| # taz.de -- Debatte Roland Koch-Absturz: Eine hochelastische Partei | |
| > Die Konsensgesellschaft und der bundesdeutsche Sozialstaat sind nicht | |
| > Produkt der SPD, sondern genuines Geschöpf der CDU. Wenn sie sich dessen | |
| > erinnert, hat sie Erfolg. | |
| Natürlich, die Christdemokraten sind durch den Absturz von Roland Koch bis | |
| ins Mark getroffen. Dabei sind es nicht allein die verlorenen zwölf | |
| Prozentpunkte, die sie so schockieren. Mit dem Wahlsonntag in Hessen hat | |
| die CDU vielmehr ein Stück ihres historischen Selbstbewusstseins, ihrer | |
| über etliche Jahre prägenden Elementarerfahrungen aus der | |
| altbundesdeutschen Gesellschaft eingebüßt. | |
| Für Christdemokraten von Adenauer bis Kohl hieß Wahlkampf: den | |
| sozialistischen Gegner kompromisslos aufs Korn zu nehmen, dabei mit einem | |
| scharfen Feindbild zu operieren, das Bürgertum in Angst und Panik zu | |
| versetzen. So mobilisierte die CDU ihre Leute, schloss die Reihen und | |
| sammelte die Mitte diszipliniert hinter ihrer Partei. | |
| Ein halbes Jahrhundert ging dieses Rezept etliche Male für die CDU und auch | |
| für die CSU vorzüglich auf. Doch damit ist es nun, seit dem 27. Januar | |
| 2008, vorbei. Zwar kann man mit der eisernen Kampagnenstrategie auch | |
| weiterhin die eigene Kerntruppe zum Gleichschritt gegen den politischen | |
| Feind in Marsch setzen, man kann die Militanz des eigenen Lagers dadurch | |
| hoch motivieren. Nur: Mehrheiten erreicht man auf diese Weise nicht mehr. | |
| Der knallharte Kampagnenstil des Konservatismus formiert nicht mehr Mitte | |
| und Bürgertum, sondern schreckt dort in erster Linie ab. | |
| Insofern torkeln etliche Führungskräfte der CDU in diesen Tagen ein wenig | |
| benommen durch den politischen Ring. Dabei liegt die Lektion aus den | |
| Wahlkämpfen der letzten Zeit für die CDU klarer auf der Hand als für die | |
| Sozialdemokraten. In der SPD ist zwar der Jubel auf den ersten Blick | |
| verständlicherweise groß, doch auf den zweiten Blick schon ein wenig | |
| verwunderlich: Denn bei den Sozialdemokraten wird gefeiert, obwohl die | |
| Partei in Hessen das zweitschlechteste, in Niedersachsen das schlechteste | |
| Wahlergebnis der Landtagswahlgeschichte eingefahren hat. Und insbesondere | |
| das niedersächsische Ergebnis ist schwerlich als Votum für den neuen | |
| Beck-Kurs, erst recht aber auch nicht als Plebiszit für die alte | |
| Schröder-Agenda zu begreifen. Die Parole vom Mindestlohn war keineswegs so | |
| mobilisierend wie gedacht. Das Problem Linkspartei ist größer denn je. | |
| Koalitionspolitisch ist die Ratlosigkeit größer als die Gewissheit. | |
| Die CDU indessen kann aus den Wahlergebnissen im Bund vom September 2005 | |
| und nun in Hessen vom Januar 2008 zwei glasklare Erkenntnisse schöpfen: | |
| Mehrheiten für das altbürgerliche Bündnis aus Schwarzen und Gelben wird man | |
| nicht durch rigide neoliberale Wirtschaftsreformen bekommen, auch nicht | |
| durch traditionskonservative Lager- und Fanfarenkämpfe. | |
| Schwarz-gelbe Mehrheiten gab es dagegen zuletzt und bemerkenswerterweise | |
| vorgestern in Niedersachsen, im Bundestagswahljahr 2005 in | |
| Nordrhein-Westfalen. Dort aber traten die Christdemokraten bewusst nicht | |
| als Hardliner unregulierter Marktwirtschaft und zackiger | |
| Deutschnationalität auf. Dort haben die Christdemokraten Rüttgers und Wulff | |
| ihren sozialdemokratischen Gegnern gezielt und raffiniert die Themen | |
| genommen, haben der sozialstaatlichen, konsensgesellschaftlichen | |
| Leitmentalität der Deutschen ihre Referenz erwiesen. Bürgerliche | |
| Mehrheiten, kurzum, sind nicht durch bürgerliche Politparolen herzustellen. | |
| Allein Guido Westerwelle scheint das partout nicht zu begreifen. | |
| Eine in geschichtlichen Dingen wenig firme Kommentatorenschicht hat | |
| solcherlei Einsichten innerhalb der CDU zuletzt stets als | |
| "Sozialdemokratisierung der Union" gegeißelt. Doch ist die | |
| Konsensgesellschaft und der bundesdeutsche Sozialstaat nie Produkt der SPD, | |
| sondern genuines Geschöpf insbesondere katholischer Politiker gewesen. Alle | |
| entscheidenden Sozialstaatsreformen - von der Arbeitslosenversicherung bis | |
| zur dynamischen Rente - sind in Deutschland durch Politiker der | |
| Zentrumspartei beziehungsweise der CDU installiert worden. Und auch die | |
| Konsensgesellschaft, das Gesellschaftsmodell von Versöhnung und Ausgleich, | |
| war primär die katholisch-christdemokratische Antwort auf das anfängliche | |
| Klassenkampfprinzip der Sozialdemokraten. | |
| Die CDU kam im Laufe der 1990er-Jahre erst in die Bredouille, als sie all | |
| dies vergaß, als eine neue junge Parteielite zu Beginn ihrer Karriere | |
| begierig die wirtschaftsliberalen Phrasen, die seinerzeit zirkulierten, | |
| aufnahm. Sie beschimpfte lärmend und verächtlich die | |
| "Vollkasko-Gesellschaft" der Deutschen, um sodann auch noch den tapferen | |
| Norbert Blüm an den Pranger zu stellen - und damit selbst noch die | |
| irritierten Mittelschichten zu erschrecken. Das führte zu den | |
| Bundestagswahlniederlagen 1998 und 2002 und erst recht zum Desaster von | |
| 2005. Diese Lektion hat nachhaltig gesessen: Mit einem strikten | |
| Neuliberalismus in der Ökonomie wird die CDU auf absehbare Zeit nicht mehr | |
| im Kampf um die Macht antreten. | |
| Schwieriger ist die andere Lektion: Der traditionalistische | |
| Freund-Feind-Konservatismus hat große Teile einer neuen bürgerlichen Mitte | |
| auf die andere Seite des politischen Spektrums getrieben. In keiner Gruppe | |
| war die Distanz zu Roland Koch im hessischen Wahlkampf derart groß wie bei | |
| den Wählern mit Abitur und Hochschulabschluss, vor allem bei solchem | |
| weiblichen Geschlecht. Das ist keineswegs ein neues Phänomen. Schon seit | |
| rund 15 Jahren verliert die Union gerade in diesen früheren Kernschichten | |
| konfessioneller und bürgerlicher Parteien - den Frauen und | |
| BildungsbürgerInnen - drastisch. Da es sich hier um konstitutive Fermente | |
| und Leitmilieus der Wissensgesellschaft handelt, ist diese Entwicklung für | |
| die CDU in der Tat elementar gefährlich. | |
| Doch auch diese Lektion ist in der Spitze der Partei angekommen. Wulff hat | |
| in Niedersachsen in den letzten Jahren nicht nur die Sozialdemokraten | |
| deaktiviert, sondern bewusst auch durch familienpolitische, kulturelle | |
| Signale Frauen im Bildungsbürgertum der jüngeren und mittleren | |
| Alterskohorten anzusprechen versucht. Er gab eben nicht den kantigen Macho | |
| wie der Kollege aus Wiesbaden. Nicht zuletzt deshalb ging für ihn der | |
| Wahlkampf am Sonntag glimpflich zu Ende. Und er wird sich auch in den | |
| nächsten Monaten auf vorschulische Betreuung und Bildung, auf die | |
| demonstrative Förderung der landeseigenen Wissenschaftseinrichtungen | |
| konzentrieren. | |
| Auch Angela Merkel wird mit Bildungs-, Frauen- und Familienpolitik noch ein | |
| Stückchen forscher am Bild einer "neuen CDU" feilen. Machen kann sie das, | |
| weil diese Ressorts der Bundesregierung in den Händen der Union liegen. Und | |
| innerparteilich leisten kann sie sich es, da der Truppenführer des strammen | |
| Konservatismus - um im Jargon jener Richtung zu bleiben - vom Feind | |
| abgeschossen wurde und seine Bataillone fürs Erste gelähmt sind. Im | |
| Übrigen, an einer historischen Konstante der CDU wird sich wohl nichts | |
| ändern: Sie war stets, wenn es um Einfluss und Macht ging, eine | |
| hochelastische, geschmeidig anpassungsfähige Partei. Die CDU wird sich | |
| wandeln. Und darin bleibt sie sich gleich. | |
| 28 Jan 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Franz Walter | |
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