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# taz.de -- Debatte Freiheitsbegriff: Der Kampf um Freiheit
> Die Konservativen haben den Freiheitsbegriff geklaut. Die Progressiven
> haben es ihnen nicht eben schwer gemacht. Nun sollten sie ihn sich jetzt
> schleunigst zurückholen.
Bild: Neobundespräsident Joachim Gauck führt mit seinem „Freiheit“-Büchl…
Zugegeben: Ganz neu ist das nicht, dass sich die Priester eines
ökonomischen Fundamentalliberalismus als „Kraft der Freiheit“ großtun und
den Linken und Progressiven die Punze anhängen wollen, diese seien für
Gängelung. Man muss nur „Der Weg zur Knechtschaft“ des
Wirtschaftsnobelpreisträgers Friedrich von Hayek aus dem Jahr 1944 lesen.
Hier beklagt er, nicht zuletzt wegen zaghafter Schritte in Richtung eines
Wohlfahrtsstaates in den USA, in Großbritannien und Schweden: „Nur
diejenigen, die sich noch an die Zeit vor 1914 erinnern können, wissen, wie
eine liberale Welt ausgesehen hat? Schritt für Schritt haben wir jene
Freiheit der Wirtschaft aufgegeben, ohne die es persönliche und politische
Freiheit in der Vergangenheit nie gegeben hat.“ Ulkig: Der
Räuberbaronkapitalismus vor 1914 war die goldene liberale Welt, Roosevelts
„New Deal“ die Aufgabe der Freiheit.
Seit nunmehr mindestens dreißig Jahren stoßen Hayeks Adoranten tagein,
tagaus in dieses Horn. In jüngster Zeit wurde dieses Lied noch einen Dreh
schriller: Neobundespräsident Joachim Gauck singt hier mit, sein
„Freiheit“-Büchlein führt seit Wochen die „Sachbuch“-Bestsellerlisten…
und FAZ-Wirtschaftsredakteur Rainer Hanz stimmt ein schwulstiges „Hoch auf
die Freiheit“ an. Die Freiheit am Markt ist für ihn die ewige Urquelle
bürgerlicher Freiheit und überhaupt von allem Guten.
## Überladene Begriffe
Nun kann man sich da doch ein bisschen darüber wundern: Man hätte annehmen
können, dass die Chorbrüder einer solchen ideologisch überladenen
„Wirtschaftsfreiheit“ ein bisschen leiser treten, nachdem ja seit dem
Beinahekollaps der globalen Marktwirtschaft 2008 empirisch klar ist, wohin
uns radikale Wirtschaftsfreiheit geführt hat. Schließlich haben die
Anhänger der „ganz freien Marktwirtschaft“ die „real existierende
Marktwirtschaft“ beinahe ruiniert.
Warum also gerade jetzt? Nun, seit 2008 geben die Progressiven – im
weitesten Sinn gesprochen: Politiker, Denker, Autoren, Aktivisten – nicht
mehr gar so klein bei. Sie wagen es auch zu sagen, dass die soziale
Gerechtigkeit unter die Räder gekommen ist. Sie sprechen sogar wieder das
Wort „Gleichheit“ aus. Mehr noch, sie untermauern mit viel empirischen
Beweisen den Hinweis, dass mehr Gleichheit sowohl ökonomisch wie
gesellschaftlich günstige Auswirkungen hätte. Sogar der IMF und die OECD
sagen das schon. Es gibt also zumindest wieder eine Minivariante einer
ideologischen Auseinandersetzung, also schwenken manche Konservative und
neoliberale Stellungskrieger ihr „Freiheit“-Winkelement.
## Viel Freiheit für die einen, wenig für die anderen
Freilich haben es die Progressiven den Konservativen auch nicht eben schwer
gemacht. Wenn die Konservativen im Grunde behaupten, dass erstrebenswerte
Grundprinzipien wie „Freiheit“ und „Gleichheit“ wie kommunizierende Gef…
funktionieren, wir also, wenn wir Freiheit wollen, Ungleichheit in Kauf
nehmen müssen, und umgekehrt, wenn wir mehr Gleichheit wollen, dafür die
Freiheit opfern müssten, dann haben sich die Linken ein wenig in dieses
Setting gefügt: Sie haben den Konservativen den Freiheitsbegriff überlassen
und sich ganz auf die Begriffe „Gerechtigkeit“ und „mehr Gleichheit“
kapriziert.
Das ist natürlich eine Falle: Denn „Freiheit“ und „Gleichheit“ sind ke…
Antipoden, sondern Zwillinge. Freiheit unter den Bedingungen von
Ungleichheit hat grob freiheitseinschränkende Wirkungen für jene, die
weniger begütert sind, die weniger materielle und kulturelle Ressourcen
haben. Das heißt dann: Viel Freiheit für die einen, wenig Freiheit für die
anderen.
Die Progressiven haben sich den Freiheitsbegriff klauen lassen, was umso
bizarrer ist, waren sie doch immer die Kraft der Freiheit: Von 1848 über
die frühe Arbeiterbewegung, die Versammlungsfreiheit und das gleiche
Wahlrecht durchsetzte, über den Sturz der Monarchien und die Gründung
demokratischer Republiken; von der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung bis
zum Nonkonformismus von Hippies bis Punks oder zu Willy Brandts „Mehr
Demokratie wagen“ – dieses eigentümliche Pathos der Freiheit war es ja
immer, das Menschen dazu brachte, sich der Sache der Linken anzuschließen.
Immer ging es hier: um Würde; um die Freiheit, seine Lebensziele und Träume
zu realisieren; ein spannendes Leben zu führen, das den eigenen Idealen
entspricht; um das Recht, nicht kommandiert zu werden.
## Eliten in der Wagenburg
Heute ist auch der ungezügelte Markt der Feind der Freiheit, weil er vielen
Menschen die Ressourcen versagt, die für ein selbstbestimmtes Leben nötig
sind, weil er die Voraussetzungen nicht garantiert, die für die Freiheit,
aus seinen Talenten und seinem Leben etwas zu machen, notwendig sind.
Die Wagenburgmentalität der ökonomischen Eliten – Soziologen sprechen schon
von „Refeudalisierung“ – unterbindet soziale Mobilität. Wirtschaftliche
Ungleichheit übersetzt sich in die Aushöhlung politischer Freiheit: Lobbys
und starke Einflussgruppen können heute Gesetze kaufen und Regeln
diktieren, während normale Bürger das Gefühl haben, dass ihre Stimme nicht
zählt – „marktkonforme Demokratie“ nannte das Frau Merkel in einem Moment
beredter Offenheit. Jene Nischen, die früher so etwas wie „Brutplätze“ der
Freiheit waren, werden heute durch Kommerzialisierung bedroht.
Auch die lebendige Debatte – die „Meinungsfreiheit“ – wird heute vielle…
weniger durch Zensur beschränkt denn durch die Verwandlung von Medien in
bloße kommerzielle Geschäftsfelder. Es sind (nicht nur, aber unter anderem)
diese Prozesse, die heute die lebendige Freiheit sklerotisieren lassen,
keineswegs aber wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen mit dem Ziel, mehr
Gleichheit zu realisieren, oder gar die Gefahr kollektivistischer
Gleichmacherei.
Dass der Staat, beim Versuch, diese Bedrohungen abzuschirmen, zu
Überregulierung und Paternalismus tendieren kann, ist eine Gefahr, die man
nicht leugnen soll, der aber am besten durch die Stärkung der Rechte des
Einzelnen begegnet wird, durch die Schaffung von Bereichen unumschränkter
Freiheit, die durch eiserne Regeln geschützt sind.
25 Mar 2012
## AUTOREN
Robert Misik
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