# taz.de -- Das Montagsinterview: "Ich kam mit 80 Mark in der Tasche" | |
> Der Biologe Garabed Antranikian hat sich vom Flüchtlingskind in Jordanien | |
> in die Wissenschafts-Elite hochgearbeitet; im April wird er Präsident der | |
> TU Harburg. | |
Bild: Lebendiges Beispiel: Garabed Antranikian ist armenischer Deutscher aus Jo… | |
taz: Herr Antranikian, kochen Wissenschaftler anders? | |
Garabed Antranikian: Wahrscheinlich. Im Labor sind wir gewohnt, sehr | |
präzise zu arbeiten und alles genau abzuwiegen. Diese Präzision plus die | |
Kreativität der Wissenschaftler prägt einen ganz eigenen Kochstil. | |
Darum Ihr Kochbuch "Science meets Cooking"? | |
Irgendwann habe ich festgestellt, dass viele Wissenschaftler so wie ich | |
gerne kochen und auf Kongressen Rezepte austauschen. Besonders die | |
Italiener. Da hatte ich die Idee, diese Menschen und ihre Rezepte in einem | |
Buch zusammenzubringen. | |
Was kochen Sie am liebsten? | |
Armenische und orientalische Gerichte, die ich aus meiner Kindheit und | |
Jugendzeit kenne. Durch meine Reisen nach Japan habe ich auch die | |
asiatische Küche für mich entdeckt. | |
Haben Sie überhaupt Zeit zum Kochen? | |
Man muss sich die Zeit nehmen, am Wochenende zum Beispiel. Ich habe auch | |
gemerkt, dass man durch Kochen Menschen besser kennenlernen kann. Wenn ich | |
Wissenschaftler aus anderen Ländern zu Gast habe, dann kochen wir oft | |
zusammen. | |
Kann man Küchenabfälle in der Biotechnologie verwenden? | |
Im Prinzip schon. Ein Stück Kuchen, das nicht gegessen wird, enthält zum | |
Beispiel Stärke, und die ist ein hochwertiger Grundstoff in der | |
Biotechnologie. Für die Biotechnologie sind Stoffe, die in der Natur | |
gebildet werden, wie Stärke, Cellulose oder Holz, sehr bedeutsam. Aus ihnen | |
kann man chemische Grundstoffe gewinnen - und Energie. | |
Sie gelten als Pionier der "weißen Biotechnologie". Was ist das? | |
Darunter ist der Einsatz von Biokatalysatoren, also biologischen Systemen | |
wie Bakterien, Hefezellen oder Enzymen, zur Herstellung industrieller | |
Produkte zu verstehen. Das heißt, ich brauche keine chemischen | |
Katalysatoren sondern kann durch Biologie Reaktionen beschleunigen. Viele | |
dieser Biokatalysatoren nutzen wir schon heute im Alltag. | |
Und was machen die? | |
Sie können zum Beispiel Stärke in ein Vitamin oder Medikament umwandeln. | |
Früher brauchte man dafür harte Chemie. Mit der Biologie kann man aber oft | |
genauer und damit umweltfreundlicher und nachhaltiger arbeiten. Das | |
Ausgangsmaterial ist dabei häufig Biomasse. Sie kann Erdöl ersetzen. Ein | |
Beispiel aus dem Alltag sind Waschmittel: Da können Enzyme helfen, | |
waschaktive Chemikalien zu reduzieren und Energie zu sparen, weil man bei | |
niedrigen Temperaturen waschen kann. | |
Arbeiten Sie für die Zeit nach dem Erdöl? | |
Ja, es wird eine Post-Erdöl-Ära geben. Keiner weiß wann genau das Erdöl zur | |
Neige gehen wird, aber fest steht: es ist eine endliche Ressource. Daher | |
werden biomassebasierte Technologien zukünftig eine große Rolle spielen. | |
Was passiert mit den mehr als 100 Patenten, die Sie entwickelt haben? | |
Sie ermöglichen der Industrie, neue Prozesse zu entwickeln und die teuren | |
Entwicklungen auch wirtschaftlich zu nutzen. Nicht alle Patente werden | |
kommerziell verwertet, aber wenn, dann erhalten die Hochschulen einen | |
Anteil aus den Erlösen. | |
Ist das noch unabhängige Wissenschaft, wenn Sie so eng mit der Industrie | |
kooperieren? | |
Die Unabhängigkeit ist nicht in Gefahr. Die Zusammenarbeit mit der | |
Industrie schafft oft sogar finanzielle Freiräume, um auch mal richtig | |
verrückte Sachen auszuprobieren und Grundlagen zu erforschen. Angewandte | |
Forschung bedeutet aber auch, dass die Gesellschaft die Ergebnisse unserer | |
Forschung nutzen kann. Immerhin sind es vorwiegend Steuern, aus denen sie | |
finanziert wird. | |
Was wollen Sie als Präsident der TU Hamburg-Harburg erreichen? | |
Ich will, dass wir ein neues Wir-Gefühl schaffen, dass die Studierenden | |
sich mit der Universität verbunden fühlen. Und ich will die Methoden der | |
Lehre ändern: Es soll weniger Frontalvorlesungen geben. Dafür soll das | |
interaktive und lösungsbasierte Lernen gefördert werden. | |
Stehen Sie für den Internationalisierungskurs der TU? | |
Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig es ist, dass man sich anderen | |
Menschen und Kulturen gegenüber öffnet. Wir haben rund 70.000 offene | |
Stellen für Ingenieure. Diese Lücke müssen wir schließen, auch dadurch, | |
dass wir kluge Menschen nach Deutschland bringen. | |
Sie wurden als Kind armenischer Flüchtlinge in Jordanien geboren. Wie lebte | |
es sich dort damals, als Nicht-Araber? | |
Das war überhaupt kein Problem. Die Armenier sind dort zwar eine | |
Minderheit, aber eine respektierte. Armenier sind als sehr tüchtige und | |
loyale Menschen bekannt, die sich nicht in die Politik einmischen. Sie sind | |
in arabischen Ländern deshalb allgemein beliebt. | |
Anders als in der Türkei … | |
Mein Vater stammte aus Sivas in der Türkei und hat als einziger aus seiner | |
Familie den Völkermord überlebt. | |
Warum sind Sie nach dem Abitur in den Libanon gegangen? | |
Ich wollte studieren. Die einzige Universität, die in der Region wirklich | |
gut war, war die Amerikanische Universität in Beirut. Dort habe ich dann | |
meinen Masterabschluss gemacht. Danach wollte ich noch promovieren - | |
eigentlich in den USA. | |
Und wie sind Sie dann in Deutschland gelandet? | |
Das war Zufall. 1976 herrschte im Libanon Bürgerkrieg. Um in den USA zu | |
studieren, brauchte ich ein Visum. Die amerikanische Botschaft lag etwa | |
1.000 Meter vom Campus entfernt. Ich habe drei Mal versucht, diesen Weg zu | |
gehen. Er lag aber unter ständigem Beschuss. Da habe ich gedacht: Es lohnt | |
sich nicht zu sterben, nur um in den USA zu studieren. Sicherer lag die | |
deutsche Botschaft. Ich bin dann dort hingegangen und habe das Visum für | |
Deutschland erhalten, mit dem Ziel von dort aus nach Amerika zu gehen. | |
Sie sind aber in Deutschland geblieben. | |
Ja. Ich habe eine gute Stelle als Doktorand in Göttingen bekommen und habe | |
mich so wohl gefühlt, dass ich blieb. | |
Wurde Ihr Abschluss damals anerkannt? | |
Ja, das war gar kein Problem. Schwieriger war es eher, im Libanon mein | |
Abschlusszeugnis zu bekommen. Einen Tag vor meiner Abreise hatte ich es | |
immer noch nicht in der Hand. Da habe ich gedacht: Ich muss die Sache | |
irgendwie beschleunigen. So habe ich sechs Gurken gekauft und bin zur | |
Verwaltung gegangen. Für die sechs Gurken bekam ich dann mein | |
Masterzeugnis. | |
Heute müssen viele Migranten unqualifizierte Jobs ausüben, weil ihr | |
ausländisches Diplom nicht anerkannt wird. | |
Die Vergleichbarkeit von Abschlüssen und damit deren Anerkennung wird durch | |
die Umstellung auf das Bachelor- und Mastersystem in Zukunft leichter. | |
Natürlich kann es nicht angehen, dass hoch qualifizierte Menschen ihre | |
Potenziale nicht in die Gesellschaft einbringen können. Es ist traurig, | |
wenn tolle Physiker und Mathematiker ihren Lebensunterhalt als Taxifahrer | |
verdienen müssen. | |
Stammen Sie aus einer Akademikerfamilie? | |
Nein. Mein Vater war Polsterer, meine Mutter Näherin. Aber ich wollte | |
unbedingt studieren. Wahrscheinlich weil ich ahnte wie es für mich ausgeht, | |
wenn ich nicht studiere. Wir lebten in einem kleinen Ort, wo nicht viel los | |
war und es keine großen Perspektiven gab. Da wollte ich immer raus. Einfach | |
war das aber nicht, weil ein Studium extrem teuer war und wir kein Geld | |
hatten. | |
Wie haben Sie das Studium finanziert? | |
Ich erhielt ein Stipendium. Das reichte aber nicht. So musste ich an der | |
Universität nachts Telefondienst machen. Zusätzlich habe ich meinen reichen | |
Mitstudenten Nachhilfe gegeben. Im ersten Jahr habe ich Tag und Nacht | |
gearbeitet. | |
Wie standen Ihre Eltern dazu? | |
Sie haben mir das Wenige gegeben, was sie gespart hatten. Mehr konnten sie | |
nicht machen. Ich war dauernd damit beschäftigt, Geld zu suchen. Das war | |
immer ein Kampf. Ich habe es aber irgendwie hingekriegt. | |
Kann so ein Aufstieg durch Bildung jedem gelingen? | |
Ja natürlich. Ich habe es geschafft, warum sollten es andere nicht | |
schaffen? Als ich nach Deutschland kam, hatte ich 80 Mark in der Tasche. | |
Heute bin ich der designierte Präsident der TUHH. Ich bin ein lebendiges | |
Beispiel für Aufstieg durch Bildung - und für Integration. Natürlich findet | |
auch Diskriminierung statt. Aber Deutschland ist insgesamt ein offenes | |
Land. Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, dass ich eine Stelle nicht | |
bekomme, weil ich Ausländer bin. Ich war mir aber auch bewusst, dass ich | |
als Ausländer vielleicht einen Tick mehr leisten muss, um aufzufallen. | |
Dann kann man seine Herkunft abschütteln? | |
Warum sollte man seine Herkunft abschütteln? Man kann doch zu seinen | |
Wurzeln stehen und sich trotzdem integrieren. Die Leute dürfen nicht | |
denken: Ich bin Migrant, ich schaffe es eh nicht, deswegen versuche ich es | |
erst gar nicht. Das ist nicht die richtige Einstellung. Jeder kann etwas | |
erreichen, wenn er sich bemüht. Wichtig ist, dass man sich als Ausländer | |
integriert und die Sprache lernt. Die Deutschen wiederum müssen die | |
Ausländer als Bereicherung sehen und nicht als Last. | |
27 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Hasmik Episkoposian | |
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