Selbstverteidigungsmilizen organisiert. Diese können jederzeit
wieder reaktiviert werden, als Alternative zu einer unfähigen Staatsmacht.
Es ist unwahrscheinlich, dass aus dieser Unzufriedenheit an hundert kleinen
Fronten gleich ein großer zusammenhängender Aufstand wird. Aber es drohen
unzählige kleine Konflikte darüber, welche Ethnie wo ein Lebensrecht hat,
wer Zugang zu Land und Bergwerken bekommt, wer die lokale Verwaltung
dominiert. Manche davon haben das Potenzial zu einem größeren Krieg.
Die internationale Gemeinschaft, verkörpert von der UN-Mission im Kongo
(Monuc), hat dafür bislang kein Rezept. Das Mantra einer "Wiederherstellung
der Autorität des Staates" stößt an seine Grenzen. Denn genau diese
"Wiederherstellung" verschärft, wie in Nord-Kivu, lokale Konflikte. Doch
sonst ist von internationaler Seite nichts zu hören - nicht einmal klare
Kritik an der humanitären Katastrophe in Ostkongo. Natürlich muss da Kabila
davon ausgehen, dass seine demokratische Legimitation ein Freibrief für
Gewalt im Namen des Staates ist. Und je mehr er dies ausnutzt, desto mehr
Menschen werden das gleiche Recht gegen den Staat beanspruchen und zu den
Waffen greifen. Dann wären alle Bemühungen der letzten Jahre um den Aufbau
einer Demokratie im Kongo und den Erhalt der Einheit des Landes umsonst.
Noch ist es nicht zu spät, etwas zu tun. Entschlossene Schritte der UNO zur
Bekämpfung der ruandischen Hutu-Milizen im Osten Kongos sind möglich und
überfällig. Sie würden politisch den Raum öffnen für die international
überwachte Zusammenlegung aller lokalen bewaffneten Kräfte der Region in
einer neu strukturierten Armee, die dem Recht unterworfen ist. Weitere
internationale Hilfe für Kongos Regierung sollte an eine solche Reform der
Streitkräfte geknüpft werden, als Grundlage lokaler Versöhnung. Die
Kongolesen stehen dazu bereit. Schon eine eindeutige Absichtserklärung in
diese Richtung könnte ein Zeichen sein, dass es jemand auf der Welt noch
mit ihnen ernst meint.
28 Oct 2007
## AUTOREN
Dominic Johnson
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