# taz.de -- Das schnelle „Ernstl“ | |
> ■ Ernst Weber, Pionier des Marathonlaufs | |
PRESS-SCHLAG | |
Beim „Leichtathletik-Meeting“ vor 110 Jahren in Hamburg, der Keimzelle der | |
„leichten“ Athletik hierzulande, war eine Disziplin tabu: der Marathonlauf. | |
In Europa galt der Langlauf schlechthin als Tummelfeld von Scharlatanen, | |
Abenteurern, Profis oder einer Mischung aus allem. Auf jeden Fall | |
verstießen schillernde Typen wie der Berliner Fritz Käpernick („Laufen wie | |
Käpernick“), der mitunter Pferde zum Wettkampf herausforderte, gegen die | |
Renaissance des modernen olympischen Gedankens. Folglich dauerte es bis zum | |
Jahre 1898, daß in Leipzig zum erstenmal 54 verwegene Männer mit | |
Amateurbescheinigungen auf die lediglich 40 Kilometer lange Distanz gingen. | |
Eine Deutsche Meisterschaft wurde erst 1925 ausgetragen. | |
Einige Jahre später schlug die große Stunde eines kleinen Schwaben: Ernst | |
Weber aus Dettingen rannte bei den Deutschen Meisterschaften 1939, der | |
legendären „Hitzeschlacht von Leipzig“, allen Konkurrenten davon. Wann er | |
seinen ersten Marathon bestritten hat, weiß der heute in Berlin lebende | |
80jährige pensionierte Sportlehrer nicht mehr. Nur, daß es für ihn keine | |
Plackerei war: „Ich bin halt immer gerne gelaufen, je länger, desto | |
lieber.“ Runde zweidreiviertel Stunden benötigte er für seinen Siegeslauf, | |
obwohl er stinknormale Turnschuhe trug und auch die Ernährung keineswegs | |
auf die 42-Kilometer-Tortur abgestimmt war. „Wir lebten damals wie normale | |
Bürger auch“, so Ernst Weber heute. | |
Leipzig sollte für den Mann von der Schwäbischen Alb lediglich | |
Durchgangsstation auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 1940 in Tokio | |
sein. „Einen Platz unter den ersten Zehn hätte ich mir schon zugetraut“, | |
sagt Weber, sein Trainingspensum von zwei bis drei Stunden täglich war | |
indes vergeblich. Die Olympiade fiel dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer und | |
konnte erst mit 24jähriger Verspätung im Reiche Nippons nachgeholt werden. | |
Zu spät für den kleinen Mann, der für seinen gewaltigen Endspurt bekannt | |
war. Nie in seiner Läuferkarriere, erzählt Weber, sei er zu Beginn des | |
Rennens in der Spitzengruppe mitgelaufen. Stets habe er erst dann Tempo | |
gemacht, „als alle Konkurrenten schon schwer geschnauft haben.“ | |
Nach dem Krieg versuchte „Ernstl“ ein Comeback. 1950 gewann er in Büren | |
einen gutbesetzten Marathon in ausgezeichneten 2:38 Stunden. Sein Traum von | |
der aktiven Teilnahme an Olympischen Spielen blieb jedoch unerfüllt. 1952, | |
beim alles entscheidenden Qualifikationsrennen für Helsinki, kam der | |
mittlerweile 43jährige zwar als Fünfter ins Ziel, doch nur die beiden | |
Erstplazierten wurden nominiert. Nur ein einziges Mal mußte Weber einen | |
Marathon vorzeitig aufgeben, ausgerechnet bei den Deutschen Titelkämpfen | |
1951 in Düsseldorf. | |
1966 berief der DLV Ernst Weber als Trainer des bundesdeutschen | |
Marathonkaders für die Olympischen Spiele in Mexiko (1968) sowie München | |
(1972). Unter seinen Fittichen wuchs ein Manfred Steffny („ein | |
Sonderling“), der Bruder des noch aktiven Marathonstars Herbert Steffny, zu | |
einem Spitzenläufer heran. | |
Bis vor zehn Jahren hat Ernstl selbst noch die Laufschuhe geschnürt und | |
Wegstrecken bis zu 20 Kilometern zurückgelegt. Mit Blick auf den momentanen | |
Anmeldeboom für den diesjährigen Ost-West-Berlin-Marathon meint er: „Der | |
Marathonlauf hat zweifellos Karriere gemacht, das ist ein richtiger | |
Volkssport geworden. Wir waren damals höchstens ein paar Dutzend Läufer.“ | |
Nur zu gern würde er höchstpersönlich die neue Streckenführung des | |
Berlin-Marathons 1990 antesten. Aber ein Hüftleiden, „vielleicht kommt es | |
vom Laufen“, macht es ihm unmöglich: „Schade.“ | |
Jürgen Schulz | |
25 Jul 1990 | |
## AUTOREN | |
jürgen schulz | |
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