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# taz.de -- Das ist nicht lustig?
> „Braindead“, die erste Splatterkomödie, läutet das Ende eines Genres ei…
> ■ Von Thomas Winkler
Das Thema dieses Films ist Blut. Blut und die Möglichkeit, darüber zu
lachen, wo, warum und wie es fließt. Die Krankenschwester bekommt den Kopf
halb abgetrennt. Später entbrennt die eigentlich tote, tatsächlich aber
untote Krankenschwester in Leidenschaft zum ebenfalls zum Zombie mutierten
Pfarrer, aber dummerweise kippt bei jedem Kuß ihr Kopf auf den Rücken. Das
ist nicht lustig, sagen Sie? Warum haben Sie dann schon als Halbwüchsiger
sich kaum noch halten können, wenn Stan Laurel seinen Finger in Oliver
Hardys Auge bohrte? Und sind Sie dann etwa auf die Straße gegangen und
haben dem Nächstbesten ein Auge ausgestochen? Sicher nicht. Und auch nach
„Braindead“ schnallt sich wohl niemand anschließend einen Rasenmäher vor
die Brust, nur weil Held Lionel mit einem ebensolchen sich im Showdown des
Films der Zombies entledigt, die in Scharen sein Haus bevölkern.
Das kam so: Lionels Mutter, eine klassische Megäre, wird im Zoo von einem
Ratten-Affen gebissen, als sie ihr Söhnchen beim Tête-à-tête mit der
spanischen Verkäuferin Paquita beobachtet. Der Biß hat verhängnisvolle
Folgen. Mutti fault schnell vor sich hin, und Lionel muß mit Klebestift
schon mal Hautfetzen wieder anbringen. Selbst nach ihrer Beerdigung kann
die Besitzergreifende nicht loslassen, wühlt sich aus ihrem Grab und
versetzt bei der Gelegenheit gleich noch ein paar Anwesende in ihren
unseligen Zustand. Lionel stellt die Zombie- Bande mit Tranquilizern in
Spritzen und Frühstücksflocken ruhig, bringt es aber nicht übers Herz,
seine „Mom“ endgültig ins Jenseits zu befördern. Als auch noch der Onkel
auftaucht, das geerbte Haus beansprucht und dort eine Party veranstaltet,
ist der Tisch zum Schlachtfest gedeckt.
„Braindead“ ist der dritte Film des Neuseeländers Peter Jackson. Schon mit
seinem Erstling „Bad Taste“ hatte Jackson neue Maßstäbe gesetzt, was die
Blutmengen betraf. Jackson brauchte Jahre dafür, und das, obwohl die New
Zealand Film Commission, die bereits „Bad Taste“ teilfinanziert hatte (man
stelle sich vor, in Deutschland würde ein Splatter-Film von der
Filmförderung bezuschußt), bereit war, den Großteil der Kosten zu tragen.
Mit den schließlich zusammengekommenen 3 Millionen NZ-Dollars fertigte
Jackson den „blutigsten Film aller Zeiten“ („Splatting Image“), die
ultimative Hämoglobinorgie. Tatsächlich ist „Braindead“ auch ein Film üb…
die Liebe – die zwischen Menschen und die zwischen Zombies. Und die
zwischen Mutter und Sohn: Wenn Lionel in den Bauch seiner zum hausgroßen
Monster gewachsenen Mutter zurückkehrt, werden männliche Alpträume wahr.
Und grundsätzlich wird sowieso niemand grundlos zu Matsch befördert – ein
Witz springt wenigstens dabei raus.
Die aberwitzige Geschichte vom Muttersöhnchen Lionel, dessen Liebe zu
Paquita beinahe von der Zombie-Mama verhindert wird, beendet, was „Evil
Dead“ 1982 eingeleitet hatte: Als Splatter an die Grenzen der Grausamkeit
gestoßen war, blieb nur mehr der makabre Umgang mit dem Thema. Irgendwann
konnte der Ekel nur mehr weggelacht werden. „Braindead“, sollte er
tatsächlich kommerziellen Erfolg über den Fan- Kreis hinaus bekommen und
möglicherweise eine Welle von massenkompatiblen Fun-Splatter-Filmen nach
sich ziehen, markiert nicht den Beginn einer neuen Horror-Welle. Er ist
zugleich Höhe- und leider auch Endpunkt des Genres: Mehr Blut ist
schwerlich möglich und mehr Humor wohl auch nicht. Außerdem zitiert
„Braindead“ – wie das im Horror so üblich ist – so ausführlich aus al…
was ihm vorausgegangen ist, daß er selbst zu einer Bilanz des Genres wird.
Natürlich interessiert hier auch weiterhin die Frage, auf die in einem
solchen Fall immer alles zusteuert, ob nun bei Zensoren, Medien oder dem
gewöhnlichen Publikum: Ist die Gewalt in einem Film, der sich vornehmlich
mit der Darstellung von Gewalt befaßt, nur reiner Selbstzweck oder erfüllt
sie dramaturgisch sinnvolle Aufgaben? Eine Frage, die die FSK immer stellt,
wenn es um Splatter geht. Der Vorwurf „Gewaltverherrlichung“ impliziert die
Vermutung, der Zuseher könnte angeregt werden, es den Helden gleichzutun.
Eine Frage übrigens, die die FSK noch nie gestellt hat, wenn es – sagen wir
mal – um Autoverfolgungsjagden geht. Doch ein Blick auf unsere Straßen läßt
diese These mindestens genauso sinnvoll erscheinen wie die, daß Amokläufer
und ähnlich verheerende Psychopathen ihre Motivation hauptsächlich aus
visuellen Gewaltdarstellungen ziehen.
„Braindead“ wurde zu Recht von den einschlägigen Fanzines in eine Reihe mit
zentralen Monty- Python-Sketchen gestellt. Und tatsächlich ist zum Beispiel
der Schwarze Ritter aus „Die Ritter der Kokosnuß“, der, obwohl ihm bereits
alle Gliedmaßen abgehauen wurden, noch weiterkämpfen will und den
fortreitenden Gegner als Feigling beschimpft, nicht weit entfernt. Monty
Python war trotzdem nie ein ernster Fall für die FSK. Aus dem schlichten
Grunde, daß bei der britischen Comedy-Truppe das Blut fehlte, das in
letzter Konsequenz der schwarzen Scherze eigentlich hätte fließen müssen.
Splatter ist kein Thema in der bürgerlichen Presse oder im Fernsehen. Als
der jahrelange Rechtsstreit um die Freigabe des Klassikers „Evil Dead“
schließlich mit Freispruch endete, beschränkte sich die ausführliche
Berichterstattung einzig auf die juristischen Vorkommnisse und
Konsequenzen. Überall findet sich mehr Platz für den Neuen von Jean- Claude
Van Damme als für ein Genre, um das es zugegebenermaßen nicht zum Besten
bestellt ist, und das sich zudem nahezu ausschließlich auf dem Videomarkt
abspielt. Daß kaum ein Splatter je Bekanntschaft mit der Leinwand schließt,
hat bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts die FSK verhindert. Das
scheint sich jetzt zu ändern, „Braindead“ ist das erste Indiz.
Die freiwilligen Selbstkontrollierer wollten sich allerdings nicht ganz
überflüssig fühlen und haben ungefähr vier Minuten aus der Originalfassung
entfernt, die zwar einige der besten Gags zerstören, den Film aber nur um
Promille im Blutgehalt entschärfen, reine Alibi-Schnitte also. Dabei ist
genau das inzwischen auch völlig egal, denn per Gesetzänderung wurde die
FSK erst kürzlich ihrer wichtigsten Funktion beraubt. Bisher konnte ein
Film, der von der FSK genehmigt und mit einem rating versehen wurde,
ungestraft vertrieben, verliehen und gezeigt werden, auch wenn er
anschließend von der Polizei eingezogen wurde. Wird jetzt eingezogen,
können alle am Geschäft Beteiligten trotz überstandener FSK-Prüfung noch
strafrechtlich belangt werden.
Da die staatlichen Organe in den letzten Jahren auch gegen den halbprivaten
Fan- und Hobbyfilmer-Kreis immer rabiater vorgehen, Heimvideoproduktionen
beschlagnahmen und die Macher solcher Kellerfilme sogar vor Gericht zerren,
andererseits keine angemessene Auseinandersetzung mit dem Genre in den
Medien stattfindet, hat sich natürlich eine umfangreiche Fanzine-Szene
gebildet, die dem Kult das Lesefutter gibt. Wie bei Musik-Fanzines auch,
changiert die Palette zwischen reiner Dorfberichterstattung, möglichst
flapsiger Selbstdistanz und kritischer Analyse. Splatting Image, die wohl
ernstzunehmenste Publikation in diesem Bereich, ordnet „Braindead“ in
seinen filmhistorischen Zusammenhang ein. Auch für sie endet hier der
Splatter, wie er seit gut einem Jahrzehnt kultisch verehrt wurde.
„Braindead“ wird hier zum Wendepunkt, nachdem das Genre der
Kommerzialisierung anheimfällt: „Die Richtung im Zuge immer härter
werdender Zensurmaßnahmen (und das weltweit!) ist voraussehbar: Kiddie-
Horror und Fun-Gore.“
Doch das Beispiel Italien zeigt das Gegenteil. Dort, wo die Brutalisierung
der Leinwand einmal ihren Anfang nahm, läuft inzwischen „Evil Dead“
ungeschnitten im TV, und doch steht die einstmals so produktive
italienische Horrorfilmindustrie fast still. Leute wie Dario Argento drehen
in den USA, andere gar nicht mehr. Wahrscheinlich liegt die Chance für
Splatter doch allein unter der Knute der Zensur.
„Braindead“, Neuseeland 1992, Regie: Peter Jackson, Produzent: Jim Booth,
Drehbuch: Frances Walsh, Stephen Sinclair & Peter Jackson, Kamera: Murray
Milne, Special Effects: Bob McCarron & Richard Taylor, Darsteller: Timothy
Balme, Diana Penalver, Liz Moody, Ian Watkin, Brenda Kendall u.a.
14 Aug 1993
## AUTOREN
thomas winkler
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