# taz.de -- Das Verstecken der Liebe | |
> GEDENKTAFEL Über das Schicksal von lesbischen Frauen in der Zeit des | |
> Nationalsozialismus ist erstaunlich wenig bekannt. Ein Workshop in der | |
> Gedenkstätte Ravensbrück arbeitete jetzt an der Form des Erinnerns | |
VON ANNA POLONYI | |
1986 schrieben einige Frauen ins Besucherbuch des Konzentrationslagers | |
Ravensbrück: „Wir gedenken des Leidens der Opfer des Faschismus, | |
insbesondere der homosexuellen Frauen.“ Wegen dieses Eintrags wurde das | |
Besucherbuch von der Leitung der Gedenkstätte damals entfernt. Erst jetzt, | |
Jahrzehnte später, lud die gleiche Gedenkstätte zu einem Workshop über | |
Lesben im Nationalsozialismus ein. | |
Die erneute Suche nach Zeichen des Gedenkens begann in der Uckermark. | |
Eigentlich wollte der dortige Verband für die Integration von Schwulen und | |
Lesben, UMqueer, nichts Kompliziertes: eine Gedenktafel für die | |
homosexuellen Opfer der Nationalsozialisten im Konzentrationslager | |
Ravensbrück aufhängen. Aber der Begriff „homosexuelle Opfer“ gefiel dem | |
Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) nicht, zwei getrennte | |
Tafeln sollte es sein. Schwule Männer und lesbische Frauen hätten | |
schließlich sehr unterschiedliche Erfahrungen in der Nazizeit gemacht. | |
So ist bis jetzt zwar eine Gedenktafel für homosexuelle Männer konzipiert | |
und bestellt, die am 22. April, dem Tag der Befreiung, eingeweiht werden | |
wird, aber für die Erinnerung an die verfolgten Lesben gibt es nicht mal | |
ein Konzept. | |
## Inoffiziell verfolgt | |
Es ist erstaunlich wenig über das Schicksal von lesbischen Frauen im | |
Nationalsozialismus bekannt. Im Gegensatz zur homosexuellen Männern waren | |
lesbische Frauen nicht offiziell strafbar, aber auch sie litten unter | |
Einschüchterungen und inoffiziellen Verfolgungen. Die lesbische Subkultur | |
war nach 1933 quasi vernichtet, die Frauen führten ein verschwiegenes | |
Doppelleben, oft mit Scheinehen. Nach 1937 war die Polizei ermächtigt, auch | |
nicht straffällige Personen zu verhaften, und Lesben kamen ins | |
Konzentrationslager. | |
„Dennoch bildeten sie keine eigene Haftgruppe, sondern wurden wie zum | |
Beispiel „Asoziale“ eingeordnet,“ erklärt Historikerin Claudia Schoppman… | |
die sich seit langem mit diesem Thema auseinandersetzt. In der Lagersprache | |
war die Bezeichnung „LL,“ für „lesbische Liebe“, bekannt und Grund für | |
Verhöhnung unter den Häftlingen. „Etwa ein Duzent Frauen sind bekannt,“ | |
erklärt Schoppmann, „bei denen das Lesbischsein explizit der ursprüngliche | |
Grund für ihre Inhaftierung war.“ Eine dieser Frauen war Henny Schermann | |
(1912–1942), die 1940 in das Konzentrationslager Ravensbrück kam und vom | |
dortigen Arzt als „triebhafte Lesbierin“ beschrieben wurde. | |
Das Tabu der weiblichen Homosexualität während der Nazizeit und auch noch | |
darüber hinaus erschwert die Forschung über diese Gruppe. Historiker müssen | |
sich überwiegend auf Zeugnisse von Überlebenden berufen, aber die | |
homophoben Brillen der Zeugen in diesen Berichten machten die | |
Rekonstruktion der realen Geschichte oft sehr rudimentär, sagt Insa | |
Eschebach. Sie ist heute die Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte | |
Ravensbrück. | |
„Entsprechende Projekte werden immer noch von der Forschungsförderung | |
ausgeschlossen und meist von homosexuellen Wissenschaftlern initiiert“, | |
erzählt Eschebach. „Die Subkulturalisierung des Forschungsgebiet dauert bis | |
heute an.“ Sie hat ein Buch zu dem Thema herausgegeben, „Homophobie und | |
Devianz: weibliche und männliche Homosexualität im Nationalsozialismus“, | |
das am 8. März im Schwulen Museum vorgestellt wird. | |
## Mangelnde Sichtbarkeit | |
Die mangelnde Sichtbarkeit ist nicht nur für die Forschung problematisch, | |
sondern auch für das Erinnern. Annette Chalut, Überlebende der | |
Konzentrationslager Ravensbrück und Bergen-Belsen, ist heute Präsidentin | |
des Internationalen Ravensbrück-Komitees. Sie bemerkte, dass es zwar in | |
Ravensbrück „so etwas“ gegeben habe, aber ob die betreffenden Frauen damit | |
einverstanden wären, dass man ihnen heute eine Gedenktafel widmet, würde | |
sie bezweifeln. | |
Deshalb fällt die Konzeption der Gedenktafel zu schwer. Darf das Wort | |
„Lesbe“ im Text benutzt werden, wenn die Opfer diese Bezeichnung gar nicht | |
benutzten hätten? Und schließlich gab es Lesben unter den Aufseherinnen in | |
Ravensbrück. Daher kommen Satzvorschläge wie: „Den lesbischen Frauen aller | |
Haftgruppen des Konzentrationslagers Ravensbrück und den Frauen, die Frauen | |
liebten.“ Die beiden Verbände UMqueer und LSVD werden die Vorschläge | |
gemeinsam weiter bearbeiten und die Tafel finanzieren. Ihr Streit liegt | |
zurück, jetzt ziehen beide an einem Strang. | |
„Für die Männertafel ist das Geld schon da, für Frauen wird noch das Geld | |
gesammelt“, erklärt Christian Hartphiel von UMqueer den aktuellen Stand der | |
Dinge. „Wie immer“, murmeln einige Frauen im Saal. | |
■ Buchvorstellung am 8. März im Schwulen Museum, 19 Uhr: „Homophobie und | |
Devianz: weibliche und männliche Homosexualität im Nationalsozialismus“, | |
hrsg. von Insa Eschebach, Metropol, 2012 | |
28 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
ANNA POLONYI | |
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