# taz.de -- Das Ende der Machtmütter | |
> VATERLAND Wurde das nicht längst Zeit? Unverheiratete Väter bekommen | |
> jetzt ganz leicht das Sorgerecht für ihr Kind. Das klingt | |
> fortschrittlich. Aber ist es das auch? Wie ein Gesetz ganze | |
> Familienstrukturen verändern könnte | |
AUS BERLIN UND SPEYER HEIDE OESTREICH UND SIMONE SCHMOLLACK ILLUSTRATION | |
DIETER JÜDT | |
Und dann streiten sie irgendwann wegen einer rosa Strumpfhose. Markus | |
findet es unmöglich, dass seine Tochter damit herumläuft. Die Mutter hat | |
sie in diesem Aufzug bei ihm abgeliefert. Er kauft eine neue Hose, eine | |
blaue – und stellt sie seiner Exfrau Lena in Rechnung. Aber Lena zahlt | |
nicht. Gegen eine rosa Strumpfhose sei schließlich nichts einzuwenden, | |
findet sie. Markus verklagt die Frau, mit der er viele Jahre zusammengelebt | |
hat, auf die Rückerstattung von 8,99 Euro. | |
Lena und Markus treffen sich häufig in Berliner Gerichtssälen: Sie sind | |
nicht verheiratet und seit drei Jahren getrennt. Ihre Geschichte wollen sie | |
erst nach langem Zögern und nur getrennt voneinander erzählen. Eine ihrer | |
Bedingungen ist: Sie möchten nicht mit ihrem richtigen Namen genannt | |
werden. Lena und Markus, wie sie hier also heißen, haben beide das | |
Sorgerecht für die zwei gemeinsamen Kinder. Sowenig sie sich auch | |
verstehen, müssen sie immer zusammen entscheiden, wenn es um den neun Jahre | |
alten Sohn und die sechs Jahre alte Tochter geht. So schreibt es das Gesetz | |
vor. | |
## Soll die Tochter auf die teure Privatschule? | |
Erst neulich wieder: Die Tochter soll im Sommer in die erste Klasse kommen. | |
Aber in welche Schule? In die städtische im Kiez, die das Amt vorschreibt? | |
Oder in die Privatschule, die jeden Monat 400 Euro kostet? „Ich will, dass | |
sie in die kommunale Schule geht, dort ist auch schon unser Sohn“, sagt | |
Lena. „Die Privatschule ist besser“, sagt Markus, „dort lernt sie | |
wenigstens was.“ Der Ton in Markus’ Stimme ist charmant, aber bestimmt. Man | |
kann sich vorstellen, wie hart und streng er sein kann, wenn er etwas will. | |
Aber er kann nicht allein entscheiden. Den Schein für die Einschulung | |
müssen er und Lena zusammen unterschreiben. | |
So wie Markus und Lena sich bekriegen, könnten das bald noch mehr Paare | |
tun. Denn die gemeinsame Sorge für getrennte Paare soll in Zukunft der | |
Normalfall sein. So will es die Regierung. Am 19. Mai wird die Neuregelung | |
des Sorgerechts unverheirateter Paare in Kraft treten. Mütter haben nun | |
kein Vetorecht mehr, wenn ihre Exfreunde bei den Entscheidungen zum | |
Sorgerecht mitreden wollen. Bisher konnten die Mütter Partnern, mit denen | |
sie nicht verheiratet sind, das Sorgerecht verweigern. | |
Man ging davon aus, dass die Mutter schon weiß, was gut für das Kind sei. | |
Das ist einmal durchaus progressiv gewesen. Für uneheliche Kinder war zuvor | |
jahrzehntelang ein gesetzlicher Vormund zuständig gewesen. Die Mutter war | |
nur die alltägliche Betreuungsperson. Erst 1970 bekam die Mutter die | |
Alleinsorge. Getrennt lebende ledige Väter konnten das Sorgerecht nur | |
bekommen, wenn die Mutter einverstanden war. Die Väter sollten so einen | |
Anreiz haben, die Mutter des Kindes zu heiraten. | |
Mit dem neuen Sorgerecht müssen die unverheirateten Eltern zusammen | |
bestimmen, wie das Kind heißt, ob es getauft werden soll oder nicht, wo es | |
wohnt und ob es ein Konto haben darf. Wenn man so will, ist damit das kurze | |
Matriarchat im Familienrecht zu Ende gegangen. Das Vetorecht, die | |
Sonderstellung der Mutter, damit ist es vorbei. In Zukunft kann der Vater | |
die gemeinsame Sorge beim Familiengericht beantragen. Die Mutter kann | |
innerhalb von sechs Wochen widersprechen. Aber sie muss triftige Gründe | |
haben: Das Kindeswohl müsste durch die gemeinsame Sorge gefährdet sein. | |
Dann beugen sich Richter über Schriftsätze und lesen beispielsweise, dass | |
der Vater verspricht, sich intensiv um sein Kind zu kümmern. Oder dass er | |
dafür extra in die Nähe seines Kindes gezogen ist. Dass er schon ein Zimmer | |
eingerichtet hat. Die Mutter entgegnet dem vielleicht, dass sie und der | |
Vater nie eine richtige Beziehung hatten und dass sich die Mutter deshalb | |
nicht vorstellen kann, mit ihm gemeinsam das Kind großzuziehen. Das wird | |
vielen Richtern reichen für ihre Entscheidung. So steht das auch im Gesetz. | |
Das Gericht muss die Eltern nicht persönlich anhören. Vereinfachtes | |
Verfahren nennt sich das. | |
Es wirkt wie ein Fortschritt. Der alte Spruch „Das Kind gehört zur Mutter“ | |
wird auf den Boden neuer Tatsachen geholt: Das Kind hat Anspruch auf beide | |
Eltern. Damit reagiert die Politik auch auf eine gesellschaftliche | |
Entwicklung: Es gibt immer mehr Väter, die sich kümmern und bereit sind, | |
Verantwortung zu übernehmen, die auch nach einer Trennung pragmatische | |
Lösungen finden wollen. Viele dieser Väter wollten noch mehr tun für ihr | |
Kind, sie durften aber bei den großen Fragen nicht mitentscheiden. Sie | |
wurden ausgeschlossen, obwohl sie doch so gerne mitgemischt hätten bei | |
zentralen Dingen der Kindererziehung. Für sie ist die neue | |
Sorgerechtsregelung eine Chance. | |
Doch das Gesetz hat auch etwas Altbackenes: Kindern, die glücklich mit | |
einem neuen sozialen Vater, in einer großen Wohngemeinschaft oder mit zwei | |
Müttern aufwachsen, bekommt im Zweifel nun plötzlich auch noch einen Vater | |
– den biologischen. Kann das gut gehen? Ist die biologische Abstammung | |
wichtiger als die soziale Vaterschaft? | |
Wozu das neue Recht führen könnte, sieht man bei Lena und Markus. Lena, 39, | |
und Markus, 42, leben im alten Westberlin, nur ein paar Ecken voneinander | |
entfernt. Opulente Gründerzeithäuser, Cafés mit leiser Musik, ein großer | |
Park mit zwei Kinderspielplätzen. Sie sind Akademiker mit guten Jobs. Lena | |
ist eine kleine Frau mit einer hellen Stimme. Sie trägt gern auffälligen | |
Schmuck und Kleidung, die sie im Ökokatalog bestellt. Auch Markus achtet | |
darauf, wie er wirkt. Auf dem Spielplatz sieht man ihn manchmal im Anzug. | |
Ihre Liebe zu besonderen Dingen hat sie mal miteinander verbunden. Aber | |
wenn sie sich jetzt zufällig auf der Straße treffen, nicken sie sich nur | |
kurz zu, manchmal laufen sie absichtlich aneinander vorbei. Sie würden sich | |
gern meiden. Aber das geht nicht. Denn da sind ja noch die zwei Kinder. | |
Bis vor drei Jahren waren die vier eine glückliche Familie. Hochzeit muss | |
nicht sein, wir brauchen dieses antiquierte Versprechen nicht, hatten sie | |
gesagt. Aber unsere Kinder sollen wissen, dass wir zusammen gehören. Lena | |
und Markus beantragten das gemeinsame Sorgerecht. Ein Schritt, den beide | |
heute bereuen. Jetzt beansprucht jeder die Kinder für sich allein. Er hat | |
mit dem Kleinkrieg angefangen, sagt sie, ich musste mich wehren. Jetzt | |
betreibt jeder der beiden sein irrationales Spiel. | |
In solchen zerbrochenen Familien geht es oft um Macht, auch bei Lena und | |
Markus. Das Verhältnis ist vergiftet, nicht nur durch die gegenseitige | |
Enttäuschung nach einer Trennung, sondern auch, weil tradierte Rollenbilder | |
verschwimmen, weil dadurch eine neue Unsicherheit entsteht. Väter hatten | |
jahrhundertelang das Recht, über die wichtigen Fragen in der Familie zu | |
bestimmen. Der „Stichentscheid“, das Letztentscheidungsrecht des Vaters in | |
allen Familienangelegenheiten, wurde im Westen der Republik erst 1959 | |
abgeschafft. | |
In den Familien aber galt das Machtwort des Vaters lange weiter. Es | |
geistert immer noch in den Köpfen herum: Der Vater steht für die Macht. | |
Wird sie ihm genommen, reagiert er nicht selten gereizt. Müttern dagegen | |
blieb die alltägliche Macht über die Kinder. Für so manche Mutter war das | |
alte Sorgerecht sehr bequem, weil Väter auf Distanz gehalten werden | |
konnten. Jetzt, wo sich das alles verschiebt, tragen beide Seiten ein | |
schweres machtpolitisches Erbe: der Vater die Demütigung, nicht mehr | |
Patriarch zu sein, die Mutter den Verlust, im Alltag nicht mehr allein über | |
die Kinder bestimmen zu dürfen. | |
Es gibt zwei Lobbyverbände, die um die Zukunft des Sorgerechts ringen. Der | |
Verband alleinerziehender Mütter und Väter, kurz VaMV, vertritt eher die | |
Mütter, der Väteraufbruch für Kinder, der VafK, eher die Väter. Ein | |
bisschen geht es zwischen beiden Verbänden zu wie zwischen Lena und Markus. | |
Edith Schwab, eine große, kräftige Frau mit blonden Locken, macht sich für | |
die Mütter stark. Die Lobbyistin sitzt in ihrem Anwaltsbüro in Speyer und | |
klingt wie immer sehr bestimmt. Das nüchterne Büro sieht fast aus wie eine | |
Arztpraxis, es liegt in der Innenstadt. Durch Speyer bewegt sich Schwab in | |
einem Jaguar. Sie lebt auch getrennt. Aber mit dem Vater ihres Sohnes gab | |
es nie Probleme, sagt sie. Der Sohn studiert jetzt in Australien. | |
Edith Schwab will auch aktive Väter. Aber sie will keine Vereinfachung auf | |
Kosten des Kindes. „Wir begrüßen es natürlich, wenn Väter sich stärker in | |
der Familie engagieren wollen. Immerhin sind 90 Prozent der | |
Alleinerziehenden Mütter“, sagt sie. „Aber wir sind dagegen, dass für eine | |
sehr kleine Menge von streitigen Fällen ein Gesetz gemacht wird, das völlig | |
außerhalb der bewährten aktuellen Regelungen steht.“ Sie sagt das auf allen | |
Kanälen, auch in der Bundestagsanhörung zum Thema hat sie gesprochen. Sie | |
hat am Ende das Gefühl, nicht durchgedrungen zu sein. Ihre Gegner vom | |
Väteraufbruch dagegen klagen, Schwab beherrsche die Szene und habe die | |
Medienhoheit. | |
2010 bekam Schwab das Bundesverdienstkreuz. Der Väteraufbruch schrieb einen | |
merkwürdigen Brief an den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. | |
Darin forderte der Verband, Schwab das Kreuz nicht zu verleihen: Deren | |
„militanter Verband“ unterstütze die „feudale Herrschaftsentfaltung von | |
Müttern“, hieß es in dem Schreiben. Schwabs Lebenswerk beruhe auf der | |
„angestrebten psychischen, physischen und wirtschaftlichen Vernichtung von | |
Vätern“. | |
Im Netz warnen die Männerrechtler vor Schwab, unter anderem verkläre sie | |
die alleinerziehende Mutter zur Heldin, „gleich der deutschen Mutter im | |
nationalsozialistischen Ideal“. | |
Edith Schwab zieht angesichts solcher Vorwürfe ihre rechte Augenbraue hoch: | |
„Das ist Quatsch, ich persönlich bin völlig ideologiefrei. Diese Leute | |
können eine fundierte sachliche Argumentation nicht ertragen, also | |
versuchen sie es mit übler Nachrede. Aber was kümmert es eine Eiche, wenn | |
die Sau sich an ihr reibt?“ | |
## Die demokratische Familie ist historisch recht neu | |
Schwab findet, dass ein Gericht genau prüfen soll, was dieses gemeinsame | |
Sorgerecht für das Kind bedeuten könnte. Also kein vereinfachtes Verfahren, | |
bloß mit Schriftsätzen. Stattdessen eine sorgfältige Ermittlung mit | |
Anhörung der Mutter, des Vaters, Verwandter und Bekannter, und | |
selbstverständlich auch des Kindes selbst, falls das Kind alt genug ist. | |
Aber all das sieht das Gesetz nicht vor. Schwabs Einwände blieben ungehört. | |
Eine demokratische Familie, so wie sie dem Gesetzgeber vorschwebt, ist | |
historisch gesehen recht neu. Ein frisch getrenntes Paar aber, das mit viel | |
Hass auf seine gemeinsame Vergangenheit schaut, kann schwer vernünftige | |
demokratische Kompromisse finden. Gerade wenn darunter noch ein ganz | |
anderer Konflikt liegt, weil Mütter und Väter an den letzten verbliebenen | |
Zipfeln ihrer Macht mit aller Kraft festzuhalten versuchen. In ihrer | |
jeweiligen Rolle. | |
Lena und Markus streiten sich darüber, wie hoch das Taschengeld für die | |
Kinder sein soll, ob der Sohn mit dem Tretroller in die Kita fahren und ob | |
die Tochter ins gechlorte Schwimmbad gehen darf. Es geht um die Frage, ob | |
die Kinder bei Fieber Medikamente bekommen sollen oder Wadenwickel. Ob der | |
Klavierunterricht fünfzig oder besser nur vierzig Minuten dauern sollte. | |
Sie verhandeln und verfluchen sich, sie bitten Mediatoren und | |
Familientherapeuten um Hilfe. Sie lassen psychologische Gutachten erstellen | |
und ihre Anwälte feilschen wie auf dem Basar. Sie haben den anderen zur | |
eigenen Obsession gemacht. Da bleibt kaum Platz für Freunde, neue Partner | |
oder Müßiggang. | |
Mehr als ein Jahr haben sich Lena und Markus darüber gestritten, wo die | |
Kinder wohnen sollen. Markus wollte, dass sie regelmäßig wechseln: Zwei | |
Wochen sollten sie bei ihm sein, danach zwei Wochen bei der Mutter. „Das | |
ist gerecht“, findet er. | |
Lena lehnte das natürlich ab, die Kinder bräuchten einen klaren | |
Lebensmittelpunkt, „sonst kommen sie nie zur Ruhe“. | |
Das Gericht legte einen Kompromiss fest: Neun Tage sind die Kinder bei der | |
Mutter und fünf Tage beim Vater. Die Ferien werden geteilt, ebenso | |
Weihnachten, Ostern, Pfingsten. Markus und Lena führen das alte | |
machtpolitische Stück auf: In Markus‘ Geschichte ist Lena eine „neurotische | |
Kuh“, die die Kinder „am liebsten für sich allein hätte“ und es gern s�… | |
„wenn ich an den Nordpol verschwände, aber jeden Monat jede Menge Unterhalt | |
abdrücke“. In Lenas Version geht es Markus kaum um die Kinder, sondern | |
vielmehr um Einfluss – auf die Kinder und seine frühere Lebensgefährtin. | |
Lena sagt: „Am liebsten würde er alles allein bestimmen.“ Was die Kinder | |
essen, ob sie Fernsehen dürfen, wo sie ihre Ferien verbringen. Jetzt müssen | |
das Lena und Markus zusammen entscheiden. Was sie nicht können. | |
In der mütterlichen Haltung scheint der deutsche Muttermythos auf. Ist es | |
gerecht, wenn ein Vater überall mitentscheiden darf, obwohl es doch meist | |
die Mutter ist, die das Kind jeden Tag betreut und die es anfangs immer | |
versorgt, im Bauch und in den ersten paar Monaten? | |
Die Väter wiederum wollen nicht nur um der Mitbestimmung willen mitreden. | |
Längst möchten sich viele nicht mehr nur am Wochenende um ihre Kinder | |
kümmern. Die Vaterrolle wandelt sich. Da will jemand also neuer Vater | |
werden – da ist es doch eigentlich logisch, dass das Gesetz ihm dabei | |
hilft. Oder? | |
Die Gesellschaft verständigt sich seit Jahren darüber, dass es nicht | |
weitergehen kann wie in den Fünfzigern. Dass das Ernährungsmonopol des | |
Vaters und das Erziehungsmonopol der Mutter Ideale aus einer vergangenen | |
Zeit sind. Jetzt muss sie ein neues Modell finden. | |
Dass die Eltern in diesen Fragen zusammengeschweißt sind, haben Väter | |
durchgesetzt: Sie klagten bis zum Verfassungsgericht und zum Europäischen | |
Menschenrechtsgerichtshof. Und die Gerichte urteilten: Dem Vater stehen | |
mehr Rechte zu. Was die Gerichte aber nicht vorschrieben, ist das | |
„vereinfachte Verfahren“. Das hat das Justizministerium in den | |
Gesetzentwurf geschrieben. Eine Erleichterung für die Väter, ein Teilsieg | |
also der Väterlobby. | |
## Der Väteraufbruch will jetzt kooperieren | |
Die Väterrechtler, die sich oft diskriminiert fühlen, haben offenbar mehr | |
Einfluss, als sie selbst glauben. Rainer Sonnenberger ist ein ruhiger Mann, | |
Ingenieur. Er ist keiner, der wütende Kommentare in Internetforen hackt. | |
Und weit entfernt von dem Schauspieler Mathieu Carrière, der sich 2006 für | |
den Väteraufbruch mediengerecht vorm Justizministerium halbnackt an ein | |
Kreuz binden ließ, um den „Krieg gegen die Väter“ anzuprangern. | |
Sonnenberger ist Mitte 40, mittelgroß, hat braunes kurzes Haar und ein | |
jungenhaftes Gesicht. Über seine eigene Trennungsgeschichte will er nicht | |
reden. Aber es gibt darin drei Kinder und einen Vater, der pendelt, um sie | |
zu sehen. Sonnenberger engagiert sich im Väteraufbruch, dem VafK. | |
Der Väteraufbruch hat seine Strategie geändert – und Sonnenberger ist der | |
Repräsentant dafür: „Wir haben jetzt eine Basis an Leuten, die mit ihren | |
persönlichen Geschichten schon lange durch sind. Wir wollen kooperieren,“ | |
erklärt er beim Treffen in einer alten Berliner Kneipe. Er trinkt einen | |
Kaffee und formuliert vorsichtig. Sein Verein ist seit Neuestem Mitglied im | |
Bundesforum Männer, eine Organisation, die eher profeministisch | |
ausgerichtet ist. | |
Sonnenberger war sogar im Beirat für eine groß angelegte Sorgerechtsstudie | |
des Justizministeriums. Die hat ergeben, dass das gemeinsame Sorgerecht | |
durchaus dazu beiträgt, dass Eltern miteinander kooperieren und dadurch dem | |
Kind Trennungsschäden ersparen. Die Untersuchung zeigt aber auch, dass | |
gleiches Recht für Mutter und Vater kontraproduktiv sein kann, wenn die | |
Verständigung zwischen ihnen nicht klappt. | |
Für viele Eltern ist die demokratische Familie inzwischen eine | |
Selbstverständlichkeit. Ein Drittel aller Kinder wird heute geboren, ohne | |
dass die Eltern verheiratet sind. 62 Prozent beantragen kurz vor oder nach | |
der Geburt das gemeinsame Sorgerecht. Viele andere wollen die gemeinsame | |
Sorge erst gar nicht. Und dann gibt es da auch noch sie: Väter, die gegen | |
den Willen der Mutter mitentscheiden wollen. Paare, denen es so gehen | |
könnte wie Lena und Markus. | |
Befriedet das neue Sorgerecht die Väterrechtler? Bringt es das Ende der | |
Wutväter? | |
Der Väteraufbruch hat noch offene Wünsche: „Wir wollen die gemeinsame Sorge | |
ab der Geburt, zusammen mit der Vaterschaftsanerkennung“, sagt Rainer | |
Sonnenberger. Er ist sicher, dass die jetzige Regelung wieder vor Gericht | |
landen wird. „In den ersten sechs Wochen entscheidet die Mutter so viel, da | |
wollen wir ein Mitspracherecht haben.“ Der Name des Kindes, die Religion, | |
eine eventuelle Beschneidung, frühe Operationen, all das können die Väter | |
immer noch nicht mitbestimmen. | |
Der entscheidende Unterschied zwischen der Mütter- und der Väterlobby | |
besteht in einer Art „Naturrecht“, wie es Juristen nennen würden. | |
Familienanwältin Schwab nennt es „Biologismus“: Ist es gut, wenn der | |
biologische Vater immer im Leben des Kindes präsent ist? „Diesen | |
Biologismus meinten wir eigentlich überwunden zu haben“, sagt Schwab. In | |
extremen Fällen könnte dann irgendeine Affäre vor der Tür stehen und sich | |
als Vater präsentieren, als biologischer. Problematisch wäre es, wenn das | |
Kind in einer Familie mit einem neuen sozialen Vater lebt, der vielleicht | |
sogar die Vaterschaft anerkannt hat. | |
Rainer Sonnenberger sieht das ganz gelassen: „Das Kind hat dann eben zwei | |
Väter.“ Zwei Väter – das kann sich auch Schwab gerade noch vorstellen. Ab… | |
ein zweiter Vater mit Sorgerecht? Der eine andere Schule möchte? Eine | |
Alternativtherapie bei einer Krankheit? Der die Familie am Umzug hindern | |
kann, weil er dann reisen müsste, um sein Kind zu sehen? Der könnte den | |
Familienfrieden der sozialen Familie erheblich stören. | |
## Plötzlich verschwimmen die alten Feindbilder | |
„Bisher schützt die Verfassung die soziale Familie“, sagt Schwab. Nun aber | |
soll die biologische Abstammung Vorrang vor dem Familienfrieden haben. „Das | |
ist neu“, sagt sie. Zuletzt sei die biologische Abstammung bei den Nazis so | |
wichtig gewesen. Sie provoziert bewusst. | |
Der Väteraufbruch wiederum nimmt nun auch Mütter auf. „Da kamen drei Mütter | |
in unsere Gruppe, denen wurde der Umgang mit ihren Kindern vom Vater | |
vorenthalten“, sagt Sonnenberger: „Dass das auch Frauen passieren kann, | |
hatte keiner von uns auf dem Schirm.“ Plötzlich sind die Feindbilder im | |
Geschlechterkampf nicht mehr so klar wie vorher. | |
Schwab verweist auf die Studie des Justizministeriums zur gemeinsamen | |
Sorge. Die Forscher schreiben: „Eine generelle Zuweisung des gemeinsamen | |
Sorgerechts auch für getrennt lebende Elternpaare oder Eltern, die keine | |
gemeinsame Partnerschaft haben, erscheint (…) weniger empfehlenswert.“ Hat | |
der Gesetzgeber das genügend berücksichtigt? Oder war er fahrlässig? | |
Getrennt lebende Eltern, die mit der gesetzlich auferlegten | |
Einigungspflicht nicht klarkommen, sind keine Einzelfälle. Der | |
demokratische Lernauftrag „Wir sollten alles gemeinsam entscheiden können“, | |
bleibt für manche Paare reine Utopie. | |
Das Ende der Machtmütter wird dann in vielen Fällen wohl nicht zu den | |
gewünschten gleichberechtigten Entscheidungen führen, sondern vor allem die | |
Gerichte beschäftigen. | |
Wolfgang Schwackenberg vom Deutschen Anwaltsverein plädiert daher dafür, | |
die gemeinsame Sorge auch wieder rückgängig machen zu können. Das ist | |
bislang nur in Ausnahmefällen möglich. Das neue Gesetz werde, vermutet er, | |
die Justiz zusätzlich belasten und nicht, wie vorgesehen, entlasten. Mütter | |
werden Vätern bescheinigen, sie hätten keine Ahnung. Väter werden Müttern | |
unlautere Motive nachweisen. Man kann nur hoffen, dass die Gerichte ihre | |
Arbeit ordentlich machen. | |
Lena und Markus haben es nicht geschafft. Sie streiten immer noch. Und die | |
Kinder? | |
„Gut tut ihnen das alles sicher nicht“, räumt Markus ein: „Mein Sohn nä… | |
jetzt nachts ein.“ Auch Lena glaubt, dass die beiden leiden. „Unsere | |
Tochter reißt sich die Haut von den Fußsohlen.“ Manchmal würden sie einfach | |
nur schreien, wenn sie vom Vater kommen. | |
Die Kinder gehen jetzt zu einer Therapeutin. | |
■ Heide Oestreich, 44, und Simone Schmollack, 48, sind taz-Redakteurinnen | |
für Geschlechterpolitik. Die eine hat kein Kind, die andere eines – aber | |
glücklicherweise keinen Trennungsstress | |
4 May 2013 | |
## AUTOREN | |
HEIDE OESTREICH / SIMONE SCHMOLLACK | |
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