# taz.de -- Debatte Eurokrise: Die Apokalypse fällt aus | |
> Die Lage ist nicht ausweglos, auch wenn die Investoren hysterisch sind. | |
> Die Politik muss jetzt beruhigen. Und vor allem die Steuern für die | |
> Reichen erhöhen. | |
Bild: Nur keine Panik: Europa in der Eurokrise. | |
Schön ist die Bescherung nicht, denn die Eurokrise ist keineswegs | |
ausgestanden. Aber so dramatisch, wie viele Schlagzeilen es seit Monaten | |
immer wieder suggerieren, ist die Lage auch nicht. Es fliegt kein Meteorit | |
auf Europa zu, der uns auslöschen würde. Auch ein Krieg oder eine | |
Hungersnot sind nicht zu erwarten. | |
Vielmehr gilt: Trotz der ökonomischen Unübersichtlichkeit gibt es | |
Handlungsspielraum. Es existiert allerdings kein Patentrezept, das für | |
Europa und in Deutschland alle Probleme löst. Deswegen ist politischer | |
Streit durchaus vernünftig und - hier ist das Wort einmal angebracht - | |
alternativlos. | |
Auf den Finanzmärkten ist sehr viel Irrationalität und Hysterie im Spiel. | |
Klar ist, dass Griechenland weit davon entfernt ist, von selbst auf die | |
Beine zu kommen. Bei anderen Ländern wie Spanien oder Italien wird die Lage | |
aber wohl sehr viel schwärzer gemalt, als sie tatsächlich ist. Es stimmt | |
zwar: Aufgrund des Misstrauens der Anleger muss Italien im Moment hohe | |
Zinsen zahlen. Aber gemessen an vielen anderen Staaten dieser Erde ist | |
Italien ein solides Land. | |
Und die Anleger müssen ja irgendwo hin mit ihrem flüssigen Geld. Also wird | |
auch Italien wieder weniger Zinsen zahlen müssen - wenn Europa durchhält | |
und Solidarität erkennen lässt. Und das ist der Fall. Um Gemeinsamkeit zu | |
demonstrieren, halten die EU-Politiker einen Gipfel nach dem nächsten ab. | |
## Jeder Anleger muss anlegen | |
Es ist daher zu hoffen, dass in die öffentlichen Diskussionen mehr | |
Nüchternheit einkehrt. So wie Bundesbankpräsident Jens Weidmann es | |
vorbildlich vormacht. Er hält - wie berichtet wird - es zu Recht für | |
"keinen Weltuntergang", falls Deutschland die Kredit-Bestnote AAA verlieren | |
sollte. Denn wiederum gilt: Die Anleger müssen irgendwo hin mit ihrem Geld. | |
Und Deutschland ist - völlig unabhängig von seinem Rating - eine | |
Topadresse. | |
Zu bedenken ist auch: Panikmache gegen den Euro gibt es auch deswegen, um | |
von der hohen Verschuldung anderenorts - etwa in den USA - abzulenken. Oder | |
um die eigene Organisation, wie etwa den Internationalen Währungsfond, zu | |
stärken. Und auch Wirtschaftsforscher übertreiben gelegentlich, um - | |
vermeintlich - besser gehört zu werden. | |
Die Rettung des Euros ist nicht umsonst zu haben. Die griechische | |
Zahlungsunfähigkeit kostet auch deutsche Banken Geld, wofür der | |
Steuerzahler geradestehen muss - sei es durch billige Kredite an | |
Griechenland oder zur Stützung heimischer Banken. Doch die riesigen | |
Rettungsschirme werden keine Hunderte von Milliarden oder gar Billionen | |
verschlingen. Wenn sie funktionieren, sind ihre Kosten volkswirtschaftlich | |
überschaubar. | |
Um die Finanzmärkte zu überzeugen, ist es zentral und in der Tat | |
eilbedürftig, dass die europäische Währungsunion einen besseren politischen | |
Unterbau erhält. Die Macht der EU-Kommission und des EU-Parlaments müssen | |
gestärkt werden, während die EU-Mitgliedstaaten einen Teil ihrer | |
Budgethoheit abgeben müssen. | |
Aber - so werden viele sagen - ist nicht auch Deutschland völlig | |
überschuldet, und ist das nicht die eigentliche, da hausgemachte Gefahr? | |
Gegenwärtig macht die Staatsverschuldung der Bundesrepublik etwa 80 Prozent | |
der jährlichen Wirtschaftsleistung aus. Das ist enorm. Aber es gilt auch: | |
Solange wir die Zinsen für die Staatsschuld aufbringen können, lässt sich | |
mit dieser Belastung leben. Zudem bleiben die meisten Zinszahlungen unserem | |
Wirtschaftskreislauf erhalten, da die Gläubiger im Inland sitzen. | |
## Schuldenbremse: kein Problem | |
Nun werden viele einwenden: Aber die "Schuldenbremse" verlangt doch, die | |
Ausgaben zu kürzen. Falsch: Sie verlangt nur, dass nicht zu viele Ausgaben | |
über Schulden finanziert werden. Wenn der Staat jedoch mehr Steuern | |
einnimmt, kann er auch mehr ausgeben und trotzdem die Schuldenbremse | |
einhalten. | |
Der internationale Vergleich zeigt: Die Steuerlast in Deutschland liegt | |
eher niedrig, so dass es durchaus Spielraum für Steuererhöhungen gäbe, die | |
die Wirtschaft nicht "abwürgen" würden. Addiert man zu den Steuern noch die | |
Sozialversicherungsbeiträge, liegen wir mit unserer Abgabenlast | |
international im Mittelfeld. Zudem wird die jetzige Besteuerung von den | |
meisten reicheren Steuerzahlern keineswegs als ungerecht empfunden. | |
Schon dies legt nahe, über eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes bei der | |
Einkommensteuer nachzudenken. Aus psychologischen Gründen sollte der Staat | |
allerdings nicht mehr als maximal 50 Prozent verlangen. Doch nahe an dieser | |
Schwelle könnte der Spitzensteuersatz liegen. Damit ließen sich etwa 5 | |
Milliarden Euro pro Jahr erzielen. | |
Die Erbschaftssteuer könnte ebenfalls ergiebiger gestaltet werden, ohne | |
kleine Erbschaften zu belasten. Das DIW Berlin hält hier Mehreinnahmen von | |
4 Milliarden Euro pro Jahr für möglich. Auch eine Vermögensteuer ist nicht | |
per se grundgesetzwidrig. Auch hier sollten nur hohe Vermögen, also | |
Millionäre, getroffen werden. Das könnte 7 Milliarden bringen. | |
## Kräftig in Infrastruktur investieren | |
Bei der Frage der Steuerlast sollte auch berücksichtigt werden, dass in | |
zehn Jahren die Ausgaben für Gesundheit und Pflege deutlich zunehmen | |
werden, weil die Babyboomer dann ins Greisenalter hineinwachsen. Dadurch | |
dürften die Sozialleistungen stärker als die Wirtschaftsleistung steigen. | |
Die Menschen werden dann für andere Ausgaben weniger Geld in der Tasche | |
haben. | |
Deswegen sollte bereits jetzt kräftig in die Infrastruktur investiert | |
werden. In zehn Jahren würde dies schwerer fallen. Es ist also keineswegs | |
abwegig, die Steuern zum Erhalt der Verkehrsinfrastruktur, der Schulen und | |
der Universitäten zu erhöhen. Auch die vorschulische Kinderbetreuung sollte | |
ausgebaut werden, um nur einige Felder zu nennen, wo es riesengroße Bedarfe | |
gibt. | |
Allerdings gibt es gerade bei Fragen der Besteuerung und der Sozialabgaben | |
kein "richtig" oder "falsch", sondern es handelt sich um Werturteile. Daher | |
kann nur der Wähler entscheiden. Dabei geht es nicht nur um | |
Wirtschaftswachstum, sondern vor allem um das Ausmaß an Gerechtigkeit, | |
Solidarität und Lebensqualität. Insofern ist es gut, wenn die Gestaltung | |
von Steuern und Abgaben zu einem expliziten Wahlkampfthema wird. Streit | |
gehört dann dazu. | |
26 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Gert G. Wagner | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |