# taz.de -- Debatte Völkerrecht: Das Völkerrecht stärken! | |
> Die Anrufung des Internationalen Gerichtshofes durch Deutschland ist | |
> keineswegs anachronistisch. Eine Replik auf den Beitrag von | |
> Fischer-Lescano. | |
Wer aus Anlass der Klage Deutschlands gegen Italien vor dem Internationalen | |
Gerichtshof (IGH) die Durchsetzung des humanitären Völkerrechts durch | |
nationale Gerichtsentscheidungen begrüßt und zugleich die Berufung auf den | |
Grundsatz der Staatenimmunität als "anachronistisch" bezeichnet, kann sich | |
des Beifalls fast sicher sein. | |
Auf den zweiten Blick aber muss es überraschen, ja enttäuschen, dass gerade | |
ein Völkerrechtler wie [1][Fischer-Lescano] die Anrufung des | |
Hauptrechtsprechungsorgans der Vereinten Nationen, des | |
"Verfassungsgerichts" der Weltgemeinschaft, bedauert und der einseitigen | |
Rechtsdurchsetzung das Wort redet. Stattdessen ist es zu begrüßen, dass | |
Deutschland diese völkerrechtliche Grundfrage durch ein unabhängiges | |
internationales Gericht wie den IGH klären lässt. | |
Hintergrund des Verfahrens sind deutsche Verstöße gegen das humanitäre | |
Völkerrecht während des Zweiten Weltkrieges vor mittlerweile 65 Jahren. | |
Ungeachtet deutscher Wiedergutmachungsleistungen zugunsten von Italien war | |
einzelnen Opfergruppen von italienischen Gerichten Schadenersatz zulasten | |
Deutschlands zugesprochen worden. | |
Italienische Gerichte hatten damit also nicht nur entschieden, dass ein | |
fremder Staat, Deutschland, damals Völkerrecht verletzt hatte, sondern auch | |
dass heute, 65 Jahre später, einzelne Geschädigte hierfür individuellen | |
Schadenersatz beanspruchen dürfen. | |
## Internationale Lösungen | |
Die deutsche Klage, deren Rechtsauffassung von allen Bundesregierungen seit | |
1998 geteilt wurde, betrifft im Kern die Frage, ob Staaten einseitig über | |
das Verhalten anderer Staaten urteilen dürfen oder ob es stattdessen nicht | |
zielführender und angemessener ist, hierfür auf internationaler Ebene | |
Lösungen zu finden. | |
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat 2001 die | |
Staatenimmunität selbst bei schweren Menschenrechtsverletzungen wie etwa | |
Folter anerkannt. Gleiches gilt für das britische House of Lords, aber auch | |
etwa für polnische Gerichte in Bezug auf deutsche Kriegsverbrechen. Selbst | |
die italienische Regierung hatte vor italienischen Gerichten für die | |
deutsche Immunität gestritten. | |
Zudem haben italienische Gerichte, die Schadenersatzansprüche gegen | |
Deutschland wegen der erwähnten Kriegsrechtsverstöße anerkannt haben, | |
entsprechende Ansprüche gegen Italien wegen italienischer Verstöße gegen | |
das humanitäre Völkerrecht im Kontext des Kosovokrieges verneint. | |
Bei der vorliegenden Auseinandersetzung um die Staatenimmunität geht es | |
nicht, wie von Fischer-Lescano behauptet, um eine Kooperation in einem | |
vermeintlichen europäischen Verfassungsverbund, sondern vielmehr um die | |
einseitige Durchsetzung völkerrechtlicher Ansprüche zulasten eines anderen | |
Staates. Dagegen wehrt sich Deutschland zu Recht und noch dazu, indem es | |
das Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen anruft und damit | |
zugleich dessen Autorität stärkt. | |
Würde man die Staatenimmunität in diesem und ähnlichen Fällen verneinen, | |
würden in einer Fülle von Fällen nationale Gerichte über das Verhalten des | |
jeweiligen Kriegsgegners urteilen, so etwa georgische Gerichte über das | |
russische Verhalten während des Konflikts aus dem Jahre 2008 und umgekehrt. | |
Die Ergebnisse sind vorhersehbar. | |
## Errungenschaft ersten Grades | |
Es ist eine völkerrechtliche Errungenschaft ersten Grades, dass mit der | |
Anerkennung individueller Menschenrechte die Schaffung internationaler | |
Durchsetzungsmechanismen einherging, sei es der EGMR, sei es der | |
Internationale Strafgerichtshof. Fischer-Lescano redet dagegen der | |
einseitigen Rechtsdurchsetzung durch einzelne Staaten das Wort und weist | |
damit in die falsche Richtung. | |
Fischer-Lescano vertritt zudem die These, die italienischen Gerichte hätten | |
bei der Zuerkennung individueller Schadenersatzansprüche in Übereinstimmung | |
mit Völkerrecht gehandelt. Das Gegenteil ist, zumal für diese 65 Jahre | |
alten Sachverhalte, der Fall. | |
Weder die International Law Association noch die Generalversammlung der | |
Vereinten Nationen und erst recht nicht das Haager Abkommen des Jahres 1907 | |
haben solche Ansprüche als Teil des geltenden Völkerrechts angesehen - erst | |
recht nicht für das Völkerrecht der Jahre 1943/44. Ungeachtet davon | |
erscheint aber auch in der Sache eine Bewältigung der Schäden bewaffneter | |
Konflikte auf internationaler Ebene, sei es zwischenstaatlich, sei es durch | |
den Sicherheitsrat, besser geeignet, den legitimen Interessen aller | |
Opfergruppen gleichermaßen und umfassend gerecht zu werden. | |
## Begrüßenswerte Initiative | |
Die deutsche IGH-Klage betrifft Kernfragen des Völkerrechts und ist auch | |
für Deutschland nicht völlig risikofrei. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass | |
sich Deutschland auf Initiative des damaligen Außenministers Steinmeier in | |
diesem höchstsensiblen Bereich in die Hände unabhängiger internationaler | |
Richter begeben haben. | |
Fischer-Lescano bezeichnet den IGH als "konservativ besetzt". Etwa der | |
deutsche IGH-Richter Bruno Simma, der in der Vergangenheit für Deutschland | |
ein Urteil gegen die USA in einem Todestrafenverfahren erstritten hat, | |
dürfte dies wohl infrage stellen, zumal derselbe "konservative IGH" an | |
anderer Stelle von Fischer-Lescano selbst für seine Rechtsprechung im | |
israelischen Sperrmauerfall gelobt wird. | |
Die These von Fischer-Lescano, die Klage vor dem IGH, die sich lediglich | |
gegen die Anmaßung einer einseitigen Durchsetzung zumindest sehr | |
fraglicher, ja nicht existierender völkerrechtlicher Ansprüche wehrt, | |
verkörpere eine Rechtsargumentation, "die sich der Herrschaft des Rechts | |
auf anachronistische Weise zu entziehen sucht", hat ihrerseits "sichtbare | |
Empörung" verdient. | |
Die Streitbeilegung durch den IGH bildet eines der Kronjuwelen der von | |
Fischer-Lescano bemühten "Konstitutionalisierung der internationalen | |
Beziehungen". Umgekehrt aber dürfte der einseitige Versuch einzelner | |
Staaten, sei es Italien, seien es die USA, über das Verhalten fremder | |
Staaten zu Gericht zu sitzen und zu urteilen, kaum mit dem kantschen | |
Kategorischen Imperativ vereinbar sein. | |
13 Sep 2011 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Zimmermann | |
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