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# taz.de -- Das Ende der Machtmütter
> VATERLAND Wurde das nicht längst Zeit? Unverheiratete Väter bekommen
> jetzt ganz leicht das Sorgerecht für ihr Kind. Das klingt
> fortschrittlich. Aber ist es das auch? Wie ein Gesetz ganze
> Familienstrukturen verändern könnte
AUS BERLIN UND SPEYER HEIDE OESTREICH UND SIMONE SCHMOLLACK ILLUSTRATION
DIETER JÜDT
Und dann streiten sie irgendwann wegen einer rosa Strumpfhose. Markus
findet es unmöglich, dass seine Tochter damit herumläuft. Die Mutter hat
sie in diesem Aufzug bei ihm abgeliefert. Er kauft eine neue Hose, eine
blaue – und stellt sie seiner Exfrau Lena in Rechnung. Aber Lena zahlt
nicht. Gegen eine rosa Strumpfhose sei schließlich nichts einzuwenden,
findet sie. Markus verklagt die Frau, mit der er viele Jahre zusammengelebt
hat, auf die Rückerstattung von 8,99 Euro.
Lena und Markus treffen sich häufig in Berliner Gerichtssälen: Sie sind
nicht verheiratet und seit drei Jahren getrennt. Ihre Geschichte wollen sie
erst nach langem Zögern und nur getrennt voneinander erzählen. Eine ihrer
Bedingungen ist: Sie möchten nicht mit ihrem richtigen Namen genannt
werden. Lena und Markus, wie sie hier also heißen, haben beide das
Sorgerecht für die zwei gemeinsamen Kinder. Sowenig sie sich auch
verstehen, müssen sie immer zusammen entscheiden, wenn es um den neun Jahre
alten Sohn und die sechs Jahre alte Tochter geht. So schreibt es das Gesetz
vor.
## Soll die Tochter auf die teure Privatschule?
Erst neulich wieder: Die Tochter soll im Sommer in die erste Klasse kommen.
Aber in welche Schule? In die städtische im Kiez, die das Amt vorschreibt?
Oder in die Privatschule, die jeden Monat 400 Euro kostet? „Ich will, dass
sie in die kommunale Schule geht, dort ist auch schon unser Sohn“, sagt
Lena. „Die Privatschule ist besser“, sagt Markus, „dort lernt sie
wenigstens was.“ Der Ton in Markus’ Stimme ist charmant, aber bestimmt. Man
kann sich vorstellen, wie hart und streng er sein kann, wenn er etwas will.
Aber er kann nicht allein entscheiden. Den Schein für die Einschulung
müssen er und Lena zusammen unterschreiben.
So wie Markus und Lena sich bekriegen, könnten das bald noch mehr Paare
tun. Denn die gemeinsame Sorge für getrennte Paare soll in Zukunft der
Normalfall sein. So will es die Regierung. Am 19. Mai wird die Neuregelung
des Sorgerechts unverheirateter Paare in Kraft treten. Mütter haben nun
kein Vetorecht mehr, wenn ihre Exfreunde bei den Entscheidungen zum
Sorgerecht mitreden wollen. Bisher konnten die Mütter Partnern, mit denen
sie nicht verheiratet sind, das Sorgerecht verweigern.
Man ging davon aus, dass die Mutter schon weiß, was gut für das Kind sei.
Das ist einmal durchaus progressiv gewesen. Für uneheliche Kinder war zuvor
jahrzehntelang ein gesetzlicher Vormund zuständig gewesen. Die Mutter war
nur die alltägliche Betreuungsperson. Erst 1970 bekam die Mutter die
Alleinsorge. Getrennt lebende ledige Väter konnten das Sorgerecht nur
bekommen, wenn die Mutter einverstanden war. Die Väter sollten so einen
Anreiz haben, die Mutter des Kindes zu heiraten.
Mit dem neuen Sorgerecht müssen die unverheirateten Eltern zusammen
bestimmen, wie das Kind heißt, ob es getauft werden soll oder nicht, wo es
wohnt und ob es ein Konto haben darf. Wenn man so will, ist damit das kurze
Matriarchat im Familienrecht zu Ende gegangen. Das Vetorecht, die
Sonderstellung der Mutter, damit ist es vorbei. In Zukunft kann der Vater
die gemeinsame Sorge beim Familiengericht beantragen. Die Mutter kann
innerhalb von sechs Wochen widersprechen. Aber sie muss triftige Gründe
haben: Das Kindeswohl müsste durch die gemeinsame Sorge gefährdet sein.
Dann beugen sich Richter über Schriftsätze und lesen beispielsweise, dass
der Vater verspricht, sich intensiv um sein Kind zu kümmern. Oder dass er
dafür extra in die Nähe seines Kindes gezogen ist. Dass er schon ein Zimmer
eingerichtet hat. Die Mutter entgegnet dem vielleicht, dass sie und der
Vater nie eine richtige Beziehung hatten und dass sich die Mutter deshalb
nicht vorstellen kann, mit ihm gemeinsam das Kind großzuziehen. Das wird
vielen Richtern reichen für ihre Entscheidung. So steht das auch im Gesetz.
Das Gericht muss die Eltern nicht persönlich anhören. Vereinfachtes
Verfahren nennt sich das.
Es wirkt wie ein Fortschritt. Der alte Spruch „Das Kind gehört zur Mutter“
wird auf den Boden neuer Tatsachen geholt: Das Kind hat Anspruch auf beide
Eltern. Damit reagiert die Politik auch auf eine gesellschaftliche
Entwicklung: Es gibt immer mehr Väter, die sich kümmern und bereit sind,
Verantwortung zu übernehmen, die auch nach einer Trennung pragmatische
Lösungen finden wollen. Viele dieser Väter wollten noch mehr tun für ihr
Kind, sie durften aber bei den großen Fragen nicht mitentscheiden. Sie
wurden ausgeschlossen, obwohl sie doch so gerne mitgemischt hätten bei
zentralen Dingen der Kindererziehung. Für sie ist die neue
Sorgerechtsregelung eine Chance.
Doch das Gesetz hat auch etwas Altbackenes: Kindern, die glücklich mit
einem neuen sozialen Vater, in einer großen Wohngemeinschaft oder mit zwei
Müttern aufwachsen, bekommt im Zweifel nun plötzlich auch noch einen Vater
– den biologischen. Kann das gut gehen? Ist die biologische Abstammung
wichtiger als die soziale Vaterschaft?
Wozu das neue Recht führen könnte, sieht man bei Lena und Markus. Lena, 39,
und Markus, 42, leben im alten Westberlin, nur ein paar Ecken voneinander
entfernt. Opulente Gründerzeithäuser, Cafés mit leiser Musik, ein großer
Park mit zwei Kinderspielplätzen. Sie sind Akademiker mit guten Jobs. Lena
ist eine kleine Frau mit einer hellen Stimme. Sie trägt gern auffälligen
Schmuck und Kleidung, die sie im Ökokatalog bestellt. Auch Markus achtet
darauf, wie er wirkt. Auf dem Spielplatz sieht man ihn manchmal im Anzug.
Ihre Liebe zu besonderen Dingen hat sie mal miteinander verbunden. Aber
wenn sie sich jetzt zufällig auf der Straße treffen, nicken sie sich nur
kurz zu, manchmal laufen sie absichtlich aneinander vorbei. Sie würden sich
gern meiden. Aber das geht nicht. Denn da sind ja noch die zwei Kinder.
Bis vor drei Jahren waren die vier eine glückliche Familie. Hochzeit muss
nicht sein, wir brauchen dieses antiquierte Versprechen nicht, hatten sie
gesagt. Aber unsere Kinder sollen wissen, dass wir zusammen gehören. Lena
und Markus beantragten das gemeinsame Sorgerecht. Ein Schritt, den beide
heute bereuen. Jetzt beansprucht jeder die Kinder für sich allein. Er hat
mit dem Kleinkrieg angefangen, sagt sie, ich musste mich wehren. Jetzt
betreibt jeder der beiden sein irrationales Spiel.
In solchen zerbrochenen Familien geht es oft um Macht, auch bei Lena und
Markus. Das Verhältnis ist vergiftet, nicht nur durch die gegenseitige
Enttäuschung nach einer Trennung, sondern auch, weil tradierte Rollenbilder
verschwimmen, weil dadurch eine neue Unsicherheit entsteht. Väter hatten
jahrhundertelang das Recht, über die wichtigen Fragen in der Familie zu
bestimmen. Der „Stichentscheid“, das Letztentscheidungsrecht des Vaters in
allen Familienangelegenheiten, wurde im Westen der Republik erst 1959
abgeschafft.
In den Familien aber galt das Machtwort des Vaters lange weiter. Es
geistert immer noch in den Köpfen herum: Der Vater steht für die Macht.
Wird sie ihm genommen, reagiert er nicht selten gereizt. Müttern dagegen
blieb die alltägliche Macht über die Kinder. Für so manche Mutter war das
alte Sorgerecht sehr bequem, weil Väter auf Distanz gehalten werden
konnten. Jetzt, wo sich das alles verschiebt, tragen beide Seiten ein
schweres machtpolitisches Erbe: der Vater die Demütigung, nicht mehr
Patriarch zu sein, die Mutter den Verlust, im Alltag nicht mehr allein über
die Kinder bestimmen zu dürfen.
Es gibt zwei Lobbyverbände, die um die Zukunft des Sorgerechts ringen. Der
Verband alleinerziehender Mütter und Väter, kurz VaMV, vertritt eher die
Mütter, der Väteraufbruch für Kinder, der VafK, eher die Väter. Ein
bisschen geht es zwischen beiden Verbänden zu wie zwischen Lena und Markus.
Edith Schwab, eine große, kräftige Frau mit blonden Locken, macht sich für
die Mütter stark. Die Lobbyistin sitzt in ihrem Anwaltsbüro in Speyer und
klingt wie immer sehr bestimmt. Das nüchterne Büro sieht fast aus wie eine
Arztpraxis, es liegt in der Innenstadt. Durch Speyer bewegt sich Schwab in
einem Jaguar. Sie lebt auch getrennt. Aber mit dem Vater ihres Sohnes gab
es nie Probleme, sagt sie. Der Sohn studiert jetzt in Australien.
Edith Schwab will auch aktive Väter. Aber sie will keine Vereinfachung auf
Kosten des Kindes. „Wir begrüßen es natürlich, wenn Väter sich stärker in
der Familie engagieren wollen. Immerhin sind 90 Prozent der
Alleinerziehenden Mütter“, sagt sie. „Aber wir sind dagegen, dass für eine
sehr kleine Menge von streitigen Fällen ein Gesetz gemacht wird, das völlig
außerhalb der bewährten aktuellen Regelungen steht.“ Sie sagt das auf allen
Kanälen, auch in der Bundestagsanhörung zum Thema hat sie gesprochen. Sie
hat am Ende das Gefühl, nicht durchgedrungen zu sein. Ihre Gegner vom
Väteraufbruch dagegen klagen, Schwab beherrsche die Szene und habe die
Medienhoheit.
2010 bekam Schwab das Bundesverdienstkreuz. Der Väteraufbruch schrieb einen
merkwürdigen Brief an den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff.
Darin forderte der Verband, Schwab das Kreuz nicht zu verleihen: Deren
„militanter Verband“ unterstütze die „feudale Herrschaftsentfaltung von
Müttern“, hieß es in dem Schreiben. Schwabs Lebenswerk beruhe auf der
„angestrebten psychischen, physischen und wirtschaftlichen Vernichtung von
Vätern“.
Im Netz warnen die Männerrechtler vor Schwab, unter anderem verkläre sie
die alleinerziehende Mutter zur Heldin, „gleich der deutschen Mutter im
nationalsozialistischen Ideal“.
Edith Schwab zieht angesichts solcher Vorwürfe ihre rechte Augenbraue hoch:
„Das ist Quatsch, ich persönlich bin völlig ideologiefrei. Diese Leute
können eine fundierte sachliche Argumentation nicht ertragen, also
versuchen sie es mit übler Nachrede. Aber was kümmert es eine Eiche, wenn
die Sau sich an ihr reibt?“
## Die demokratische Familie ist historisch recht neu
Schwab findet, dass ein Gericht genau prüfen soll, was dieses gemeinsame
Sorgerecht für das Kind bedeuten könnte. Also kein vereinfachtes Verfahren,
bloß mit Schriftsätzen. Stattdessen eine sorgfältige Ermittlung mit
Anhörung der Mutter, des Vaters, Verwandter und Bekannter, und
selbstverständlich auch des Kindes selbst, falls das Kind alt genug ist.
Aber all das sieht das Gesetz nicht vor. Schwabs Einwände blieben ungehört.
Eine demokratische Familie, so wie sie dem Gesetzgeber vorschwebt, ist
historisch gesehen recht neu. Ein frisch getrenntes Paar aber, das mit viel
Hass auf seine gemeinsame Vergangenheit schaut, kann schwer vernünftige
demokratische Kompromisse finden. Gerade wenn darunter noch ein ganz
anderer Konflikt liegt, weil Mütter und Väter an den letzten verbliebenen
Zipfeln ihrer Macht mit aller Kraft festzuhalten versuchen. In ihrer
jeweiligen Rolle.
Lena und Markus streiten sich darüber, wie hoch das Taschengeld für die
Kinder sein soll, ob der Sohn mit dem Tretroller in die Kita fahren und ob
die Tochter ins gechlorte Schwimmbad gehen darf. Es geht um die Frage, ob
die Kinder bei Fieber Medikamente bekommen sollen oder Wadenwickel. Ob der
Klavierunterricht fünfzig oder besser nur vierzig Minuten dauern sollte.
Sie verhandeln und verfluchen sich, sie bitten Mediatoren und
Familientherapeuten um Hilfe. Sie lassen psychologische Gutachten erstellen
und ihre Anwälte feilschen wie auf dem Basar. Sie haben den anderen zur
eigenen Obsession gemacht. Da bleibt kaum Platz für Freunde, neue Partner
oder Müßiggang.
Mehr als ein Jahr haben sich Lena und Markus darüber gestritten, wo die
Kinder wohnen sollen. Markus wollte, dass sie regelmäßig wechseln: Zwei
Wochen sollten sie bei ihm sein, danach zwei Wochen bei der Mutter. „Das
ist gerecht“, findet er.
Lena lehnte das natürlich ab, die Kinder bräuchten einen klaren
Lebensmittelpunkt, „sonst kommen sie nie zur Ruhe“.
Das Gericht legte einen Kompromiss fest: Neun Tage sind die Kinder bei der
Mutter und fünf Tage beim Vater. Die Ferien werden geteilt, ebenso
Weihnachten, Ostern, Pfingsten. Markus und Lena führen das alte
machtpolitische Stück auf: In Markus‘ Geschichte ist Lena eine „neurotische
Kuh“, die die Kinder „am liebsten für sich allein hätte“ und es gern s�…
„wenn ich an den Nordpol verschwände, aber jeden Monat jede Menge Unterhalt
abdrücke“. In Lenas Version geht es Markus kaum um die Kinder, sondern
vielmehr um Einfluss – auf die Kinder und seine frühere Lebensgefährtin.
Lena sagt: „Am liebsten würde er alles allein bestimmen.“ Was die Kinder
essen, ob sie Fernsehen dürfen, wo sie ihre Ferien verbringen. Jetzt müssen
das Lena und Markus zusammen entscheiden. Was sie nicht können.
In der mütterlichen Haltung scheint der deutsche Muttermythos auf. Ist es
gerecht, wenn ein Vater überall mitentscheiden darf, obwohl es doch meist
die Mutter ist, die das Kind jeden Tag betreut und die es anfangs immer
versorgt, im Bauch und in den ersten paar Monaten?
Die Väter wiederum wollen nicht nur um der Mitbestimmung willen mitreden.
Längst möchten sich viele nicht mehr nur am Wochenende um ihre Kinder
kümmern. Die Vaterrolle wandelt sich. Da will jemand also neuer Vater
werden – da ist es doch eigentlich logisch, dass das Gesetz ihm dabei
hilft. Oder?
Die Gesellschaft verständigt sich seit Jahren darüber, dass es nicht
weitergehen kann wie in den Fünfzigern. Dass das Ernährungsmonopol des
Vaters und das Erziehungsmonopol der Mutter Ideale aus einer vergangenen
Zeit sind. Jetzt muss sie ein neues Modell finden.
Dass die Eltern in diesen Fragen zusammengeschweißt sind, haben Väter
durchgesetzt: Sie klagten bis zum Verfassungsgericht und zum Europäischen
Menschenrechtsgerichtshof. Und die Gerichte urteilten: Dem Vater stehen
mehr Rechte zu. Was die Gerichte aber nicht vorschrieben, ist das
„vereinfachte Verfahren“. Das hat das Justizministerium in den
Gesetzentwurf geschrieben. Eine Erleichterung für die Väter, ein Teilsieg
also der Väterlobby.
## Der Väteraufbruch will jetzt kooperieren
Die Väterrechtler, die sich oft diskriminiert fühlen, haben offenbar mehr
Einfluss, als sie selbst glauben. Rainer Sonnenberger ist ein ruhiger Mann,
Ingenieur. Er ist keiner, der wütende Kommentare in Internetforen hackt.
Und weit entfernt von dem Schauspieler Mathieu Carrière, der sich 2006 für
den Väteraufbruch mediengerecht vorm Justizministerium halbnackt an ein
Kreuz binden ließ, um den „Krieg gegen die Väter“ anzuprangern.
Sonnenberger ist Mitte 40, mittelgroß, hat braunes kurzes Haar und ein
jungenhaftes Gesicht. Über seine eigene Trennungsgeschichte will er nicht
reden. Aber es gibt darin drei Kinder und einen Vater, der pendelt, um sie
zu sehen. Sonnenberger engagiert sich im Väteraufbruch, dem VafK.
Der Väteraufbruch hat seine Strategie geändert – und Sonnenberger ist der
Repräsentant dafür: „Wir haben jetzt eine Basis an Leuten, die mit ihren
persönlichen Geschichten schon lange durch sind. Wir wollen kooperieren,“
erklärt er beim Treffen in einer alten Berliner Kneipe. Er trinkt einen
Kaffee und formuliert vorsichtig. Sein Verein ist seit Neuestem Mitglied im
Bundesforum Männer, eine Organisation, die eher profeministisch
ausgerichtet ist.
Sonnenberger war sogar im Beirat für eine groß angelegte Sorgerechtsstudie
des Justizministeriums. Die hat ergeben, dass das gemeinsame Sorgerecht
durchaus dazu beiträgt, dass Eltern miteinander kooperieren und dadurch dem
Kind Trennungsschäden ersparen. Die Untersuchung zeigt aber auch, dass
gleiches Recht für Mutter und Vater kontraproduktiv sein kann, wenn die
Verständigung zwischen ihnen nicht klappt.
Für viele Eltern ist die demokratische Familie inzwischen eine
Selbstverständlichkeit. Ein Drittel aller Kinder wird heute geboren, ohne
dass die Eltern verheiratet sind. 62 Prozent beantragen kurz vor oder nach
der Geburt das gemeinsame Sorgerecht. Viele andere wollen die gemeinsame
Sorge erst gar nicht. Und dann gibt es da auch noch sie: Väter, die gegen
den Willen der Mutter mitentscheiden wollen. Paare, denen es so gehen
könnte wie Lena und Markus.
Befriedet das neue Sorgerecht die Väterrechtler? Bringt es das Ende der
Wutväter?
Der Väteraufbruch hat noch offene Wünsche: „Wir wollen die gemeinsame Sorge
ab der Geburt, zusammen mit der Vaterschaftsanerkennung“, sagt Rainer
Sonnenberger. Er ist sicher, dass die jetzige Regelung wieder vor Gericht
landen wird. „In den ersten sechs Wochen entscheidet die Mutter so viel, da
wollen wir ein Mitspracherecht haben.“ Der Name des Kindes, die Religion,
eine eventuelle Beschneidung, frühe Operationen, all das können die Väter
immer noch nicht mitbestimmen.
Der entscheidende Unterschied zwischen der Mütter- und der Väterlobby
besteht in einer Art „Naturrecht“, wie es Juristen nennen würden.
Familienanwältin Schwab nennt es „Biologismus“: Ist es gut, wenn der
biologische Vater immer im Leben des Kindes präsent ist? „Diesen
Biologismus meinten wir eigentlich überwunden zu haben“, sagt Schwab. In
extremen Fällen könnte dann irgendeine Affäre vor der Tür stehen und sich
als Vater präsentieren, als biologischer. Problematisch wäre es, wenn das
Kind in einer Familie mit einem neuen sozialen Vater lebt, der vielleicht
sogar die Vaterschaft anerkannt hat.
Rainer Sonnenberger sieht das ganz gelassen: „Das Kind hat dann eben zwei
Väter.“ Zwei Väter – das kann sich auch Schwab gerade noch vorstellen. Ab…
ein zweiter Vater mit Sorgerecht? Der eine andere Schule möchte? Eine
Alternativtherapie bei einer Krankheit? Der die Familie am Umzug hindern
kann, weil er dann reisen müsste, um sein Kind zu sehen? Der könnte den
Familienfrieden der sozialen Familie erheblich stören.
## Plötzlich verschwimmen die alten Feindbilder
„Bisher schützt die Verfassung die soziale Familie“, sagt Schwab. Nun aber
soll die biologische Abstammung Vorrang vor dem Familienfrieden haben. „Das
ist neu“, sagt sie. Zuletzt sei die biologische Abstammung bei den Nazis so
wichtig gewesen. Sie provoziert bewusst.
Der Väteraufbruch wiederum nimmt nun auch Mütter auf. „Da kamen drei Mütter
in unsere Gruppe, denen wurde der Umgang mit ihren Kindern vom Vater
vorenthalten“, sagt Sonnenberger: „Dass das auch Frauen passieren kann,
hatte keiner von uns auf dem Schirm.“ Plötzlich sind die Feindbilder im
Geschlechterkampf nicht mehr so klar wie vorher.
Schwab verweist auf die Studie des Justizministeriums zur gemeinsamen
Sorge. Die Forscher schreiben: „Eine generelle Zuweisung des gemeinsamen
Sorgerechts auch für getrennt lebende Elternpaare oder Eltern, die keine
gemeinsame Partnerschaft haben, erscheint (…) weniger empfehlenswert.“ Hat
der Gesetzgeber das genügend berücksichtigt? Oder war er fahrlässig?
Getrennt lebende Eltern, die mit der gesetzlich auferlegten
Einigungspflicht nicht klarkommen, sind keine Einzelfälle. Der
demokratische Lernauftrag „Wir sollten alles gemeinsam entscheiden können“,
bleibt für manche Paare reine Utopie.
Das Ende der Machtmütter wird dann in vielen Fällen wohl nicht zu den
gewünschten gleichberechtigten Entscheidungen führen, sondern vor allem die
Gerichte beschäftigen.
Wolfgang Schwackenberg vom Deutschen Anwaltsverein plädiert daher dafür,
die gemeinsame Sorge auch wieder rückgängig machen zu können. Das ist
bislang nur in Ausnahmefällen möglich. Das neue Gesetz werde, vermutet er,
die Justiz zusätzlich belasten und nicht, wie vorgesehen, entlasten. Mütter
werden Vätern bescheinigen, sie hätten keine Ahnung. Väter werden Müttern
unlautere Motive nachweisen. Man kann nur hoffen, dass die Gerichte ihre
Arbeit ordentlich machen.
Lena und Markus haben es nicht geschafft. Sie streiten immer noch. Und die
Kinder?
„Gut tut ihnen das alles sicher nicht“, räumt Markus ein: „Mein Sohn nä…
jetzt nachts ein.“ Auch Lena glaubt, dass die beiden leiden. „Unsere
Tochter reißt sich die Haut von den Fußsohlen.“ Manchmal würden sie einfach
nur schreien, wenn sie vom Vater kommen.
Die Kinder gehen jetzt zu einer Therapeutin.
■ Heide Oestreich, 44, und Simone Schmollack, 48, sind taz-Redakteurinnen
für Geschlechterpolitik. Die eine hat kein Kind, die andere eines – aber
glücklicherweise keinen Trennungsstress
4 May 2013
## AUTOREN
HEIDE OESTREICH / SIMONE SCHMOLLACK
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