# taz.de -- Das Netz der Nazis | |
> RECHTSEXTREME Seit Jahren drangsaliert er die Stadt: der „Nationale | |
> Widerstand Berlin“. Wer steckt dahinter? Eine Spurensuche | |
VON KONRAD LITSCHKO | |
Am Brandenburger Tor sind sie wieder dabei. Schwarze Windbreaker, Jeans, | |
die Kapuzen und Mützen tief ins Gesicht gezogen. Acht Jungmänner mit | |
grimmigen Mienen. Einer umklammert einen eingerollten Regenschirm. Es sieht | |
nicht nach Regen aus. Aber mit dem Schirm ließe sich auch ausholen. | |
Die acht Männer spielen an diesem Samstag Bewacher. Ein Dutzend NPDler hat | |
sich auf dem Platz des 18. März postiert, um gegen Asylbewerber zu hetzen. | |
Von „Sozialschmarotzern“ spricht der junge Landeschef Sebastian Schmidtke. | |
Den Flüchtlingen auf der anderen Seite des Tors wünscht er lächelnd | |
„munteres Hungern“. Dann geht er rüber zu den Jungs mit den schwarzen | |
Jacken, plaudert, scherzt. | |
Die Schwarzgekleideten dürften zum „Nationalen Widerstand Berlin“ gehören, | |
kurz „NW“. Seit ihrem Auftauchen 2005 hat sich die Gruppe zur führenden | |
rechtsextremen Organisation der Stadt entwickelt. Keine terrorisiert die | |
BerlinerInnen mehr. | |
Erst vor einigen Wochen tauchte das Kürzel wieder neben | |
Hakenkreuzschmierereien auf: an Parteizentralen von SPD und Linken, in | |
Spandau und Tegel, am Haus der linken Jugendorganisation „Falken“ in Britz | |
und auch hinter der Stadtgrenze, am Flüchtlingsheim in Waßmannsdorf. Dort | |
hinterließen die Täter den Schriftzug „Rostock ist überall“ und warfen | |
Scheiben ein. | |
Da war die Debatte wieder da, von der Opposition bis hinein in die SPD: | |
Kann man diesen „NW Berlin“ nicht verbieten? Eine Gruppe, deren | |
Sympathisanten sich so sicher fühlen, dass sie ihre Angriffe offensiv mit | |
ihrem Label „signieren“? | |
Das Problem: Die Gruppe agiert im Verborgenen. Es gibt keinen Sprecher, | |
kein Gesicht. NPD-Chef Schmidtke behauptet, es gebe gar keine „NW“-Gruppe: | |
„Ich kenne nur eine Homepage mit diesem Namen.“ | |
## „Fester Gruppenkern“ | |
Auch Berlins Verfassungsschutz spricht von einer „fiktiven Bezeichnung“, | |
deren sich die Neonaziszene bediene. Das sieht Bianca Klose von der Mobilen | |
Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) anders: Es gebe sehr wohl einen | |
festen Gruppenkern von 10 bis 15 Neonazis. Und der sei „längst | |
verbotsreif“. | |
Wer sich auf die Suche nach diesem Kern begibt, landet in der Lichtenberger | |
Lückstraße. Schmucklose Wohnhäuser, schmale Bürgersteige, ein kleiner Park. | |
Mittendrin, in einem früheren Gardinengeschäft, mietete sich im März 2011 | |
ein Verein mit freundlichem Namen ein: „Sozial engagiert in Berlin e. V.“ | |
In der achtseitigen Satzung heißt es, man wolle junge Erwachsene „fördern�… | |
durch Veranstaltungen „aller Art“. | |
Ein junges Pärchen stellte sich dem Vermieter vor, erzählte von einer | |
„selbst verwalteten Begegnungsstätte“. Monate später, als Männer | |
rollenweise NPD-Plakate ins Haus schleppten, dämmerte dem Eigentümer, an | |
wen er da vermietete. Er kündigte. Das Landgericht hielt das Mitte Oktober | |
für nicht zulässig, jetzt läuft die Berufung. | |
Die Neonazis treffen sich derweil weiter. Nachbarn berichten davon, dass | |
schon mal „Sieg Heil“-Rufe aus den Räumen dringen. Einige rufen dann die | |
Polizei, die meisten haben nur Angst. Normalerweise, sagen sie, sei es ein | |
gutes Dutzend Neonazis, die sich in dem Laden treffen, oft freitags. Einmal | |
wuchs die Gruppe auf rund 50 an – es war der 20. April, „Führers | |
Geburtstag“. | |
## Vernagelte Fenster | |
Auch die Antifa hat den Laden entdeckt. Am heutigen Samstag will sie mit | |
ihrer Silvio-Meier-Demonstration dort vorbeiziehen (s. Grafik). Schon vor | |
Monaten tünchte sie die Fassade des Treffs mit schwarzer Farbe. Die Rechten | |
vernagelten daraufhin die Fenster mit Metallplatten. | |
Was dahinter geschieht, ist auf der Internetseite des „NW Berlin“ zu lesen: | |
Schulungen über „Gefallene der Bewegung“ oder „politische Gefangene“. … | |
Vorträgen, die auch in der NPD-Zentrale in Köpenick oder der Neonazi-Kneipe | |
„Zum Henker“ in Schöneweide stattfinden, wurde schon mal ein SS-Veteran | |
geladen. Auch die Texte des „NW“ scheuen keine NS-Nähe: Homosexuelle werden | |
als „krank“ und „asozial“ verunglimpft, Zuwanderer als „Krebsgeschwü… | |
„Rassenkampf“ ist die Rede und vom „Würgegriff der Juden“. | |
Vor anderthalb Jahren, im Mai 2011, trat die Neonazigruppe auch an die | |
Öffentlichkeit: Sie mobilisierte 100 Unterstützer zu einer „Ausländer | |
raus“-Demonstration am Mehringdamm, mitten in Kreuzberg. Auch hier: | |
schwarze Kapuzen und Basecaps, Sonnenbrillen – eine bewusste Anlehnung an | |
den Schwarzen Block linker Autonomer. Als die Neonazis mit Sitzblockaden | |
umzingelt wurden, rannte die Demospitze auf die Gegendemonstranten zu, | |
schlug und trat auf vier am Boden Sitzende ein. | |
Gewalt, die nicht unerwartet kam. Bereits vor einem Jahr berichtete der „NW | |
Berlin“ von einem Treffen „50 nationaler Sozialisten“ in einem Waldgebiet | |
am Stadtrand, um sich „für den Ernstfall körperlich zu ertüchtigen“. Im | |
Internet führt die Gruppe eine Feindesliste: Mehr als hundert Politiker, | |
Journalisten und Antifa-Aktivisten sind dort aufgeführt, teils mit Foto und | |
Adresse. Als diesen im Frühjahr 2011 auf der Seite ein „Strick um den Hals“ | |
versprochen wurde, kam die Seite auf den Index und verschwand aus den | |
meisten deutschsprachigen Suchmaschinen. Weil der Server in den USA steht, | |
ist sie aber weiter abrufbar. | |
Es bleibt nicht bei Drohungen. Im Internet brüstet sich die Gruppe damit, | |
einem „Kinderschänder“ in Lichtenberg die Scheiben eingeworfen zu haben. Im | |
selben Bezirk wurden einer türkischen Bäckerei Plakate an die Schaufenster | |
geleimt: „Deutsche kauft bei Deutschen“. Neonazigegnern wurden Steine in | |
die Fenster geworfen. Als im Juni 2011 mehrere NPD-Politiker von | |
Unbekannten verprügelt werden, hieß es kurz darauf in einem internen | |
„NW“-Verteiler: „Brecht den roten Terror! Linke Lokalitäten sind auf der | |
Berliner Widerstandsseite zu finden. Bewegt euren Arsch.“ In der Nacht | |
darauf wurden Brandsätze vor fünf linke Hausprojekte gelegt. | |
Die Täter hat die Polizei bis heute nicht ermittelt. Gegen zwölf der | |
Schläger vom Mehringdamm aber wurde gerade Anklage erhoben. Fünf davon sind | |
Berliner, alle aus dem „NW“-Umfeld. | |
## Hakenkreuz überm Sofa | |
Einer davon: Sebastian Z. Der Mechatroniker wohnt mit seiner Freundin, | |
Stefanie P., in Lichtenberg, gleich um die Ecke der Lückstraße: Es ist das | |
Pärchen, das den Laden als Treffpunkt anmietete. Zwei unscheinbare | |
Mittzwanziger, seit Jahren fester Teil in der rechten Szene. Sie hängen | |
nachts Plakate auf, fotografieren bei Aufmärschen Gegendemonstranten. Nach | |
Informationen der taz hängt eine Hakenkreuzfahne über ihrer | |
Wohnzimmercouch. | |
Neben Sebastian Z. und Stefanie P. stehen weitere sechs Namen auf der | |
Mitgliederliste des Lückstraßen-Tarnvereins „Sozial engagiert in Berlin“. | |
Seit Jahren sind die acht auf rechten Demos zu sehen – in schwarzen | |
Kapuzenjacken, hinter Transparenten des „NW Berlin“. | |
An der Vereinsspitze steht ein junger NPD-Mann: Sebastian Thom. Auch er ein | |
Mittzwanziger, gelernter Gärtner, kurze Haare, dezente Brille. Offiziell | |
will er ebenfalls nichts mit dem „NW“ zu tun haben. Aber noch im März trug | |
er auf einer Demonstration ein schwarzes „NW“-Banner. Kurz zuvor hatte die | |
Polizei seine Wohnung durchsucht, weil er rechte Parolen gesprüht und Fotos | |
davon auf die „NW“-Homepage gestellt haben soll. | |
Auch NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke traf die Razzia. Von der Polizei | |
wird er schon länger verdächtigt, die Internetseite des „NW“ zu betreiben. | |
Die enge Verknüpfung der Gruppe mit der NPD ist kein Zufall. In der Szene | |
geben die Jungnazis längst den Ton an – und seit Schmidtke im Februar den | |
NPD-Landesvorsitz eroberte, auch in der Partei. | |
Schon vor Jahren organisierte Schmidtke Demonstrationen für ein „nationales | |
Jugendzentrum“. Jahrelang stand er als Verantwortlicher auf Flugblättern | |
des „NW Berlin“. Rief man früher die Kontaktnummer auf der Website an, | |
meldete sich der 27-Jährige. Für diesen Samstag hat Schmidtke einen | |
NPD-Aufmarsch in Rudow angemeldet. Der Aufruf steht auch auf der | |
„NW“-Seite. | |
Dass Schmidtke bestreitet, etwas mit dem „NW Berlin“ zu tun zu haben, ist | |
die übliche Strategie. Auch die einst in Berlin führende „Kameradschaft | |
Tor“ behauptete stets, nur eine „Diskutier- und Selbsthilfevereinigung“ zu | |
sein. Es half ihr nichts: 2005 wurde sie verboten. Es war das Jahr, in dem | |
der „NW Berlin“ erstmals auftauchte. Wenig überraschend, dass sich die | |
Gruppen in ihrer Ästhetik ähneln: Etliche „Tor“-Mitglieder sollen ihren W… | |
zum „NW“ gefunden haben. | |
Bei der Berliner Polizei ermittelt inzwischen ein eigenes, neunköpfiges | |
Kommissariat fast nur noch zum „NW Berlin“. Wegen der Homepage, wegen der | |
Anschläge. Er sehe ja den öffentlichen Druck, sagt Staatsschutz-Chef Oliver | |
Stepien. „Aber wir müssen rechtssicher ermitteln, wenn am Ende einer | |
verurteilt werden soll.“ Und es sei schwer nachzuweisen, ob sich eine Runde | |
nur so treffe oder Kriminelles plane. „Die Neonazis suchen sich ja bewusst | |
eine lose Struktur. Sonst müssten wir nicht lange über ein Verbot reden.“ | |
## Massenweise Datenpakete | |
Von „operativen Maßnahmen“, mit denen dem „NW“ nachgespürt werde, spr… | |
die Polizei. Im Frühjahr stellte Berlin ein Rechtshilfeersuchen an die USA, | |
um den Server der „NW“-Seite auszulesen. Die Amerikaner lieferten: | |
Datenpakete massenweise. „Ein Riesenaufwand“, stöhnt Stepien. Dazu komme, | |
dass immer mehr beschlagnahmte Rechner verschlüsselt seien. Dennoch, so der | |
Staatsschutz-Chef, die Ermittlungen gegen den „NW Berlin“ liefen „mit | |
Priorisierung“. Auch Innensenator Frank Henkel (CDU) verspricht, nach den | |
Anschlägen und Drohungen „alles zu tun, um die Verantwortlichen zu | |
ermitteln“. Von einem Verbot spricht er nicht. | |
Aber es gibt sie doch, die Köpfe hinter dem „NW Berlin“. In | |
Nordrhein-Westfalen gelang es im August, eine nicht nur namensähnliche | |
Struktur zu verbieten: den „NW Dortmund“. Auch diese Neonazis organisierten | |
sich lose, teils konspirativ – und sie unterhielten regen Kontakt zum | |
Berliner „NW“. „Verbreitung nationalsozialistischer Grundideen“, lastet | |
ihnen die Verbotsverfügung an, ein „Klima der Gewaltbereitschaft“, offene | |
Gewalt, Vorträge zu „arischer Rassekunde“. 62 Neonazis werden | |
identifiziert, sechs Anführer und ein Treffpunkt. Einen eingetragenen | |
Verein gibt es nicht. Dennoch sah das Innenministerium eine „in sich | |
geschlossene Vereinigung“ mit „einheitlichem Auftreten“ und „organisier… | |
Willensbildung“. Das genügte zum Verbot. | |
Die Ideologie, die Gewalt, die „geschlossene“ Gemeinschaft – all das gilt | |
auch für den „NW Berlin“. Hier gibt es sogar einen Verein – laut Satzung | |
mit einem Monatsbeitrag von 2 Euro. Nicht zufällig flogen in Lichtenberg | |
Farbbeutel auf ein SPD-Büro, als in NRW die Verbotsverfügung zugestellt | |
war. „Rache für NW Do“, hinterließen die Täter an der Wand. | |
Dennoch scheinen die Zeichen verstanden worden zu sein. In der Lückstraße, | |
so berichten Nachbarn, seien die Neonazis zuletzt nur noch selten gewesen. | |
Vielleicht eine Vorsichtsmaßnahme. Es gibt Hinweise, dass sie sich nun | |
öfter in Südneukölln versammeln. An einem Ort, den die Antifa noch nicht | |
kennt. | |
24 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
KONRAD LITSCHKO | |
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