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# taz.de -- Debatte Menschenrechte: Geleitet von deutscher Arroganz
> Deutschland weigert sich, Schadenersatz für Kriegsverbrechen der Nazis zu
> leisten. Damit konterkarieren wir die eigene Menschenrechtspolitik.
Es hat noch keine deutsche Bundesregierung gegeben, die sich nicht den
Einsatz für Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben hat. "Die
Menschenrechte", so ist etwa im Menschenrechtsbericht der Bundesregierung
aus dem Jahr 2010 zu lesen, bilden den "Kern einer werteorientierten und
interessengeleiteten Außenpolitik".
Schaut man genauer hin, gibt es viele dunkle Flecken auf der weißen Weste
der wertorientierten Außenpolitik. Das Verfahren, das die Regierung derzeit
vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gegen Italien und Griechenland
führt, gehört dazu.
Die obersten Gerichte Italiens und Griechenlands haben die Bundesrepublik
in den vergangenen Jahren dazu verurteilt, den Opfern deutscher Verbrechen
während des Zweiten Weltkriegs Schadenersatz zu zahlen. Die Urteile
betreffen drei Opfergruppen. Einmal geht es um die Ansprüche der
italienischen Militärinternierten, die als Angehörige der Streitkräfte
kriegsrechtswidrig zu Zwangsarbeit verpflichtet worden waren.
Dann geht es um die Entschädigung der Opfer schwerer Kriegsverbrechen in
Italien, u. a. aus Civitella. Schließlich hat in Griechenland das höchste
Zivilgericht die Bundesrepublik wegen des Massakers in Distomo, bei dem
mehr als 200 Menschen ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht getötet
wurden, zu Schadenersatz verurteilt.
## Es geht um Massaker
Die Bundesregierung weigert sich, den Urteilen der obersten Gerichte im
europäischen Verfassungsverbund Folge zu leisten. Die Opfer sind bislang
weder durch die sogenannten Globalabkommen aus den 60er Jahren noch durch
die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" berücksichtigt worden.
Sie wurden bis heute nachgerade willkürlich von einer Entschädigung
ausgeschlossen. Statt eine gerechte Ausgleichslösung zu suchen und die
Opfer zu ihren höchstgerichtlich anerkannten Rechten kommen zu lassen, hat
die Bundesregierung 2008 den IGH angerufen.
Lange Zeit passierte wenig. Nun findet ab dem 12. September in Den Haag die
mündliche Verhandlung statt. Die völkerrechtliche Auseinandersetzung dreht
sich im Kern um die Frage, ob die Verfahren die deutsche Immunität
verletzen. Zugespitzt formuliert sagt die Bundesregierung: Souveränität ist
wichtiger als ein gerichtlicher und damit friedlicher Menschenrechtsschutz.
Die Bundesregierung argumentiert, dass es eine Rechtsgrundlage für den
Anspruch der Opfer nicht gebe und darauf gerichtete Gerichtsverfahren die
deutsche Immunität verletzen. Sie setzt darauf, dass der vornehmlich
konservativ besetzte IGH ihre souveränitätslastige Sichtweise einnehmen
wird. Für den Menschenrechtsschutz besteht die reale Gefahr, dass dieses
Kalkül aufgeht. Die globale Menschenrechtsbewegung würde schlimmstenfalls
um Jahre zurückgeworfen.
## Individualansprüche der Opfer
Zunächst zur Frage der Stärkung der Opferrechte: Die Rechtsgrundlage für
die Entschädigung haben die italienischen und griechischen Gerichte im
Einklang mit der neueren Völkerrechtspraxis dem Gewohnheitsrecht entnommen.
Sie haben darum die deutsche Praxis der partiellen Nichtentschädigung für
rechtswidrig erklärt.
Dass es solche Individualansprüche gibt, ist heute anerkannt. So hat die
mit namhaften VölkerrechtlerInnen besetzte Arbeitsgruppe der International
Law Association zur "Entschädigung von Opfern bewaffneter Konflikte" 2008
festgehalten, dass seit Beginn der 90er Jahre ein völkerrechtlicher
Individualanspruch bei der Verletzung von Normen des humanitären
Völkerrechts besteht. Ähnlich hat der IGH in seinem Gutachten zu den
rechtlichen Folgen des Baus der Mauer in den besetzten palästinensischen
Gebieten die Schadenersatzansprüche von betroffenen PalästinenserInnen
begründet.
Und schließlich hat auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen in
den "Grundprinzipien und Leitlinien betreffend das Recht der Opfer von
groben Verletzungen der internationalen Menschenrechtsnormen und schweren
Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht auf Rechtsschutz und
Wiedergutmachung" im März 2006 einen Anspruch auf Entschädigung bei
Verletzungen des humanitären Völkerrechts bejaht.
Da bereits die Haager Abkommen von 1907 eine Entschädigungspflicht bei
Verletzungen des Völkerrechts vorsehen, trifft auch die deutsche
Argumentation, dass es solche Entschädigungsansprüche heute vielleicht
geben könnte, zur Zeit des Zweiten Weltkriegs aber sicher nicht gegeben
habe, international nicht mehr auf ungeteilte Zustimmung. Obsiegt die
Bundesregierung in Den Haag, könnte es in der Frage der
Individualberechtigung einen Rückschlag geben.
## Gegen das Völkerrecht
Die Bundesregierung verneint aber nicht allein den Anspruch, sondern
fordert darüber hinaus, dass Italien alles tun müsse, "um sicherzustellen,
dass die Entscheidungen der Gerichte, die die deutsche souveräne Immunität
verletzen, nicht durchsetzbar werden." Das ist eine anachronistische
Rechtsposition.
Denn in zahlreichen internationalen Urteilen, aber auch in Artikel 12 der
UN-Konvention zur Staatenimmunität ist rechtlich längst anerkannt, dass
staatliche Delikte vor den Gerichten fremder Staaten verhandelt werden
können. Voraussetzung ist, dass der Tatort in dem Staat liegt, der seine
Gerichtsbarkeit ausübt, dass also Tatort- und Gerichtsstaat identisch sind.
Gerade das ist aber bei den griechischen und italienischen Verfahren, die
jeweils Kriegsverbrechen in Italien und Griechenland betreffen, der Fall.
Die Bundesregierung stemmt sich gegen die völkerrechtlich anerkannte
Möglichkeit, Verletzungen zwingender Völkerrechtsregeln auf dem Wege der
"dezentralen Durchsetzung" auch vor nationalen Gerichten geltend zu machen.
Der spanische Haftbefehl gegen Pinochet ist ein Beispiel für eine solche
Praxis, die von der Grundüberzeugung getragen ist, dass es
menschenrechtliche Kernnormen des Völkerrechts gibt, die weltweit
gerichtlich durchgesetzt werden können.
Wenn die Bundesregierung behauptet, dass selbst das Verbot schwerer
Kriegsverbrechen nicht zu diesen weltweit durchsetzbaren Kernnormen gehört,
dann steht das in eklatantem Widerspruch zu ihrer Selbstberühmung, dass sie
die Menschenrechte als Kern der Außenpolitik versteht.
Das Verfahren vor dem IGH betrifft Kernfragen des völkerrechtlichen
Kompensationsrechts. Wenn man möchte, dass Rechtsverstöße im Rechtssystem
nicht folgenlos bleiben, sondern justiziabel werden, wenn man dafür
streitet, dass "die Konstitutionalisierung der Internationalen Beziehungen
eine Chance" (Jürgen Habermas) hat, dann muss man hoffen, dass der IGH die
deutsche Argumentation als das zurückweisen wird, was sie ist:
Souveränitätsfetischismus einer vergangenen Epoche.
Eine Rechtsargumentation, die sich der Herrschaft des Rechts auf solch
anachronistische Weise zu entziehen sucht, hat sichtbare Empörung verdient.
11 Sep 2011
## AUTOREN
Andreas Fischer-Lescano
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