# taz.de -- Das deutsche WM-Team: Unsere Internationalmannschaft | |
> Die deutsche Mannschaft, die am Sonntagabend erstmals spielen wird, ist | |
> das Ergebnis einer notwendigen Kulturrevolution - sportlich, politisch | |
> und gesellschaftlich. | |
Bild: Die Generation Multikulti im deutschen Dress. | |
ERASMIA taz | Es war einmal eine deutsche Nationalmannschaft, in der | |
spielten Männer wie Andreas Brehme, Klaus Augenthaler, Lothar Matthäus und | |
Bodo Illgner. Man fürchtete sich in der Welt des Fußballs vor diesen | |
Strategen aus Deutschland, denn es hieß, sie würden rennen bis zum | |
Umfallen, grätschen, bis das Blut spritzt, und kämpfen ohne Pause. Man | |
sprach von den deutschen Tugenden und davon, dass man erst dann sicher sein | |
könne, eine deutsche Mannschaft besiegt zu haben, wenn diese im | |
Mannschaftsbus sitze. | |
Die Furcht vor diesen humorlosen deutschen Männern war berechtigt, zumal | |
sie im Jahr 1990 Weltmeister wurden. Sie waren geboren in Hamburg-Barnbek, | |
Fürstenzell oder Erlangen und ihre Eltern kamen auch aus diesen Ecken. Von | |
der Integration der Einwanderer und deren Nachkommen sprachen in der | |
deutschen Gesellschaft nur wenige und im deutschen Spitzenfußball niemand. | |
Zwanzig Jahre später bietet die Nationalmannschaft ein komplett anderes | |
Bild. Wenn die deutschen Mannschaften bis in die späten 90er Jahre, wie | |
seinerzeit viele kritisierten, ein Ausdruck des Unwillens der deutschen | |
Gesellschaft zur Integration der Einwanderer waren, so ist das Team von | |
Bundestrainer Joachim Löw das Gegenteil: Aus den 23 Spielern seines | |
WM-Kaders ließe sich eine ganze Elf aufstellen, die auf eine | |
Familiengeschichte der Zuwanderung verweisen kann. | |
Sie haben alle einen deutschen Pass, aber ihre Eltern oder gar Großeltern | |
stammen aus der Türkei, Ghana, Nigeria, Polen, Brasilien, Bosnien und | |
Tunesien. Sie heißen Dennis Aogo, Mesut Özil, Sami Khedira, Jerome Boateng | |
oder Marko Marin. Der Deutsche Fußball-Bund hat mit den Eltern dieser | |
Spieler vor zwei Jahren einen Fernsehspot gedreht, der verdeutlichen | |
sollte, dass sich auch im einst trägen und selbstgenügsamen Fußballverband | |
einiges geändert hat, dass die Zeiten der Reformverweigerung endlich vorbei | |
sind und solche Figuren wie der ehemalige Verbandschef Gerhard | |
Mayer-Vorfelder längst vergessen: | |
Eine Frau mit Kopftuch erscheint in Begleitung ihres Mannes zum Grillfest, | |
herzlich empfangen wird sie von einem Schwarzen. Auf dem Grill liegen | |
Kevapcici. Man spricht Türkisch, Russisch, Serbokroatisch - und Deutsch. | |
"Was haben all diese Menschen gemeinsam?", fragt eine Stimme aus dem Off: | |
"Ihre Kinder spielen in der deutschen Fußballnationalmannschaft." Der Spot | |
schließt mit dem Slogan: "DFB - mas integración". Der Fußballbund wirbt für | |
sich als gesellschaftliche Kraft, die Gemeinschaft stiftet. Und ruft die | |
Einwanderer, auch die mittlere und ältere Generation dazu auf, sich zu | |
Deutschland zu bekennen. Denn auch das hat sich geändert: Diese Jungs | |
dürfen nicht nur für Deutschland spielen. Sie wollen es auch. | |
So ist bereits von einer deutschen "Internationalmannschaft" die Rede. Per | |
Mertesacker, der großgewachsene, blonde Innenverteidiger, spricht von einer | |
"Internationalisierung der Nationalmannschaft", anderswo ist von der | |
"Generation M" zu lesen, der Generation Multikulti. Man sucht nach | |
Zuschreibungen, um den Wandel, der noch vor zehn, 15 Jahren undenkbar | |
schien, zu fassen. Damals gurkten deutsche Auswahlmannschaften eher | |
schlecht als recht herum, die Weltmeister von 1990 waren müde, Talente | |
kamen nicht nach. Doch erst nach der Viertelfinalniederlage bei der | |
Weltmeisterschaft 1998 gegen Kroatien und dem blamablen Ausscheiden in der | |
Vorrunde der EM 2000 wurde im DFB ernsthaft über Veränderungen nachgedacht. | |
Vieles in der Nachwuchsförderung wurde professioneller: die | |
Trainingszentren der Bundesligisten, die Coaches, die Eliteschulen des | |
Fußballs, die Sichtung von jungen Dribbelkünstlern. Im Netz, das über die | |
Fußballrepublik gespannt wurde, verfingen sie sich, die Kinder von | |
Zuwanderern. Die Herkunft war egal, wichtig war einfach nur die Liebe zum | |
Leder. Der deutsche Fußball sollte von allen gerettet werden, nicht mehr | |
nur von den Nachkommen Brehmes und Augenthalers. | |
Der Trainer der Weltmeister von 1990, Franz Beckenbauer findet den | |
Jugendstil, die neue Epoche im DFB, ganz gut. Doch er mäkelt auch herum an | |
den internationalen Junggardisten. Dass Khedira und Co. die deutsche | |
Nationalhymne nicht mitsingen, sei nicht so schön, "aber gut, das ist ihre | |
Sache, ich habe so was zur Einstimmung aufs Spiel immer gebraucht". | |
Im DFB kümmerte sich Matthias Sammer um die Frischzellenkur. Und nach ein | |
paar Jahren war es so weit: Der deutsche Nachwuchs konnte international | |
wieder mithalten. Und nicht nur das: Er gewann sogar Titel. Die | |
Mannschaften der unter 17-Jährigen wurde Europameister, die U19- und | |
U21-Auswahl auch. Es waren Spieler wie Khedira und Özil, Marin und die | |
Boatengs, die das möglich machten. Sie pfiffen auf das Erbe der Weltmeister | |
von 1990, denn sie wollten nicht nur mit den sprichwörtlichen deutschen | |
Tugenden zum Sieg kommen, sondern mit spielerischer Klasse, mit technischer | |
Raffinesse. Leichtigkeit sollte über das Hölzerne obsiegen. | |
Diese Kulturrevolution haben sie bis hinein ins aktuelle Nationalteam | |
getragen. "Wir haben jetzt Spieler, die nicht typisch deutsch sind", sagt | |
Kapitän Philipp Lahm. "Wir wollen nicht verwalten, wir wollen nach vorne | |
spielen, wir wollen die Gegner spielerisch in Verlegenheit bringen", sagt | |
Löw vor dem ersten Spiel gegen Australien. Er hätte auch sagen können: Wir | |
wollen nicht mehr deutsch spielen. | |
12 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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