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# taz.de -- Das Glück des Sisyphos
> ■ Zum 80. Geburtstag des "Panzerkreuzers" Volksbühne am
> Rosa-Luxemburg-Platz: Der Kritiker Ernst Schumacher und Dramaturg Carl
> Georg Hegemann im Gespräch
Die Volksbühne am Rosa- Luxemburg-Platz (früher: Bülowplatz) wird am 30.
Dezember 80 Jahre alt. Sie war die erste eigene Spielstätte einer
sozialdemokratisch bis sozialistisch orientierten Besucherorganisation. Bei
der Eröffnung des Hauses 1914 gab es trotz Konflikten wenigstens eine klare
Zielsetzung: die Volksbühne sollte ein „Theater für alle“ sein und damit
das noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts vorherrschende bürgerliche
Bildungsmonopol überwinden helfen. Der Theaterhistoriker und -kritiker
Ernst Schumacher hält derzeit, im 14tägigen Zyklus, eine Vortragsreihe über
die Politik und Ästhetik in den verschiedenen Epochen der Volksbühne. Mit
ihm und dem Dramaturgen der Volksbühne Carl Georg Hegemann sprach Karin
Jansen über die jüngere Geschichte und Gegenwart des Hauses.
taz: Während des Nationalsozialismus wurde die aus der sozialdemokratischen
Arbeiterbewegung entstandene Volksbühne zum Reichstheater. Offenbar ging
das so schleichend vor sich, daß es in der Fortführung der eigentlichen
Theaterarbeit gar keinen radikalen Bruch gab.
Schumacher: Der Übergang war in der Tat schleichend. Heinz Hilpert, seit
1932 Intendant der Volksbühne, blieb bis 1934 im Amt. Hatte er vor 1933 die
Volksbühne zunehmend „entpolitisiert“, stand er nun wenigstens für „gut…
Theater“. Der Nazifizierung der Volksbühnenorganisation arbeitete der
früher sozialdemokratisch tendierte Vorstand zu, der das „Führerprinzip“ …
Leitung und Struktur anerkannte. Er brauchte von Goebbels schließlich nur
noch ersetzt zu werden. Zur Liquidierung des Vereins selbst im März 1939
trug der seit 1937 eingesetzte Intendant Eugen Klöpfer bei. Die Überführung
in ein „Reichstheater“ wurde durch die Reichszuschüsse gerechtfertigt. Auch
bei der Nazifizierung des Spielplans ging es schleichend zu. Die
Nazidramatik war ja unbefriedigend, deswegen blieb es bei den Klassikern,
nur wurden sie eben „völkisch“ interpretiert. Es blieb auch bei
„Volksstücken“, nur daß sie ohne Sozialkritik auszukommen hatten.
Die Volksbühne wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Versuchte man nach
1945, an alte Traditionen der zwanziger Jahre anzuschließen?
Schumacher: Weder die 1947 zuerst im Ostsektor, noch die separat im Westen
gegründete Volksbühnenorganisation konnte unmittelbar an solche Traditionen
anschließen. Auch im Osten ließ sich „politisches Theater“ in der Art
Piscators nicht einfach wiederholen. Theater für die Volksbühnenmitglieder
hier hatte ab 1949 das Theater am Schiffbauerdamm zu machen. Sein Intendant
war Fritz Wisten, der „komödiantisches Theater“ machen wollte.
Als er und sein Ensemble die wiederaufgebaute Volksbühne am
Rosa-Luxemburg-Platz 1954 übernehmen konnten, gab es die Volksbühne als
Besucherorganisation in Ost-Berlin und der DDR nicht mehr, weil alle
Theater ja Volkseigentum geworden waren. Wisten folgte der offiziellen
Kulturpolitik und spielte besonders Klassiker, weil die die Einheit der
„Kulturnation“ symbolisierten. Aber in dem Maße, wie die deutschen
Teilstaaten auseinanderdrifteten, erledigte sich diese Schwerpunktsetzung.
Der Durchbruch zu einem neuen sozialistischen Zeitstück gelang erst mit der
Inszenierung von „Moritz Tassow“ von Peter Hacks im Jahr 1965. Die
Aufführung wurde zwar politisch kritisiert, aber sie war der Beginn der
künstlerischen Erneuerung der Volksbühne im Sinne eines neuen
Volkstheaters. Ihr künstlerischer Initiator war Benno Besson, der von
Brecht herkam.
Wie konnten sich die neuen künstlerischen Strömungen an der Volksbühne
unter Besson durchsetzen?
Schumacher: Ihre Frage unterstellt, daß alles, was an Kulturpolitik in der
DDR gemacht worden ist, negativ zu bewerten sei und daß es den Künstlern
nur darum gehen konnte, diese falsche Kulturpolitik zu korrigieren, zu
unterlaufen. Aber das ist ja nicht die Wahrheit. Die Wahrheit ist, daß es
natürlich in der Kulturpolitik auch eine Richtung gegeben hat, die durchaus
sah, daß Dramatik nur lebendig sein kann, wenn sie auf Konfrontation
beruht.
Benno Besson hat damals, in den Sechzigern, wiederholt erklärt: Wenn man
heute das europäische Theater anblickt, dann können wir mit gutem Gewissen
und ruhigem Gemüt sagen, daß wir das beste Theater in Europa machen, und
das ist nicht zufällig. Das hängt zusammen mit der gesellschaftlichen
Ordnung, das hängt zusammen mit der Befreiung von Abhängigkeiten, wie sie
die Klassengesellschaft in der alten Form nie freisetzen kann. Das war eine
Auffassung von Benno Besson, die keine Gefälligkeitserklärung gegenüber der
SED gewesen ist, sondern das war seine Grundüberzeugung. Und wo es Leute
gegeben hat, die etwas durchsetzen wollten, konnten die auch etwas machen.
Unter großen Schwierigkeiten zum Teil, aber oftmals auch in völligem
Einverständnis.
Benno Besson wollte auf der einen Seite ein im Brechtschen
Verfremdungssinne geprägtes Theater. Zumindest was den schauspielerischen,
den musikalischen Ausdruck betrifft. Und er hat gleichzeitig versucht, den
engen Realismusbegriff, wie er für die Tradition der Volksbühne
charakteristisch gewesen ist, nicht nur mit Hilfe von Brecht zu
durchbrechen, sondern auch mit der Adaption von Spielweisen, die in diesem
Lande ziemlich unbekannt gewesen sind. Er hat die Commedia dell'arte wieder
neuzubeleben versucht.
Viele Leute um Besson, schließlich er selbst, haben nach der Ausweisung
Wolf Biermanns 1976 ebenfalls die DDR verlassen. Gab es denn an der
Volksbühne dann noch vor der Wende eine entscheidende Entwicklung?
Schumacher: Es gab eine Periode der Stagnation in diesen achtziger Jahren,
in der zwar nach wie vor anständiges Theater gemacht worden ist, aber es
war nur noch sozusagen exzeptionell durch Spitzenleistungen geprägt. Und
wenn man hier von den exzeptionellen Leistungen in den achtziger Jahren
spricht, muß man ohne Zweifel das Verdienst von Fritz Rödel, dem Nachfolger
von Besson sehen, daß er Heiner Müller Gelegenheit gegeben hat, hier tätig
zu werden. Die Macbeth-Inszenierung von 1982 war eine große künstlerische
Provokation. Das war eine neue Sicht auf Shakespeare, die in den besten
Traditionen des Zerbrechens von alten Formen stand. Und Rödel ist darüber
hinaus zugute zu halten, daß er 1988 erstmals Frank Castorf in Berlin
inszenieren ließ, und zwar „Das trunkene Schiff“.
Diese Macbeth-Inszenierung hatte ja damals eine ästhetische
Grundsatzdebatte im Verband der Theaterschaffenden ausgelöst, wo Sie sich
als Kritiker eindeutig und nachdrücklich für das ästhetische Experiment auf
dem Theater ausgesprochen haben.
Schumacher: Theater muß nicht bloß Abbild sein, Theater muß auch Sinnbild
sein, Theater muß etwas schaffen, was einer neuen Realität gleichkommt,
damit man die Realität, wie sie ist, durchschaut. Brecht hat mal den
Ausdruck gebraucht: Man muß die Dinge hinter den Dingen sehen und
offenbaren. Und das ist mit der Art und Weise, wie Müller hier operiert
hat, gemacht worden. Wenn dahinter eine blutige, böse Wirklichkeit zum
Vorschein kommt, so hat Müller natürlich den Weltzustand trefflicher ins
Sinnbild erhoben als es uns, den gläubigen Marxisten, damals lieb sein
konnte, die immer in dem Bewußtsein gelebt haben, es sind alles
Übergangserscheinungen, die Welt ist veränderbar.
Frank Castorf hat hier seit dem Neubeginn vor zwei Jahren ein neues
Theaterverständnis praktiziert und das nicht nur im Stile seines Rufes als
sogenannter „Stückezertrümmerer“. Hier findet auch Auseinandersetzung mit
der deutschen Geschichte statt.
Schumacher: Castorf erklärte: Ich mache weiterhin politisches Theater. Das
war in den Jahren 1991/92 gar nicht so opportun. Und diese Erklärung stellt
doch eine Orientierung für die gesamte Arbeit dar. Natürlich ist das nicht
mehr das politische Theater eines Erwin Piscator, das darauf zugeschnitten
war, Massen von Zuschauern zum politischen Handeln im unmittelbaren Sinn zu
veranlassen. Aber es ist im Geiste natürlich mit diesem politischen Theater
insofern verbunden, als immer noch angestrebt wird, aktiv zu
interpretieren. Und insofern betrachte ich das, was seitdem hier geschehen
ist, als eine ganz wichtige Fortsetzung der Volksbühnentradition.
Ich glaube aber, daß das, was Castorf gemacht hat, einem Ende entgegengeht.
Ich meine damit, der Dekonstruktivismus hat einen Sinn gehabt. Es galt,
auch weiterhin mit tradierten Ausdrucksformen zu brechen. Aber es erhebt
sich natürlich immer mehr die Frage, weil die gesellschaftliche Realität
diese Fragen aufwirft: Welche Antwort gibt denn das Theater in Bezug auf
die anstehenden Probleme?
Ein Beispiel war für mich die Inszenierung „Der gute Mensch von Sezuan“, wo
draußen die Behelfsübernachtungsverschläge der Obdachlosen aufgebaut waren
und auf der Bühne überhaupt nichts davon zu spüren gewesen ist. Es war eine
absolute ästhetische Gegenwelt zur Realwelt. Was die Volksbühne in der
nächsten Zeit leisten müßte, ist: die ästhetische Welt in eine Beziehung
stimulierender Art zur Realwelt zu bringen.
Diese Inszenierung ist das einzige Brecht-Stück, das Besson an der
Volksbühne inszenieren durfte, und das auch jetzt in der Inszenierung von
Andreas Kriegenbrug zu sehen war. Im Programmheft der Volksbühne schreibt
Carl Georg Hegemann: „Als Benno Besson das Stück inszenierte, beschrieb er
es als den Weg einer ,großen, klugen Frau aus dem Volke‘, die durch die
Verhältnisse gezwungen im Verbrechen landet. Heute glauben wir zu wissen,
daß die Verbrechen der guten Shen Te, die sich bei Bedarf in den eiskalten
Shui Ta verwandelt, ein unvermeidlicher Kernbestand dieser Gesellschaft
sind, zu dem es keine Alternative gibt.“
Hegemann: Ernst Schumacher möchte, daß das Theater Antworten gibt. Wir
wissen keine Antworten, genausowenig wie Schumacher und unser Publikum.
Natürlich denken wir darüber nach, wie man aus der Scheiße rauskommen kann,
ohne den Willen dazu kann man gar nicht leben. Aber die Antwort dazu kann
unser Theater nicht liefern, kein Theater der Welt. Die Antwort läßt sich
bündig, glaube ich, überhaupt nicht liefern, außer man läßt sich auf
irgendein vereinfachtes Denkmodell ein, das aber praktisch angewandt sofort
zu neuen ausweglosen Problemen führt. Ich finde es nicht verwunderlich, daß
mit der ersten Blüte der westlichen Zivilisation in Griechenland
gleichzeitig auch die Tragödie erfunden wurde, die von der Erfahrung lebt,
daß der Versuch, ein Unglück zu vermeiden, dieses oder ein anderes,
schlimmeres, gerade herbeiführt.
Das Komische ist, daß diese Fatalität, wenn man sie sich im Theater in
ihrer kompletten Ausweglosigkeit vor Augen hält, gerade nicht zu
Verzweiflung führt, sondern befreiend und aktivierend wirkt. Es muß da so
etwas wie einen kreativen Sprung geben. Peter Stein hat so ähnlich mal
Katharsis erklärt. An der Volksbühne macht zur Zeit ein Satz wie der von
Camus, „Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen“ mehr
Freude und Mut als jede on stage verkündete Antwort auf die Weltprobleme.
Das Elend der Obdachlosen auch hier auf der Bühne spürbar werden zu lassen,
wie Schumacher vorschlägt, halte ich für eine sentimentale und überflüssige
Verdoppelung. Kriegenburgs Sezuan-Inszenierung ist viel analytischer, sie
zeigt zum Beispiel, daß der gute Mensch Shen Te seine Moral genauso
gewinnbringend im Konkurrenzkampf einbringen kann wie der böse Shui Ta
seine Konsequenz und Brutalität.
Auch das Theater ist kein Platz außerhalb von Marktzwängen, wir sind keine
besseren Menschen, jeder muß sehen, wie er an seine Kohle kommt, und kann
sich dem Wettbewerb um Marktpositionen bei Strafe des Untergangs nicht
entziehen. Daß wir das im Theater sarkastisch und selbstironisch
reflektieren und damit spielen, macht die Situation erträglicher.
Schumacher: Natürlich, die alten Vorstellungen, wie die Welt verändert
werden könne, der Glaube, daß das in einer Spirale nach oben geht, all die
marxistische deterministische Philosophie ist durch die Wirklichkeit, wenn
man sie kurzfristig historisch sieht, ja absolut in Frage gestellt. Aber
wenn man sie unter einem größeren, sozusagen beinahe sub specie
aeternitatis betrachtet, dann kann man mit dieser Haltung nicht zufrieden
sein. Dann muß man fragen: Kann man diese Widerspiegelung, die im Grunde ja
eine passive Widerspiegelung ist, auch wenn sie sich aktivistisch gibt, als
der Weisheit letzten Schluß für eine Volksbühnenarbeit ansehen? Wenn die
Gegensätze in der Gesellschaft weiter zunehmen, wird diese Art von Theater
nicht mehr ausreichen.
Hegemann:Dann wird es das Theater wahrscheinlich nicht mehr geben, oder
allenfalls eins, das nur noch Komödien spielt und für zwei Stunden heile
Welt vorgaukelt. Das Theater ist ein Indikator: Je konstruktiver es sich
gibt oder geben muß, desto kaputter ist die Gesellschaft.
2 Dec 1994
## AUTOREN
Karin Jansen
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